Florian
Kronbichler


 “Südtirol hat die Italiener beeindruckt”

salto.bz: Herr Kronbichler, haben Sie damit gerechnet, dass das Verfassungsreferendum am 4. Dezember so ausgeht wie es ausgegangen ist: mit einem klaren Sieg des Nein?

Florian Kronbichler: Nein, ich habe überhaupt nicht damit gerechnet. Ich muss gestehen, ich bin ein schlechter Prophet. Ein klein bisschen abergläubisch habe ich dazu tendiert, das vorauszusagen, was ich hoffte, dass nicht eintreten wird.

Insgeheim darauf gehofft haben Sie aber? Immerhin waren Sie bis zuletzt für das Nein auf den Straßen und bei Diskussionsrunden unterwegs.
Gehofft ja. Aber erwartet habe ich mir das Gegenteil. Damit bin ich nicht allein. Ich habe gehört, dass selbst Karl Zeller in sehr vertrauten Kreisen gesagt haben soll, dass sowohl auf Staatsebene als auch in Südtirol das Nein gewinnen wird. Ich habe mir eher erwartet, dass sich die Italiener traditioneller verhalten würden. Dass sie einerseits zwar schon fest auf Renzi maulen und die Verfassung hochleben lassen, aber zum Schluss doch Angst vor dem Sprung ins Ungewisse bekommen, den letzten Schritt nicht wagen – und für das Bestehende optieren.

Ist nicht genau das passiert? Die Verfassung bleibt ja nun so, wie sie war.
Das Bestehende war eigentlich eher Renzi und nicht die Verfassung.

Es ging am 4. Dezember tatsächlich nicht um die Verfassungsänderung sondern um den Ministerpräsidenten?
Wenn jetzt gesagt wird, Renzi war Schuld, dass das Nein gewonnen hat, weil er das Referendum zu sehr personalisiert hat, dann sehe ich das nicht so. Denn alle Referenden werden zum Schluss zu einer Frage über die Regierung und nicht über den Gegenstand der Abstimmung. Das war dieses Mal auch der Fall, sowohl auf Staatsebene als auch in Südtirol. Wobei mich das Südtiroler Ergebnis mehr überrascht hat als das gesamtstaatliche.

Wie erklären Sie sich das gegensätzliche Resultat?
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dann wäre er jetzt geliefert: Südtirol ist nicht Italien, überspitzt ausgedrückt. Wobei beide sehr unterschiedlich gleich gewählt haben. Sehr schön und vielleicht auch etwas selbsttröstend hat das in einer ersten Stellungnahme Riccardo Dello Sbarba ausgedrückt, finde ich: Die Südtiroler haben “diversamente sì” gewählt. Das “Sì” der Südtiroler ist eigentlich ein “Nein” zur Verfassungsreform.

Das müssen Sie genauer erklären.

In der Diskussion in Südtirol wurde letztlich nicht mehr über das Verfassungsreferendum gesprochen sondern über die Schutzklausel. Zeller und auch der Landeshauptmann haben die Schutzklausel also so grandios und wichtig dargestellt, dass auch ein schlichtes Gemüt zur Überzeugung kommen musste, dass diese Verfassung eigentlich ganz etwas Schlimmes ist und wir uns deswegen davor schützen müssen. Um den Schutz vor dieser schrecklichen Verfassung durchzubringen, müssen wir also mit Ja stimmen.

Landeshauptmann Kompatscher sagt, Südtirol habe sich als glaubwürdiger Partner in Rom bewiesen. Andersrum wird der SVP vorgeworfen, mit ihrer Positionierung für eine zentralistische und demokratiefeindliche Verfassungsreform Südtirols Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt zu haben. Was nun?
Wenn sie inhaltlich ja gesagt hätte, stimmt sicher Zweiteres, selbstverständlich. Aber wer spricht über Inhalte? Die SVP hat ohne Schaden verloren, denn die zentralistische Verfassungsreform tritt nicht in Kraft. Insofern hat sie denen zu danken, die die Reform abgelehnt haben.

Am Montag präsentierte sich die SVP als Siegerin und das Ja der Südtiroler als Ja zur SVP. Hält dieses Bild?
Man kann ihr das nun nicht verargen, sie macht das geschickt. Ich bin überzeugt, dass die SVP von dem Ergebnis, das sicher ein Sieg für sie ist, nicht weniger überrascht war als ich. Sie hat das nicht geplant und nicht erarbeitet, sondern es ist ihr passiert.

