Florian
Kronbichler


Toponomastik: Keine Lösung ist auch eine Lösung

Die Stellungnahmen von Landeshauptmann Kompatscher und SVP-Obmann Achammer zur Toponomastik-Frage im Land können nicht unwidersprochen bleiben. Sie sind Drohungen an die Gegenseite und schieben alle Schuld am befürchteten Scheitern einer Einigung an ebendiese. Aus dem Opfer einer Toponomastik-Regelung, als welches bisher fraglos und auf allseits akzeptierte Weise die Italiener dastanden, wird ein Täter konstruiert. Dem Partito democratico, italienischer Regierungspartner im Land, wird vorgeworfen, „die Chance zu verpassen, einen gemeinsamen Schlussstrich unter eine jahrzehntelange Debatte zu setzen“. Es fragt sich: Wer sucht denn diese „Chance“? Wer hat dabei was „zu verpassen“? Und drittens, wer zog die Debatte „über Jahrzehnte“ hin, und wer braucht jetzt den „Schlussstrich“ wirklich?

Ich erlaube mir zu wissen: Kein Italiener im Land empfindet einen Abschluss der Toponomastik-Frage als Chance. Keinen stört die Debatte, und dauere sie zehn weitere Jahre lang. Alle sehen in ihr die Enteignung von so etwas wie einem erworbenen Recht, je länger sich der Streit hinzieht, um so mehr. Unterschiede in der Gefühlslage gibt es allenfalls, was das Ausmaß des ihnen abverlangten Verzichts betrifft. Manche gewichten ihr „Opfer“ nach der Anzahl der preisgegebenen italienischen Namen. Manch andere sehen in jedem Antasten des Namen-Corpus insgesamt eine Entnamung in des Wortes schrecklichster Bedeutung, eine ethnopolitische Bosheit, die umso persönlicher genommen wird, als niemand versteht, was die Gegenseite davon hat.

Warum tun sie uns das an? Das die meist gestellte Frage. In ihr liegt Unverständnis, Resignation, und beides – blicken wir doch der Realität ins Auge! – beides hat sich mittlerweile zu Trotz und Verweigerung ausgewachsen. Die Vertrauensbasis ist dahin. Es gibt untrügliche Anzeichen, dass es für eine Lösung zu spät ist. Wenn der SVP-Obmann in seinem Drohbrief an den PD von Schlussstrich spricht und von „keiner Lösung“ als von einem „Rückschlag für alle Südtiroler, nachdem erstmals seit vielen Jahren eine Einigung greifbar ist“, so kann er das doch selber nicht glauben. Von wegen „greifbar“ – die Positionen haben sich weiter entfernt, die Ablehnung italienerseits haben vom ehemals rechten, nationalistischen Lager auf ihre Gesamtheit übergegriffen.

Lokalen PD-Politikern, die jetzt auf hart schalten, wirft die SVP jetzt vor, sie würden aus minderwertigem „Wahlkalkül“ das Spiel der alten Rechten machen. Ist schon möglich, doch was heißt Wahlkalkül? Der Südtiroler PD hat allen Grund zu einem solchen. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen: Keine italienische Partei, die heute in der Toponomastik-Frage einknickt und mit der SVP einen gemeinsamen „Schlussstrich“ darunter zieht, wird die nächsten Wahlen überleben. Und die SVP ist außer hochgradig unfair ihrem Landesregierungspartner gegenüber auch noch dumm, wenn sie glaubt, sie kann weiterhin ihre guten Beziehungen zu hohen PD-Politikern in Rom gegen deren störrischen Parteiwichte in Bozen ausspielen. Gutwettermacher Bressa und seine turnusmäßigen Regionenminister, ob links oder rechts, können Südtirol schon zu allerhand Durchführungsbestimmungen und Zuständigkeiten verhelfen, aber sie können Südtirols Italiener nicht länger ungestraft demütigen.

Ich fürchte, die Geduld unserer Italiener (treffender wäre: ihre Lethargie) in Sachen Autonomie ist aufgebraucht. Die Toponomastik-Regelung, zwar nie gemocht, doch jahrelang nur zerstreut bis gar nicht verfolgt und eher verachtet als abgelehnt, hat für die gesamte Sprachgruppe Testfall-Charakter erlangt. Durchführungsbestimmugen, ob zu recht oder unrecht, egal, sind italienerseits jahrzehntelang als Gewinne für die deutsche Seite wahrgenommen worden. Sie wollen selber auch einmal gewinnen. Und was fast noch wichtiger ist: als Gewinner dastehen.

