“Brenner-Brief” an den neuen österreichischen Bundespräsident Alexander van der Bellen
Sehr geehrter Herr Bundespräsident!
Lieber Sasha!
Erlaube mir, bitte, dass ich zusammen mit dem Ausdruck meiner Freude über deine Wahl zum Bundespräsidenten dir gleich mit einer dringenden Bitte komme: Ich habe nach dem Zusammentreffen der Innenminister Österreichs und Italiens, Wolfgang Sobotka und Angelino Alfano, am 13. Mai am Brenner, in einer Presse-Aussendung vom „Happyend einer Beziehungskrise“ gesprochen und das dabei getroffene Abkommen als „Friedenserneuerung unter guten Nachbarn“ gelobt.
Inzwischen fürchte ich, ich könnte zu voreilig triumphiert haben. Akkurat in diesen Tagen, da Südtirol und ganz Italien erleichtert aufatmen und sich freuen über den Wahlausgang in Österreich, häufen sich Anzeichen, wonach jene verbale und auch materielle Abrüstung am Brenner, die zwischen den Ministern im Beisein der Landeshauptleute von Tirol und Südtirol vereinbart worden war, entweder schon wieder bricht oder überhaupt nur ein Bluff war.
Am Vorabend deiner Wahl zum Bundespräsidenten hat Tirols Landeshauptmann Günther Platter mit dramatischen Zahlen von Flüchtlingsübergängen aufgewartet, für die er keine Beweise nennt und die von keiner einigermaßen unbefangenen Stelle bestätigt werden. Zudem hat der in der Flüchtlingsfrage bisher durchaus besonnen auftretende Landeshauptmann Vorwürfe an die Adresse Italiens gerichtet, die in der Wortwahl beleidigend waren und dem Versprechen von einem „verbalen Abrüsten“ schlicht Hohn sprechen.
Und was noch besorgniserregender ist: Akkurat am Tag deiner Ausrufung zum Bundespräsidenten von Österreich, wurden am Brenner Vorkehrungen getroffen, von denen uns versprochen worden war, dass sie uns erspart blieben. Die Polizeipräsenz wurde wesentlich verstärkt, und weitere Verstärkung der „Grenzkontrolle“ ist angekündigt. Zudem wurden einschlägig vorgesehene Bauarbeiten in Angriff genommen.
Es mag Zufall sein, dass dieser Rückfall in eine vorbeugende Brenner-Befestigung zeitlich mit der Bundespräsidentenwahl zusammenfällt. Dann ist es aber ein sehr symbolträchtiger Zufall. Hätte dein Konkurrent die Wahl gewonnen, hätte ganz Europa die Brenner-Wiederbefestigung als logisch interpretiert und als ersten Beweis für ein zukünftig xenophobes und europafeindliches Österreich hingestellt. So hingegen fragt sich vermutlich nicht nur Südtirol: Haben wir uns nicht gerade über einen neuen Präsident Österreichs gefreut, der solches nicht will?
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, lieber Sasha, setze bitte ein Zeichen, dass der Brenner seinen Sonderstatus unter den europäischen Binnengrenzen und seinen Symbolcharakter für Grenzüberwindung beibehält. Lass nicht zu, dass ausgerechnet das Datum deiner Wahl, die den Sieg eines demokratischen Widerstands darstellt, von einem Rückfall in Isolation, Kontrollen und Aussperrung symbolisch beschädigt wird.
Mit den besten Wünschen für dich und dein Land,
Florian Kronbichler
Grünen-Abgeordneter zum italienischen Parlament