Florian
Kronbichler


Die Brenner-Rhetorik: abrüsten!

Wird am Brenner Angst geschürt vor Zuständen, die nicht bestehen und gar nicht eintreten werden? Die öffentliche Debatte über die Flüchtlingskrise wird tatsächlich weitab von der Wirklichkeit und an ihr vorbei geführt. Es ist, als ob gewisse, sicher nicht flüchtlingsfreundliche Kräfte „das Chaos am Brenner“ herbeischreiben wollten.

Für diese Annahme spricht, erstens, die Realität: Es gibt bis dato am Brenner weder einen Flüchtlingsnotstand noch österreichseits ein „Grenzschutz-Management“, das diese Schreckensbezeichnung verdienen würde. Alle Sonderberichterstatter, die von dem Alarmgetöne zum Brenner geeilt sind, kommen mit der Erkenntnis zurück: Es ist nix.
Seit Anfang des Jahres kommen am Brenner nicht mehr als zwei Dutzend Flüchtlinge pro Tag an. Weit höher ist die Anzahl derjenigen, die von Österreich und Deutschland nach Italien „rückverwiesen“ werden. Der viel beschworene „Zaun“ würde somit eher die gegenläufigen Fluchtströme unterbinden, was kaum die Absicht seiner Erbauer gewesen sein dürfte. Südtirol muss laut staatlichem Verteilungsschlüssel 0,9 Prozent der in Italien aufgenommenen Flüchtlinge beherbergen. Das beträgt in absoluten Zahlen, Stand Ende Februar, 976 Personen. Im Vergleich: Das Bundeland Tirol bringt knapp 6.000 Flüchtlinge unter. Soviel zum Flüchtlingsnotstand im Land.

Zweitens gibt es Anzeichen und Erklärungen, die ein bevorstehendes „Chaos am Brenner“ unwahrscheinlich, jedenfalls nicht unmittelbar bevorstehend erscheinen lassen. Die Konferenz der EU-Regierungschefs von letzter Woche hat Österreich für seinen Alleingang bezüglich Asylanten-Obergrenze und Grenz-Sicherung doch deutlicher gerügt und vor Ultimaten gestellt, als bekannt gegeben wurde. Dies bestätigte auf meine Nachfrage heute bei einer Anhörung der Europa- und Auspolitik-Ausschüsse von Kammer und Senat Staatssekretär Sandro Gozi, der für die italienische Regierung die EU-Agenden hält.

Staatssekretär Gozi bestätigte, dass „Bundeskanzler Faymann in großen Schwierigkeiten“ stecke. Österreich habe jedoch sich ausdrücklich verpflichtet, „das Schengen-Abkommen (mit den offenen Grenzen – Anm.d.Red.) zur Gänze einzuhalten, also auch nicht in Teilen auszusetzen“. Der Staatssekretär mit Mandat für die Europa-Agenden glaube, so antwortete er mir wörtlich „dass Österreich inzwischen gar nicht mehr daran denkt, das angekündigte Grenzmanagement auch umzusetzen“.

Conclusio: Wenn wahr ist, dass „Europa sich am Brenner entscheidet“ (EU-Kommissionspräsident Juncker gegenüber Tirols Landeshauptmann Platter), dann wäre die dringendste Maßnahme zur Rettung Europas eine rhetorische Abrüstung am Brenner. Weniger dramatisieren hilft Flüchtlingen wie Einheimischen mehr.

Foto: „Europa-Minister“ Sandro Gozi: „Österreich denkt nicht mehr daran …“

Florian Kronbichler

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