Ganz offenbar ist diese Bewusstseinsnahme dabei, sich an der Toponomastik-Frage zu entzünden. Die SVP, wenn sie verantwortungsvoll ist, wird das zu verstehen versuchen. Sie ist für den Frieden im Land erstverantwortlich, und das Verstehen beginnt mit dem Eingestehen eigener Fehler. Alles in allem wird gesagt werden dürfen, dass die Partei in der Ortsnamensfrage einer patriotischen Erpressung erliegt, und das seit Magnagos Zeiten. Ich erlaube mir zu glauben, die Kompatscher-Achammer-SVP würde ja, wenn da nicht die Klotz und der Leitner und der Pöder … Gemeint: aus der Vernunft Profit schlagen würden. Die Partei steckt schlicht in dem klassischen Karl-Valentin-Dilemma: Mögen täte ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.

Und je länger jemand sich nicht getraut, desto mehr Fehler macht er. Welch verheerender Schaden etwa ist mit der Schilder-Geschichte an Bergsteigen und Wanderwegen angerichtet worden! Ja, ja – der Alpenverein war es. Ausrede! Das schlichteste Gemüt verstand, dass die Partei und sogar die Landesregierung zumindest Schmiere standen. Die einsprachig deutsche Beschilderung war der Vertrauensbruch. Am Berg fängt es an, die Italiener bekommen es dort eh nicht mit … So wurde gedacht. Die Italiener bekamen es aber mit. Die Operation „fatti compiuti“, vollendete Tatsachen schaffen, wurde als Schlaumeierei und Falschspiel entlarvt, und seither traut keiner keinem mehr. Landeskundige Italiener (die gibt es!) finden immer neue Verstöße gegen die gebotene Zweisprachigkeit, machen manche Nicht-Namen so zu „ortsüblich gebräuchlichen“ und somit erhaltenswerten, und Alessandro Urzì, der einschlägig Gewiefteste, bringt die Sünden zu Landtagsehren.

Statt auf den neuen Toponomastik-Don Quichotte Roberto Bizzo dreinzuhauen, sollten Kompatscher und Achammer ihre Vorgänger-Landesregierung und den AVS ins Gebet nehmen. Diese haben jede einvernehmliche Regelung versaut. Der Rest wird mit der unseligen Namenszählerei verdorben. So viele ja, so wenige nein, Liste A den Deutschen zu viel, Liste B den Italienern zu wenig, jetzt hat Pacificator Francesco Palermo eine Liste C nachgereicht – schließma alles ein! -, es wird nichts nützen. Der SVP-Verweser in der Sechserkommission, Karl Zeller, hatte mit dem Vorschlag einer paritätischen Dreier-Expertenkommission (3 deutsch, 3 italienisch, und jede Sprachgruppe muss ieweils mit Mehrheit entscheiden) einen erstaunlich entgegenkommenden Vorschlag akzeptiert. Dann aber kaprizierte er sich bald wieder auf alte Listen („Durnwalder-Fitto, Durnwalder-Delrio), und dahin ist der Kompromiss. Unabhängige, paritätische Expertenkommission und vorgegebene Namenslisten? Ist doch ein Widerspruch in sich.

Was wird sein? Die Italiener, jetzt auch in Gestalt des Südtiroler PD, signalisieren: hart bleiben! Die SVP macht Druck. Beim Verfassungsgericht behängt das Verfahren über das einschlägige Landesgesetz. Der Spruch hätte schon vor drei Jahren erfolgen sollen. Kompatscher und Konsorten fürchten das Schlimmste und haben politisch Aufschub erwirkt, bis das Landesgesetz in den fraglichen Punkten abgeändert ist. Ad infinitum werden die Verfassungshüter nicht warten. Was dann aber? Man wird Verständnis haben müssen dafür, dass die SVP (und von anderen Parteien nicht zu reden) den so genannten tolomeischen „Prontuario“ mit eigenem Landesgesetz nicht anerkennt. Die aufgezwungenen „faschistischen“ Namen erleiden? Notfalls. Sie erklärtermaßen anerkennen? Nie. Die Haltung der Italiener: Vergesetzlicht eure deutschen Namen, wie und wie viele ihr wollt, aber lasst uns die unsrigen. Ein Katz-und-Mausspiel.

Ich glaube nicht mehr an Lösung, aber weiterhin an Nicht-Lösung. Ich weiß, dass mir solches von bestimmter Seite als patriotische Charakterlosigkeit ausgelegt wird. Doch seien wir realistisch: Bei so vielen gelösten Problemen unserer Autonomie, gut gelösten Problem, ist es da nicht zumutbar, dass wir mit einem, einem einzigen!, ungelösten leben müssen? Kann eine Herausforderung sein. Wem der Friede im Land ein Anliegen ist, der wird zugeben: Jede Lösung des Problems schafft ein größeres Problem, als das Problem selber ist. Es bringt nur Unfrieden, und davon haben wir sonst genug.

Florian Kronbichler

 


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