Florian
Kronbichler


Ganz einfach, Autonomie ist Politik.

 

Das Zeller-Athesia-Peterlini-Theater ums Ja der SVP zur Verfassungsreform ist eine Revue der Eitelkeiten. Passend zum Stegener Markt.

 

Wollen wir die persönlichen Animositäten aus dem Spiel lassen. Das Stück, das in den Dolomiten aufgeführt und zeitversetzt in allen anderen Südtiroler Medien nachgespielt wird, ist gar nicht witzlos und zur Klärung der Frage, um die es letztlich geht, sogar hilfreich. Wie unlauter ihre Beweggründe sein mögen (Peterlini kontra Zeller als Stellvertreterkrieg Athesia kontra SVP), die Streithähne leisten, wenn auch ungewollt, der Wahrheitsfindung in der Frage Verfassungsreform und Autonomie einen guten Dienst.

 

Wir wollen nicht vorschnell Partei ergreifen – weder für den einen, der sagt: Alles in Butter, Südtirol, kannst ruhig sein! Ich wach schon!, noch für den andern, der behauptet: Alles vermasselt. Kuh hin, Kalb hin. Beides stimmt nicht. Stimmen tut, dass Zeller – wie üblich – den Südtirolern mehr verkauft, als Rom hergibt, und dass die „Dolomiten“, sich des Peterlini und diverser Innsbrucker Professoren bedienend, ihm dieses Spiel neuerdings verdirbt. Der gegenwärtige Verfassung-Autonomie-Streit ist in Wahrheit ein Stellvertreterstreit um Positionierung und Art der Südtirol-Politik insgesamt. Der jetzt aufgeflammte Streit um die Verfassungsreform (warum so spät?) ist eher ein Vorwand, um eine viele Jahre alte SVP-Politik in Rom in Frage zu stellen. Früher war sie die Brugger-Zeller-Politik und selbst aus Athesia-Sicht gut, jetzt ist sie nur noch die Zeller-Strategie und schlecht.

 

Was sagt Karl Zeller? Zeller sagt, die Verfassungsreform ist schlecht, weil zentralistisch ausgerichtet, aber es sei gelungen (ihm (!)sei gelungen, das, was an der Reform schlecht sei, für Südtirol abzuwenden. Eine Herkulesarbeit, seine (!) Herkulesarbeit, die da erbracht worden sei: die Schutzklausel für die Sonderregionen. SVP-Politiker bevorzugen die Sprachregelung „Schutzklausel für Südtirol“. Das klingt heroischer für „unsere Vertreter in Rom“, die und nur die sie erhandelt hätten, und beruhigender fürs Volk daheim, denn alles, was genauso für Sizilien gilt, ist weniger vertrauensstiftend. Succus der Zeller-Botschaft ans Volk daheim: Reform zwar schlecht, jedoch Südtirol vor Schlechtigkeit bewahrt, deshalb stimmt SVP für schlechte Reform. Die Zustimmung ist Preis für das Entgegenkommen der Regierung. Das sagt der Unterhändler nicht, aber wir sind ja nicht blöd.

 

Oskar Peterlini sagt darauf: Alles Schall und Rauch – die Reform ist schlecht, und wird sich schlecht auch auf Südtirols Autonomie auswirken. Die Schutzklausel sei kein Schutz vor Schaden, sondern allenfalls ein Schadensaufschub. Und was das Allerschlimmste sei: Die Zustimmung zur Gesamtreform bringe die SVP für alle Zeit um das Recht, jedenfalls um die Glaubenswürdigkeit, bei Bedarf gegen Autonomie-Verletzungen zu protestieren. Das Parlament, die Regierung, der Verfassungsgerichtshof würden ihr jederzeit bedeuten: Ihr habt ja selber dafür gestimmt. Peterlini hält die Ja-Stimme der SVP-Senatoren zur Verfassungsreform deshalb für „historisch“ falsch.

