Toponomastik. „In einem Geist der Billigkeit und Weitherzigkeit“
Weiterhin bleibe ich auf dem Standpunkt, dass alle bisherigen Vorschläge zur Lösung der Südtiroler Toponomastik-Frage unbefriedigend waren. Mit jedem wäre ein größeres Problem geschaffen worden, als das zu lösende Problem es darstellt. Meine Losung lautet deshalb: No solution best solution. Alle Namenzählerei und gegenseitiges Aufrechnen schafft nur Unfrieden, und davon haben wir sonst genug. Bei den vielen gut gelösten Fragen unserer Autonomie sollten wir imstand sein, mit dieser einen ungelösten Frage zu leben.
Diese Woche, genau am Freitag, 23. September, wird die Sechserkommission neuerdings über eine Lösung befinden. Der Vorschlag ist heute vom Landtagsabgeordneten Alessandro Urzì zum Anlass genommen worden, vor einer „tolomeischen Retourkutsche zu warnen, von „sprachpolitischer Säuberung“ und von Ausmerzung von mehr als der Hälfte der italienischen Ortsnamen zu reden.
Der Wahrheit zuliebe und im Interesse des friedlichen Zusammenlebens im Land fühle ich mich verpflichtet, die Wertungen des Landtagsabgeordneten Urzì als haltlos, verfälschend und ethnische Hetze zu verurteilen. Alle bisherigen von der SVP, der Landesregierung und auch vom Südtiroler Landtag vorgeschlagenen Lösungen haben meines Erachtens die Empfindlichkeiten der italienischen Mitbürger nicht ausreichend berücksichtigt. Manches entsprang reinem Revanche-Denken. Das Aufrechnen von „geschichtlich gewachsenen“ deutschen Namen gegen „faschistisch erfunde “ italienische hat eine unselige Dynamik gegenseitigen Misstrauens und Beleidigens in Gang gesetzt. Aus solcher Logik ist auszubrechen.
Vor diesem Hintergrund scheint mir der Lösungsvorschlag, wie die Sechserkommission ihn diesen Freitag zur Verabschiedung vorliegen hat, ein diskussionswürdiger Fortschritt. Mit ihm haben sich unsere Durchführungsbestimmungs-Drechsler zu einem mittleren Tabubruch durchgerungen. Oder sie ließen sich dazu zwingen (immerhin gilt es, einem als bedrohlich empfundenen Spruch des Verfassungsgerichtshofs zuvorzukommen). Die gesamte Materie wird einer wirklich paritätisch deutsch-italienischen Vierer-Expertenkommission anvertraut, zwei Deutsche und zwei Italiener. Die italienischen Kommissare werden von den italienischen Landtagsabgeordneten des Landtags namhaft gemacht. Voraussetzung ist natürlich, dass es Kommissare von Kompetenz und mit der nötigen Konfliktstärke sind. Es wird damit sichergestellt, dass kein Name ohne das Einverständnis mindestens eines Vertreters der anderen Sprache genehmigt, bzw. gelöscht wird. So sollte es zu keinen Übervorteilungen kommen.
Natürlich sind Verbesserungen bei Vorgaben, Zusammensetzung und Ernennung für die beschließende Expertenkommission vorstellbar. Die Durchführungsbestimmung könnte präzisere Vorgaben enthalten. Sie spricht allgemein von „objektiven Kriterien“, schreibt selber aber keine solchen vor. Sie setzt auch keine Termine für Ernennung und Amtsdauer der Kommissare. „Sicherer“ wäre es, etwa drei Kommissare pro Sprachgruppe zu ernennen anstatt nur zwei. Damit müsste jeder Lösung eine Mehrheit jeder Sprachgruppe zustimmen.
Doch wie auch immer, von Revanchismus, Säuberung oder auch nur Übervorteilung kann diesmal nicht gesprochen werden. Meines Erachtens zum ersten Mal. Der Vorschlag der Sechserkommission ist endlich von einem Geist der Gleichheit getragen. Vielleicht vom „Geist der Billigkeit und Weitherzigkeit“, wie er im Pariser Vertrag von vor 70 Jahren beschwört ist.
Florian Kronbichler