Florian
Kronbichler


Mehr Selbstverständlichkeit, bitte!

Hier nur aus dem Gedächtnis heraus, was mir an Meldungen über Gut-Gemeintes von diesem Wochenende hängen geblieben ist: Fußballverein organisiert „Mitspielgelegenheit“ für Flüchtlinge; Familienverband-Ortsgruppe lädt zu „Solidaritätsfrühstück“; bekannter Jugendbetreuer führt „Wanderungen“ mit Flüchtlingen; Starkoch „kocht“ mit Flüchtlingen, Bezirksgemeinschaft veranstaltet „Vorbereitung“ der Bevölkerung auf Unterbringung von 16 Flüchtlingen …

Ich bitte alle nichtgenannten Südtiroler Flüchtlingshelfer um Nachsicht. Südtirol ist ein einig Volk von Flüchtlingshelfern. Momentan, jedenfalls. Und wir können stolz drauf sein. Könnte es jedoch sein, dass wir übertreiben? Dass wir durch Noch-besser-sein-Wollen das Gute gefährden? Gemessen daran, vor welche Herausforderungen der gegenwärtige Flüchtlingsstrom andere Länder stellt, ja schon nur Nachbarregionen, etwa das Bundesland Tirol, ist Südtirols Flüchtlingsproblem ein Nicht-Problem.

Unser Land schafft das leicht, und schafft noch mehr. Südtirol benimmt sich anständig. Das gilt von der Landesregierung über die Gemeinden bis zu den ganz privaten Bürgerinnen und Bürgern. Und ich bin überzeugt: Käme es irgendwo im Land zu Ausfälligkeiten, wie wir sie täglich aus Teilen Deutschlands hören, es käme hier zu einem Aufstand der Anständigen.

Und trotzdem oder deswegen: Darf ich mir erlauben, die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zu stellen? Nach dem Maß? Und daran zu erinnern, dass gut gemeint halt gelegentlich doch das Gegenteil von gut ist? Ich habe gestern in lang mit einem erfahrenen Sozialreferenten einer Südtiroler Großgemeinde gesprochen. Einen hoch engagierten Integrator würde ich ihn heißen. Er teilt mein positives Urteil über die Aufnahmebereitschaft bei den Institutionen wie in der Bevölkerung insgesamt. Er sagt jedoch: „Wir müssen Acht geben“.

Acht geben worauf? Er sagt, und er weiß es: „Es steigt die Zahl der Leute, die sich plötzlich zurückgesetzt fühlen.“ Ich bitte um Erklärung. Er findet, ihm bereite die momentan große Aufmache um die Flüchtlinge Sorge. Zunehmend bekomme er von Leuten zu hören: „Um die wird der große Wirbel gemacht, und um uns schert sich niemand. Ich hab auch Probleme“. Es geht ums Recht, sich benachteiligt zu fühlen. Der Sozialreferent meint kleine Leute, die ihr Kind auch nicht im Sportverein unterbringen, mit denen auch niemand wandert, die auch kein Starkoch bekocht … kurzum: Mit der Aufmerksamkeit für die neuen Mitbewohner wächst auch die Anzahl derer, die sich um ihr eigenes Recht aufs Klagen betrogen fühlen. „Da müssen wir Acht geben, dass die Stimmung nicht kippt“, sagt der Erfahrene.

Ich muss dem Mann Recht geben. Wir dürfen nicht nachgeben in unserer Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge. Aber vielleicht sollten wir ein bisschen selbstverständlicher sein in unserem Helfen. Nicht alles soll die öffentliche Hand tun müssen, einverstanden, die Freiwilligkeit in Ehren, aber es soll auch nicht jede selbstverständliche Nächstenhilfe zur Eigenwerbung der Helfer verkommen. Das Flüchtlingsproblem wird noch größer werden. Auch in Südtirol. Drum, wer helfen will, ist gut beraten, sich nicht jetzt gleich zu verausgaben. Und vergessen wir nicht die Würde der Menschen, die da kommen und denen wir helfen wollen: Gar zu gut gemeinte „Betreuung“ rührt an die Würde. Überbetreuung, von Heinrich Böll ist der Ausdruck, kann sich leicht in „fürsorgliche Belagerung“ verkehren.

Florian Kronbichler

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