Es war pures Glück?
Glück ist ja erlaubt. Die SVP hat es gleich in mehrerer Hinsicht gehabt. Niemand, und die Volkspartei am wenigsten, hat gedacht, dass es so ausgeht. Und sie hat eigentlich nicht viel getan, hat sich nicht weiß Gott wie angestrengt und kaum plakatiert. Die paar Plakate mit dem Kirchturm und die paar Pressekonferenzen und Teilnahmen an Diskussionen waren ein schüchternes Auftreten, damit man nicht sagen muss, man hat gar nichts getan. Daher ist man fast erschrocken als das Resultat feststand. Die SVP stand mit ihrer Linie weitgehend allein. Und sie hat gewonnen, jenseits aller Erwartungen, vor allem der eigenen.

Welche Konsequenzen wird das Südtiroler Ja aus Ihrer Sicht innerhalb der SVP haben?
Es wird sicher längerfristig nachwirken. Das war die geglückte Abrechnung von Kompatscher mit den ‘Alten’. Die internen Streitigkeiten wurden auf eine Art und Weise ausgetragen, die für Südtirol nicht recht vorstellbar war. ‘Brave’ Altmandatare sind für den jungen Landeshauptmann, der eh schon in Schwierigkeiten ist, eingesprungen und haben gesagt “So tut man nicht”. Kompatscher hat sich in diesem Generationenkonflikt jetzt emanzipiert.

Hat sich Südtirol mit seinem Votum im restlichen Italien Feinde gemacht?
Manche befürchten, dass wir jetzt, nachdem Renzi nicht mehr da sein wird, von den anderen dafür abgestraft werden.

Von denen, die auf der Siegerseite stehen, also dem Nein-Lager?

Wir haben das Glück, dass es keine anderen identifizierbaren Sieger gibt. Auf Staatsebene hat jemand verloren – Renzi und PD –, aber niemand gewonnen. Das Sieger-Lager ist so heterogen, eifersüchtig untereinander und miteinander in Konkurrenz – da hat die SVP keinerlei Racheakte zu erwarten. Sie hat das Bild in den Italienern und in Rom aufpoliert, dass es ‘da oben’ nicht nur eine Partei sondern offenbar eine ganze Volksgruppe gibt, die so gewählt hat. Das war eine Demonstration von Geschlossenheit, die im Italien der Aufgesplittetheit unheimlich beeindruckt. Dieser Andersartigkeitscharakter ist so wie schon lange nicht mehr aufgefrischt worden. Und selber macht sich die SVP gut Freund mit Renzi und dem PD, der zwar verloren hat, aber wahrscheinlich nicht aufhören wird, die bestimmende Kraft zu bleiben.

Matteo Renzi wurde von Staatspräsident Mattarella gebeten, bis zur Verabschiedung des Haushaltsgesetzes im Amt zu bleiben. Mit ihm tritt ein – so zumindest hat ihn die SVP bezeichnet –“Freund Südtirols” ab. Wird sich sein Nachfolger auch als solcher entpuppen?
Renzi wusste lange Zeit überhaupt nichts von Südtirol und ob er jetzt ein Südtirol-Freund ist… Jedenfalls pflegt die SVP dieses Verhältnis zu ihm. Der Volkspartei ist es nach einem Südtirol-Freund an der Regierung nämlich immer wieder gelungen, auch die nächsten zu Südtirol-Freunden zu machen; Freundschaften nicht nur zu pflegen, sondern neu zu knüpfen. Man kann es auch Opportunismus nennen, aber den können wir uns als Südtiroler mit diesem Sondercharakter, den wir in Rom haben, leisten. Auch Berlusconi war kulant mit Südtirol, muss man sagen.

Vor dessen Rückkehr geht im Land genauso die Angst um wie vor einem Sieg von Beppe Grillos Movimento 5 Stelle. Das hat viele dazu bewogen, am 4. Dezember mit Ja zu stimmen. Machen Sie sich Sorgen?
Nehmen wir an, dass das für Südtirol größtmögliche Schreckgespenst eintreffen würde und 5 Stelle an die Regierung kommt. Neue Kräfte müssen so viel beweisen und da kommt uns zugute, dass wir, wie ich vorhin gesagt habe, als eine derart exotische Ausnahme wahrgenommen werden, dieses Anders sein. Und wir haben ein Talent zum Sich kennenlernen und Sich näherkommen. Wir sind Gastwirte in diesem Sinn, es ist unser Charakter, dass wir zu Gästen freundlich sind.

Nun ist ja noch nicht klar, wie es weitergehen wird, ob es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt oder es eine Übergangsregierung bis 2018 geben wird. Ihre Einschätzung?