 

Wer hat Recht, Zeller oder Peterlini? Beide nicht. Peterlini macht es sich zu leicht, wenn er jetzt den reinen, akademischen Verfassungsrechtsprofessor gibt (der er inzwischen ist) und den Politiker, der er lang genug war, verleugnet. Die Wahrheit ist: Die Alternative, ja oder nein zu sagen zur Verfassungsreform, besteht für die SVP politisch nicht. Sie ist Koalitionspartner des Partito democratico, stützt somit die Regierung. Diese hat sich im Lauf dieser ersten Hälfte der Legislaturperiode durchaus einige Male kulant gezeigt gegenüber Südtiroler Belangen. So, dass gesagt werden kann, „es hat sich ausgezahlt“. Koalition ist eine ernste Sache. Würde PD- und Regierungschef Renzi tolerieren, dass eine Partei der Koalition seinem wichtigsten Reformgesetz die Gefolgschaft verweigert? Soviel Realpolitiker muss Peterlini doch geblieben sein, dass er weiß, dass das unmöglich ist.

 

Die SVP hat im Parlamentswahlkampf immer ein Papier, sie sagte: „einen Vertrag“, mit dem seinerzeitigen PD-Chef Bersani als Trumpfkarte gespielt: Eine Liste von Autonomie-Zugeständnissen dafür, dass die SVP zum Bündnis stehe. Manches ist eingelöst worden, manch anderes, behaupten die SVP und ihr Unterhändler, sei sogar zusätzlich draufgesattelt worden (Finanzabkommen, „Bozner Memorandum“). Dass das alles seinen Preis hat und der Mindestpreis die Koalitionstreue ist, ist selbstverständlich, auch wenn das lieber totgeschwiegen wird. Die SVP hat im Senat ja zu Renzis Verfassungsreform gesagt und wird auch in der Kammer ja dazu sagen, weil sie erstens gar nicht anders darf, und zweitens, weil sie, was sie auch lieber totschweigt, mit vielem dieser Reform ja einverstanden ist.

 

Hat Karl Zeller, Schutzklauselwärter und SVP-PD-Bündnisbürge, also nur den Martin Luther der Situation gegeben: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, (Gott helfe mir). Amen.? Hat er, wie der kategorische Imperativ für Südtiroler Politiker gern formuliert wird, „für Südtirol das Beste herausgeholt“? Gerettet, was zu retten war?

 

Zu diesem Zeitpunkt und unter den herrschenden Umständen eher ja. So fair muss man sein, das zuzugeben. Eine andere Frage ist: Musste/durfte es die SVP zu diesen Umständen kommen lassen? Und eine noch grundsätzlichere: Was ist in unserer Autonomie überhaupt drin? Hält sie das, wofür die SVP und ihre Propagandafritzen sie dem Volk verkaufen?

 

Bitte keine Missverständnisse jetzt: Ich bleibe überzeugter Autonomist, halte mich für einen Autonomiepatrioten. Seit je, und bin auch als Parlamentarier nicht daran irre geworden. Nur, die parlamentarische Erfahrung bestärkt mich in der Überzeugung, dass mit dem Begriff Autonomie in Südtirol viel Schindluder getrieben wird; dass sie für strapazierfähiger dargestellt und behandelt wird, als sie verträgt; dass sie von ihren vorgeblichen Verwahrern oft missbraucht wird; und abgesehen davon, dass es zum Parteisport geworden ist, der Bevölkerung in Südtirol die Illusion von einer unbegrenzt aus- und weiterbaubaren Autonomie zu vermitteln.

