Florian
Kronbichler


Italiens Schmuggelweg: über CETA zu TTIP.

Wer TTIP für eine Gefahr hält und CETA (die kleinere, weil „nur“ kanadische Schwester dazu) für die Hintertür zu TTIP, darf nicht auf Italien vertrauen. Im Unterschied zu Deutschland etwa, aber auch zu Frankreich, Österreich, Holland oder Dänemark, die die Verhandlungen mit den USA nachbessern, wenn nicht gar stoppen wollen, fährt die italienische Regierung weiterhin unkritisch auf TTIP-Kurs. Den Beweis dafür lieferte gestern der neue Wirtschaftsminister Carlo Calenda bei einer Anhörung in der Abgeordnetenkammer.

Calenda musste sich – auf Aufforderung von unter anderen auch mir – für einen offensichtlichen Sinneswandel innerhalb seiner Regierung erklären. Bisher galt immer, dass das Handelsabkommen der EU mit Kanada, genannt CETA, ein sogenanntes „gemischtes Abkommen” sei, also von der EU als Ganzer und auch den jeweiligen Mitgliedsstaaten zu beschließen sei. Letzte Woche nun, aus heiterem Himmel, erklärte der soeben ernannte Minister Calenda, CETA sei im Unterschied zu TTIP kein „gemischtes“ Abkommen. Es reiche, dass es auf EU-Ebene beschlossen werde, und müsse nicht mehr durch die nationalen Parlamente.

Das ganze ist ein perfider Strategiewechsel in der transatlantischen Handelspolitik. Die europäischen Regierungen fürchten, das kompliziertere und politisch heiklere TTIP nicht mehr oder zumindest nicht wie gewünscht und vor allem nicht rechtzeitig durchzubringen. So setzen sie auf den Umweg CETA: Die Verhandlungen dafür sind abgeschlossen, es hat „nur“ Kanada zum Partner, und es ist bisher weitgehend im Windschatten des politisch viel aufgewiegelten TTIP gesegelt. Inzwischen weiß man: Jeder größerer US-Konzern hat Niederlassungen auch in Kanada und kann somit über diese den europäischen Markt fluten.

Minister Calendas „Informationsstunde“ kam bei auch nur einigermaßen TTIP- und CETA-fitten Parlamentariern nicht gut an. Er prahlte vom italienischen Handelsvolumen mit den USA (letztes Jahr angeblich 37 Milliarden Euro) und stellte gleichzeitig einen raschen TTIP-Abschluss als Voraussetzung und größte Chance für weiteres Wachstum darf. Ein eklatanter Widerspruch.

Weiters zeichnete Minister Calenda Italien als das Land, das sich in den Verhandlungen mit den USA am kompromisslosesten erwiesen habe. Das ist außer großtuerisch schlicht falsch. So wie es falsch ist, dass es das Verdienst der italienischen Regierung sei, dass jetzt ein so genannter Lese-Saal eingerichtet wurde, in dem Parlamentarier Einsicht in die Verhandlungspapiere nehmen können.

Das Gegenteil ist wahr. Italien hat diesen Lesesaal als einen der letzten europäischen Länder eingerichtet. Fast ein halbes Jahr nach dem deutschen Bundestag. Doch abgesehen, dass dieser Lesesaal – ich berichtete drüber – keine wirkliche Transparenz darstellt, sondern eher die Karikatur einer solchen, wahr ist anscheinend auch: dass die Parlamentarier nicht einmal diese Möglichkeit zur Information nutzen. Ich war zusammen mit meinem Gruppenkollegen Giulio Marcon als erster dort, und zwar im Moment seiner Eröffnung am 30. Mai, 10 Uhr. Seither, bis 15. Mai, seien nur 18 Parlamentarier vorstellig geworden. „Zum Beweis, dass unser Transparenz-Angebot größer als die Nachfrage ist“, erlaubte sich der Minister zu höhnen. In der Tat: Italien wird TTIP schwerlich stoppen. Diesfalls zum Glück: Italien ist nicht ganz Europa.

FOTO: Con il collega Sel Giulio Marcon il 30 maggio davanti alla Sala-lettura TTIPichler

Florian Kronbichler

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