Ich bin überzeugt, dass es wieder eine PD-Mehrheit sein wird, die das Land zumindest bis zum Ende dieser Legislatur administrieren wird. Der Staatspräsident wird aber alles versuchen, um die Geschichte in die Länge zu ziehen und Neuwahlen zu verhindern. Ob ihm das gelingt, ist allerdings fraglich. Viele Parteien, darunter auch die Gruppe, der ich angehöre (Sinistra Italiana, Anm. d. Red.) ebenso wie 5 Stelle, sind der Meinung, dass es zum guten Ton gehört, jetzt Neuwahlen zu fordern.

Unabhängig davon, ob vorher das Wahlgesetz reformiert wird?
Nein, nein, da stimme ich zu. Mit dem aktuellen Wahlrecht wird es keine regierungsfähige Mehrheiten in den beiden Kammern geben. Mit den unterschiedlichen Wahlsystemen für Kammer und Senat ist es mathematisch fast unmöglich, dass es nicht zu zwei verschiedenen Mehrheiten kommt. Ohne Reform geht es also gar nicht. Das Versprechen, dass man das Italicum abändert, ist schon da.

Wie könnte das neue Wahlgesetz ausschauen?
Ich bin überzeugt, dass ein Kompromiss zwischen PD und dem Mitte-Rechts-Lager um Berlusconi zustande kommen wird. Die alles daran setzen werden, die 5 Stelle draußen zu halten.

Eine Neuauflage des “Patto del Nazareno”?
Es bleibt natürlich abzuwarten, was mit dem PD jetzt geschieht. Die sind sich nicht eins. Es gibt ja gar einige, die geglaubt hatten, dass das größere Risiko für den Partito Democratico ein Sieg des Sì gewesen wäre.

Was wäre in diesem Fall passiert?
Sein wohl bekannter Übermut wäre ihm zu Kopf gestiegen, er hätte sofort den Schwung für Neuwahlen mitgenommen und dort bei der Listenaufstellung mit dem ganzen Strandgut den so genannten Linken seiner Partei – Bersani und diese Kreise – abgerechnet.

À propos Linke. Wie ist die Stimmung im linken Lager?
Die Linke selber, also jene, die außerhalb des PD ist, wartet sehnlichst und hat die Illusion, dass sich jetzt eine größere Partei links vom PD bilden wird. Ich bin da nicht so zuversichtlich. Die sind alle sehr eigensinnig und jeder meint, er ist die wahre Linke. Was ja charakteristisch für die Linke ist.

Zurück zu Renzi: Im Gegensatz zu Ihnen ist Karl Zeller davon überzeugt, dass die Niederlage von Sonntag der politischen Karriere des PD-Chefs sogar nützen kann. Und dass Renzi gestärkt aus dieser Geschichte hervorgeht und die nächsten Wahlen sogar gewinnen wird.

Gemessen daran, wie stark Renzi jetzt wäre wenn er gewonnen hätte, ist das kein Vergleich – er wäre deutlich stärker nach einem Sieg. Für mich ist das eine doch etwas abenteuerliche Einschätzung, die ich für ein Wunschdenken von Karl Zeller halte. Ich habe den Eindruck, dass sich Zeller in den letzten zwei, drei Jahren politisch sehr stark vom Falken zur Taube bekehrt hat.

Dass er in Zukunft noch leiser werden wird, hat Karl Zeller offen zugegeben. Er wird nicht noch einmal für Rom kandidieren. Wie halten Sie es mit einer zweiten Kandidatur?
Der Abgeordnete Florian Kronbichler ist ja eigentlich ein kleiner Unfall der Geschichte. Ich habe den Job so gut es geht betrieben und jeden Tag wird mir bewusst, welches Privileg es ist, am Ende einer Berufslaufbahn eine gscheite und interessante Tätigkeit in der schönsten Stadt der Welt zu haben. Aber es gibt sicher keinen nächsten Abgeordneten Florian Kronbichler mehr. Ich halte mich nicht für so unwiderstehlich, dass ich nicht für einen Besseren Platz machen würde.

Gibt es einen Besseren?
Einer mit großem Talent ist von mir aus gesehen ein Paul Köllensperger. Das hat er erst jetzt wieder bewiesen. Kaum jemand hat sich so gut und so brillant im Referendumswahlkampf engagiert wie der Paul. Und wer weiß… Wer hat sich das vorstellen können, was in St. Ulrich passiert ist? Die Volkspartei wird sich künftig hüten müssen.

Interview von Lisa Maria Gasser/salto

 


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