Florian
Kronbichler


Lassen wir die Kirche aus dem Dorf!

 

Was uns diese Wahlen gelehrt haben:
… dass Parteien, alle Parteien, keine Kirchen sind. Und dass die Wähler nicht mehr Gläubige sind. Die Südtirolerin und der Südtiroler von heute wollen jede und jeder auf eigene Fasson selig werden. Das haben die Gemeindewahlen von letztem Sonntag uns gelehrt. Ich komme etwas spät mit dieser Einsicht, ich weiß. Aber ich bin ja Akteur und nicht Voyeur, meine Arbeit ist das parlamentarische Tagesgeschäft und nicht zu analysieren, was andere tun.

Parteien wie Kirchen. Nehmen wir die Partei und also die Kirche: die Südtiroler Volkspartei. Obmann und Landeshauptmann taten sehr zerknirscht, am Wahlmontag. Wohin im Land sie auch blicken: verloren, wo immer sie nur verlieren konnte. In ganz vielen Orten war verlieren gar nicht möglich. Es gab nur die SVP. Und selbst da verlor sie: zwar nicht sichtbar, weil in Prozenten und Mandaten nicht mitgezählt, aber SVP-Stimmenzähler sind keine Anfänger. Sie verstehen, dass Nicht- und Weißwähler auch Gefallene auf ihrem Schlachtfeld sind, und dass in der parteiinternen Buchhaltung auch diese abzuschreiben sind. Sie sind das nicht-kirchengehende Christenvolk der Partei.

Es reichen aber bereits die verlorenen Bürgermeister, die langen Gesichter auf der Wahlbilanz-Pressekonferenz der Partei zu erklären. Wo es Fluchtziele gab, in Form einer realistischen Alternative, wurde geflohen: Innichen, Toblach, Niederdorf (man beachte: als ob Parteiflucht flächenbrandmäßig passierte!), Sterzing, Natz-Schabs, Prad …, um nicht zu reden von den früheren, nicht wieder heimgekehrten Nestflüchtern Eppan, Auer, Schluderns. Und wollen wir pietätvoll schweigen von St. Ulrich, wo ein SVP-Bürgermeister sich nicht entblödet, der nicht bestehenden Opposition die Schuld zu geben, dass er nicht gewählt wurde. St. Ulrich ist der radikalste Beweis, dass etwas faul ist, nicht nur dort, sondern am System insgesamt: Ohne Alternative ist auch keine Lösung. Gehen die Leute gar nicht mehr hin.

Bozen und Meran 2015 sind für die SVP ebenfalls notleidende Positionen. Jetzt schon. Und die Stichwahl verspricht in beiden Städten nichts Gutes. Hie und noch mehr dort beginnen jetzt schon interne Abrechnungen. Am mageren Bozner Ergebnis wird die Benko-Allianz zerbrechen, und wenn das Team Rösch-Kury tatsächlich Meran übernimmt, dann ist Südtirol definitiv in die offene, die parteifreie Gesellschaft aufgebrochen. Den Leuten stinken die alten ewig Gleichen, und vor etwas Neuem haben sie keine Angst mehr.

Eine eigene Betrachtung verdient der Fall Salurn. In dieser zu drei Viertel italienischen Gemeinde stellt jetzt die SVP den Bürgermeister. Zum ersten Mals, seit Südtirol zu Italien gehört und womöglich seit noch länger. Die Volkspartei-Granden hat diese Erstmaligkeit am Wahlmontag zu einem Ausdruck der Genugtuung, ja Freude hingerissen. Verständlich, angesichts des Kummers ringsum, doch peinlich, würde die Partei ihr Statut und Selbstverständnis ernst nehmen. Der deutsche Bürgermeister Roland Lazzeri von Salurn ist, so wie übrigens umgekehrt der italienische Guido Bocher von Toblach, nichts anderes als der Ausdruck, dass die Südtiroler nicht mehr getrennt nach ethnischen Gruppen wählen.

