„Bis jetzt doch nicht!“
Österreichs scheidender Bundespräsident Heinz Fischer gibt vor dem Europarat eine entwaffnende Antwort zur Brenner-Frage.
Es sollte ein Jubiläums- und Abschiedsbesuch vor der zwar nicht wichtigsten, jedoch ideell höchststehenden Europa-Institution werden. Vier Tage vor Beginn der Wahl seiner Nachfolge stellte sich Heinz Fischer den Fragen des Europarates. Vor genau 60 Jahren, April 1956, trat die damals von den Siegermächten frisch in die Souveränität entlassene Republik Österreich dem Europarat bei. Der Bundespräsident selber und seine parlamentarischen Landsleute taten alles, um den Auftritt zum Österreichtag in Europa zu machen. Vertreter anderer Länder holten den Staatsmann jedoch bald in die wenig feierliche Aktualität herab: das Flüchtlingsdrama.
.Ich selber auch. Direkt, aber höflich stellte ich Fischer die Frage: „Lieber Herr Bundespräsident, warum lassen Sie zu, dass in der Flüchtlingsfrage Ihr Land die Brennergrenze als ganz normale Grenze behandelt, die bei Bedarf auch ‚geschlossen werden’ könnte?“ Fischers Antwort darauf klang mehr rechtfertigend als beruhigend. Er sei ja selber gegen das säbelrasselnde Gerede „gewisser Leute“, doch wolle er festhalten: den Brenner habe niemand gesperrt, – „jedenfalls bis jetzt nicht“. Und was meine Verwunderung über die Sicht vom Brenner als „normaler Grenze“ anlange, ereiferte der Bundespräsident sich sehr gewagt. Österreich könne nicht, wenn es gegenüber Ungarn, Kroatien und Slowenien dicht mache, „so tun, als sei der Brenner keine Grenze, sondern etwas Besonders.“
Dass Grenzen eben Grenzen seien, und der Brenner eine davon, so ausdrücklich sagte es der um Südtiroler Empfindlichkeiten wohl wissende Bundespräsident nicht. Doch verstanden wurde er eindeutig so. Damit weckte er bei Parlamentariern mit längerem Gedächtnis eine Episode von vor 20 Jahren. Damals tat der seinerzeitige italienische Staatspräsident Oscar Luigi Scalfari anlässlich des Forums Alpbach, eine Begnadigung der Südtirol-Attentäter in Frage stellend, den Ausspruch: „Dinamite è dinamite“. Gemeint war, den Südtirol-Attentätern könne nicht das gewährt werden, was Rot- und Schwarzterroristen verweigert werde. Geschossen hätten beide. Seit jenem Ausspruch gilt Scalfaro, der 2012 starb, als Südtirol-feindlich. Bundespräsident Fischer dürfte für seine nicht ausgesprochene „Grenzen-sind-Grenzen“-Position weniger nachhaltig belangt werden.
Auf meinen Vorschlag, das politische Ausnahme-Gebilde Europaregion Tirol als Ausnahme-Chance zur Bewältigung der Flüchtlingsfrage zu nutzen, wollte Bundespräsident Fischer nicht eingehen.
Florian Kronbichler