Auf Wahlbeobachtung in Georgien
Heute melde ich mich aus Tiflis, der Hauptstadt Georgiens. Samstag wählt der ehemals sowjetische 5-Millionen-Einwohnerstaat zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus ein neues Parlament. Ich bin im Rahmen einer Europarat-, Nato- und OECD-Delegation als Wahlbeobachter hier. Drei Tage lassen wir uns den Zustand der Demokratie im Land sowie System und Abwicklung der Wahlen erklären und besuchen dann am Wahltag selber stichprobenartig verschiedene Wahlsektionen.
Für mich ist „Wahlbeobachter“ eine erstmalige Erfahrung, und es beschleichen mich zwiespältige Gefühle bei der Arbeit.
Erstens positiv: Ich lerne am Beispiel der Georgier Wahlen, dass es in sogenannten demokratischen Schwellenländern (früher hat man dazu weniger schamhaft Entwicklungsländer gesagt) durchaus Demokratie-Praktiken gibt, von denen wir „entwickelte“ Demokratien nur lernen könnten. Es wird hier vom Staat noch was getan, um die Menschen zu den Urnen zu bringen. Und nicht nur: Notfalls bringt der Staat die Urne zu den Menschen. In Fällen von Krankheit, Behinderungen, Haft oder schlicht nur Unabkömmlichkeit, kommen zwei Wahlkommissionsmitglieder mit der Urne direkt ins Haus.
Zweitens und bedenklich: Ich frage mich, wer wir sind und was wir hier sollen. Es liegt auch etwas Arrogantes und Demütigendes im System der „Wahlbeobachtung“. Man setzt den beobachteten Staat vorauseilend unter Verdacht, er könne selber nicht für die rechtmäßige Abwicklung einer politischen Wahl sorgen. Im Fall der jungen Demokratie Georgien ist dies besonders heikel.
Ich habe, abseits des offiziellen Programms, bereits mit Menschen reden können, die sich allein durch unsere Anwesenheit und den Zweck der Anwesenheit beleidigt fühlen. Sie kennten solche fürsorgliche Beaufsichtigung schon von früher her. Gemeint sind die Sowjets. Die Russen sind in Teilen Georgiens immer noch und teils wieder da. In den russisch besetzten Teilen wird auch nicht gewählt. Und leider auch nicht „beobachtet“. Es wird sogar schon bis hier in den Kaukasus gewitzelt, ob denn die europäischen Aufpasser demnächst auch die Präsidentenwahlen in Österreich auf ihrem Radar hätten.
Ich versuche meine Arbeit so gespürvoll wie möglich zu verrichten.
Florian Kronbichler