In Toblach haben die Bauern nun schon zum zweiten Mal Bocher gewählt, weil sie sagen, „mit dem kann man reden“. Das reicht ihnen. In Salurn wird es sich ähnlich verhalten, nur weniger spektakulär. Womit Alexander Langer vor 20 Jahren mit seiner Kandidatur zum Bürgermeister von Bozen noch (erfolglos) provozierte, wird inzwischen von unten Realität. Deutsch oder italienisch? Das stört doch, wenn es ein ordentlicher Mensch ist, niemanden mehr. Ausgewogen, ein bissl ausgewogen, ja, möchte man die Verhältnisse haben. Aber sonst? Die SVP sollte an Salurn, anstatt Siegestöne zu schmettern, eher ihr Selbstverständnis von ethnischer Partei überprüfen.

Für die Volkspartei gibt’s aber nicht nur Verluste zu erklären. Erklärungsbedarf, vielleicht noch größeren, herrscht, was Wähler- und Funktionärsbindung insgesamt anlangt. Der Sterzinger Bürgermeister Fritz Karl Messner ist der Partei davon gelaufen, und den Niederdorfer Kurt Ploner hat sie verschickt. Es gab Gründe, womöglich Notwendigkeiten. Aber dass die Wähler gleich mitgegangen sind? Mit dem einen gleich wie mit dem anderen? Das beweist doch, wie mobil, wie flüchtig Wähler heute sind.

Der Beweis ist auch umgekehrt führbar: Mals. Wolle doch niemand bestreiten, dass der SVP-Bürgermeister Ulrich Veith selber der eigentlich oppositionelle Kandidat war. Er führt die Anti-Pestizid-Bewegung an, er liegt dafür mit dem Land im Clinch, er hat die Partei-Potentaten gegen sich. Und genau dafür wählten ihn die Malser. „Die Partei“, und alles Negative, was man mit dem Begriff verbindet, waren umständehalber die anderen.

Volkspartei-freundliche Leser dieses Aufsatz’ (oh, es gibt sie. Willkommen hier!) mögen sich jetzt denken: ja, ja, der Linke, Grüne: immer nur auf die SVP! Oh nein, ich gehe nur nach Bedeutung vor. Das „Jugend ohne Gott“ gilt für alle, auch für die Oppositionsparteien. Auch sie gebärden sich wie Kirchen, aber es sind im Vergleich halt nur, ich sag nicht: Sekten, sie sind halt nur Glaubensgemeinschaften. Auch sie sind von Auszehrung befallen. Es fällt zwar weniger auf, aber jeder Ab-Fall rührt gleich an die Existenz.

Die Freiheitlichen: waren doch die kommende Großmacht. „Die Alternative“, wenn sie das Wort, weil zu alternativ, nicht hassen würden. Vorbei. Sie gehören schon zum Establishment. Und wie immer, wenn zwei gleich sind („sind eh die Gleichen!“), nimmt der Wähler den Größeren. Der hat mindestens etwas! So schlugen sich viele Freiheitliche – aus Frust oder Opportunismus, jedenfalls in wohl kalkulierter Distanz zur „Mutterpartei“ – ins No-Logo-Feld der Bürgerlisten. Hier ist alles freier, loser, unverbindlicher, und vermeintlich erfolgversprechender. Letzteres stimmt freilich, wenn es Kandidaten gibt, die auf jeder Liste gewählt würden. Manche Bürgerlisten haben solche, und entsprechend halten sie auch über mehrere Wahlen hinweg. Sonst gehen sie nach einmal ein, und es ist kein Drama. Oder es geschieht so wie in St. Ulrich in Gröden, dass eine Bürgerliste kollektiven Selbstmord begeht und damit den Größten Anzunehmenden Unfall (GAU) auslöst: Niemand geht hin, Wahl ungültig. Ist auch eine Revolution (nicht zur Nachahmung empfohlen, bitte).

