Florian
Kronbichler


Lob des Verrats

 

Das ist die Stunde der Kohärenz-Hohepriester, der Beschwörer der Geradlinigkeit, der Rückgrat-Verstärker. Und die Grünen im Bozner Gemeinderat sind ihre Opfer, deren Sprecherin Cecilia Stefanelli zumal: beide Sesselkleber, Umfaller, Hosenscheißer. „Vergogna!“ Ihr Stimmwechsel von Mittwoch nein auf Donnerstag ja zur Stadtregierung Spagnolli sei politischer Verrat.

Alles Gewäsch! Dummes Geschrei. Kohärenz kann ein Wert, kann aber auch die größte Dummheit sein. Es hängt von Inhalten und Umständen ab. Die historischen Weltmeister politischer Kohärenz waren die Nazis. Verrat ist in der Politik manchmal nicht nur erlaubt, sondern notwendig und ethisch gut. Aber wollen wir nicht philosophisch werden.

Abgesehen davon, dass mir von Anfang an ein grünes Ja zur Stadtregierung Spagnolli das Liebste gewesen wäre, kann ich in dem Ja-Nein von Stefanelli und Tobe keinen Verrat erkennen. Es war, spätestens nach dem „Fall Pitarelli“ sogar folgerichtig, zwingend. Das Nein der SVP-Rätin Anna Pitarelli zu Bürgermeister Spagnolli hat aufgezeigt, worum es bei der Wahl ging, nämlich um die Durchsetzung des Projekts Benko mit allen Mitteln, erstens, und zweitens um die Frage, wer in Bozen künftig das Sagen haben soll: die Politik oder die Wirtschaft? die Demokratie oder die Wirtschaft? die Gemeinschaft oder ein Einzelner? das Gemeinwohl oder die Spekulation? wir alle oder Benko? Und um noch eine dritte Frage ging es: Nämlich wem, außer ihrem Gewissen, sind die Gemeinderäte verantwortlich? Den Bürgern oder einem Lobbyisten? Sind sie Volksvertreter oder Handelsvertreter?

Dass Leute mit Geld, mit viel Geld ganz besonders, sich die Dreckarbeit demokratischer Entscheidungsfindung persönlich nicht antun, ist nichts Neues. Es war immer so. Sie wählen nicht, sie lassen wählen. Sie werden nicht Politiker, sie halten sich Politiker. Wie diskret und auch wie konsensfähig ein Reicher das tat, daran wurde beurteilt, ob er Stil und Gespür hat. Nie, ich sage: nie wurde Stellvertreter- oder sagen wir ruhig umgangssprachlich „Vertreter“-Politik stilloser betrieben wie im Fall des Benko-Engagments der Gemeinderätin Anna Pitarelli. Die Frau verdiente, in Schutz genommen zu werden. In Schutz vor Missbrauch.

Und um die ganze Wahrheit zu sagen: Frau Pitarelli ist zu danken. Nach dem „Fall Pitarelli“ hat auch das schlichteste Gemüt verstanden, wer wählt, wenn Madame die Hand aufhebt. Nicht Pitarelli, das Projekt Benko ist Mittwochnacht entlarvt worden. Dass die beiden Grünen im Gemeinderat mit ihrem Nein in der Mittwochnacht zu dieser Entlarvung beigetragen haben, rechne ich ihnen jetzt sogar als Verdienst an, und dafür danke ich ihnen.

Florian Kronbichler

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