 

Nein, die Autonomie ist nicht die Selbstbestimmung. Von der Autonomie weiß man, was sie ist. Von der Selbstbestimmung gibt es allenfalls Vorstellungen. Die Polemik um die Ja-Stimme der SVP-Parlamentarier zur Verfassungsreform fördert jetzt jenes Doppelspiel zutage, das die Partei in der Autonomiepolitik lang betrieben hat. Sie will dem Volk daheim die Autonomie als die bessere Selbstbestimmung andienen. Zum Zwecke wird die Autonomie mit immer neuen Adjektiven angereichert: mal dynamische Autonomie, mal Vollautonomie, mal Totalautonomie. Die Betitelungen sind politisch korrekt, und verstehen sollte das Volk: Schritt für Schritt zur Selbstbestimmung. Die anderen schreien „Selbstbestimmung!“, wir machen sie. Das sind die Signale. Als Macher werden „unsere Vertreter in Rom“ dargestellt. Die, „die für die Sache dort unten buggeln.“ Besser gesagt, als solche stellen sich diese ausgiebig selber dar. Karl Zellers Selbstdarstellung als wandelnde Schutzklausel ist doch schon Gemeinplatz.

 

Die Polemik darum, wie „sicher“ unsere Autonomie ist, und daraus folgend die allgemeine Verunsicherung gründen deshalb auf einem Falschspiel. Um gut dazustehen, wird einerseits die Gefahr aufgebauscht; von finsteren (Staats-)Mächten wird erzählt, die nichts anderes im Sinn hätten, als Südtirol um seine Rechte zu bringen. Und andererseits werden laufend „Erfolge“ inszeniert, die „unsere Vertreter in Rom“ einfahren. „Hart erkämpfte“, neuerdings sagt Zeller nur noch: „hart erarbeitete“ Erfolge, deren Glanz unvermeidlich auf den abstrahlt, der sie erbringt.

 

Erfolge liegen ja nachweislich vor. Großteils wurden sie von einer summa summarum autonomiefreundlichen, jedenfalls nicht Südtirol-feindlichen Regierung gewährt. Ob dann alles, was dem Volk als „Erfolg“ verkauft wird, für die Menschen – und für die Autonomie – wirklich ein Erfolg ist, darf angezweifelt werden dürfen. Es ist verständlich, dass die SVP-Parlamentarier zur Verfassungsreform, auf die sie maulen, nicht nein sagen können. Sie dürfen nicht. Sie müssen Renzi ihre versprochenen Stimmen liefern. Mitgegangen, mitgehangen. Regionen-Staatssekretär und de facto –Minister Gianclaudio Bressa, der eigentliche Autonomie-Verweser, hat letzthin schon zweimal zur Ordnung gerufen, als die SVP zuerst in Leifers und dann in Bozen fremdzugehen drohte. Da geblieben, oder nix weitere autonome Zuständigkeiten!

 

So ist Politik. So zu tun, als hätte nicht alles seinen Preis, auch die Autonomie, ist naiv. Ob freilich was „für Südtirol herausgeholt“ wurde, das Trara verdient, das nach dem Pflicht-Ja im Senat zur Verfassungsreform angestimmt wurde? Schutzklausel, nachgebessert auch noch, zwei Senatoren, mit dem Trentino vier … Schon gut, aber das eine ist ein Aufschub, allenfalls, und das zweite ist vielleicht gar ein Pyrrhus-Sieg: Ein Posten mehr zwar, doch ob es klug ist, dass unser Regiönchen Trentino-Südtirol sich vier Senatoren genehmigen kann, während zum Beispiel Ligurien mit 50 Prozent mehr Einwohnern nur zwei bekommt? Solche Privilegien schüren nur Neid auf die „Sonderautonomien“. Der Autonomie wäre mehr gedient mit gönnenden Nachbarn als mit einem Senator mehr.

 

Ich bin frei, zugegebenermaßen auch ziemlich erfolgsfrei, und muss nicht für diese Verfassungsreform stimmen. Eine Stimme dagegen, wogegen erklärtermaßen auch alle SVP-Parlamentarier sind. Sie werden sagen, ich habe leicht reden, ich zähle ja nichts. Stimmt schon. Aber ich bin eine Stimme aus Südtirol, eine zumindest, gegen eine Autonomie und Demokratie einschränkende Verfassung, das ist doch was. Ich bin Südtirol-Aktivist.

 

Florian Kronbichler

Rom, 26. Okt. 15

 

 


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