Die Grünen. Meine lieben Grünen! Was die Freiheitlichen bei diesen Gemeindewahlen erstmals erleben mussten, haben die Grünen an sich schon seit mehreren Wahlen erfahren. Es gibt hier keinen wirklichen Stallgeist. Hat ihn nie gegeben. Gründer Alexander Langer hat sich zeitlebens als Bewegung definiert und sich gegen jede Partei-Werdung verwahrt. Bezeichnend, dass seine letzte politische Tat, Mai 1995, zwei Monate vor seinem Tod, die Umwandlung seiner Grünen in Bozen in eine Liste „Bürger – Cittadini“ war. Diesmal, 20 Jahre später, war die Liste mit der Picasso-Taube im Schild in Bozen die einzige rein grüne Liste im ganzen Land. Alle anderen ökosozial fühlenden Kandidaten (die meisten) haben sich ins weniger verpflichtende, nicht-parteiliche Bürgerlisten begeben. Manchmal geschah es aus inhaltlicher Überzeugung, aus Kirchturm-Denken, manch anderes Mal aus Sorge, sonst „abgestempelt“ zu werden. Oft, jedoch in abnehmendem Maße, ließen sich diese Bürger- oder Dorflisten von der Grünen-Zentrale sponsern, ideell wie material. Letzthin ist diese Nabelschnur weitgehend verdörrt. Dorf- und Bürgerlisten wollen in Ruh gelassen werden, verbitten sich Vereinnahmung und verzichten weitgehend sogar auf Unterstützung. Die historischen ökosozialen Bürgerlisten haben sich verselbständigt, die neuen entstehen sogar vielfach, ohne von der grünen Mutti in Bozen zu wissen. Wer eine Bürgerliste im Sinn hat, will in der Regel keine Partei gründen und auch nicht einer zugehörig befunden werden. Oft ist er gegen Partei prinzipiell. Insofern ist der Grillino-Effekt durchaus auch in Südtirol und hier auf dem Land wirksam. Gruppen verstehen sich als grün, aufs grüne Gütesiegel glauben sie verzichten zu können. Die Bürgerlistler halten von sich aus Abstand zur ideellen Bezugspartei, die ja meistens die Grünen sein mögen.

Es fällt auf, dass die Grünen-Zentrale ihrerseits das umgekehrt ebenso tut: In der Stellungnahme zur Wahl am Sonntag schreiben die Grünen-Vorsitzenden: „In Meran begeistert das fantastische Wahlergebnis von Paul Rösch mit der grünen Liste“. Ein Minimum an Stallgeist hätte geboten sein lassen, dass die Ideatorin, Listenführerin und Stimmenlokomotive des Meraner Wahlerfolgs, Cristina Kury, mitgenannt würde. Ähnliches gilt für die beiden historischen Grünen-Bürgerlistler Verena Debiasi und Heini Forer auf der Sterzinger Bürgermeisterliste. Es verwundert, dass die Landesgrünen nicht mehr herzeigen, was sie haben.

Die Gemeindewahl hat es bewiesen: Südtirol ist auf dem Weg in eine ziemlich säkulare Gesellschaft. Auch politisch. Der Spruch „die Kirche im Dorf lassen“ bedeutet fast nur noch: nicht eiern! Oder, positiv ausgedrückt: leben und leben lassen! Parteien als die politischen Kirchen – das war einmal. Einmal gaben die Parteien Linie vor. Heute machen sie allenfalls Umfragen. Die Grünen haben vor den letzten Landtagswahlen, um zu den Vorwahlen zugelassen zu werden, einen Wertekodex, eine Art Glaubensbekenntnis unterschreiben lassen. Klingt eher altmodisch. Die Gemeindewahlen vom letzten Sonntag haben gezeigt, dass der Malser Anti-Pestizid-Prediger Veith SVP-Bürgermeister wird; dass der Sterzinger SVP-Langzeit-Bürgermeister Messner mit Grünen im Bund oppositioneller Bürgermeister bleibt; dass Toblach einen Italiener wählt und Salurn einen Deutschen; dass Meran sich etwas ganz anderes als alles bisher vorstellen kann; und dass es nicht mehr zur patriotischen Pflicht verordnet werden kann, Bozen an Benko zu verkaufen. Non c’è più religione.

Foto aus: Salto

Florian Kronbichler

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