Florian
Kronbichler


Das Recht auf Sterben

Heute beginnen wir in der Kammer mit der Behandlung des Gesetzes über das

Lebensende des Menschen. Manche heißen es „Biologisches Testament“. Es geht um das Recht der Person, über Zeitpunkt und Art des Sterbens mitzureden. Es ist vielleicht eines der wichtigsten Gesetze, an denen ich mitentscheiden darf und muss. Ich bin daher eigens schon an diesem Montag früh in der Aula der Abgeordnetenkammer. Es beginnt hier die Generaldebatte zu „Fine-Vita“-Gesetz, und wie üblich bei Generaldebatten ist die Aula so gut wie leer. Nur diejenigen sind anwesend, die für die jeweilige Fraktion sprechen. Ich spreche nicht, aber ich finde, nicht nur Reden und Abstimmen sind Pflicht des Parlamentariers, sondern – mindestens ab und zu – auch Zuhören.

Der Gesetzesentwurf, über den wir die kommenden Tage befinden werden, wird viel öffentliche Diskussion auslösen. Ich finde ihn, abgesehen von einem notwendigen, auch für einen guten Entwurf. Er führt nicht – wie von der Gegenpropaganda glauben gemacht – die Euthanasie ein, nicht Beihilfe zum Freitod, sondern die Befreiung von medizinisch möglicher, jedoch menschlich abgelehnter Lebensverlängerung und somit fremdbestimmte Sterbeverweigerung.

Erstunterzeichnerin des Gesetzesentwurfs ist die PD-Abgeordnete Donata Lenzi. Er findet die Zustimmung von Parlamentariern sowohl einer laizistischen wie einer christlichen Grundhaltung. Es geht nicht um ein generelles Recht auf Freitod, nicht um Euthanasie, sondern darum, wer im Letzten das letzte Wort haben muss. Grausam gesagt: Es wird das Recht festgeschrieben, dass der mündige Mensch vorab, frei und bei vollem Bewusstsein, festlegen darf, dass und wann er von den verfügbaren Überlebensapparaten abzuhängen, zu befreien ist und sterben darf.

Es geht somit bei dem Gesetz über das Lebensende, über das Sterben, um eine große Kultur- und Zivilisationsfrage. Es stirbt sich heute nicht mehr leicht. In dieser Feststellung liegt keine Ironie. Die moderne Sanitätstechnologie hat natürliche Grenzen aufgehoben. Darin liegen Segen gleich wie Fluch. Den fragwürdigen, verwerflichen Seiten moderner „Arztkunst“ sind genauso Grenzen zu setzen wie den Kehrseiten des so genannten Fortschritts auf anderen Wissenschaftsgebieten. Zum Recht auf Leben muss letztlich auch das aufs Sterben gehören. Dieses Recht zu gewähren, und zu schützen, ist Aufgabe des Rechtsstaates. Dieser, und für diesen das Parlament, hat die Pflicht, auf diesem heiklen Gebiet gesetzgeberisch tätig zu werden. Bliebe das Parlament untätig,
würde es sich seiner Verantwortung entziehen. Es würde die Verantwortung auf Familienangehörige, Pflegepersonal, Ärzte und Gerichte abwälzen.

In Vorbereitung auf die Parlamentsdebatte zum Sterbe-Gesetz habe ich zusammen mit meiner Frau Rosmarie am Samstag den Abend mit Mia Schett Welby verbracht. Mia stammt aus Innichen und lebt seit ihrer Verheiratung im Jahr 1978 in Rom. Vor zehn Jahren ist ihr Mann Piergiorgio Welby verstorben. Dessen Kampf um ein würdiges Sterben hat damals europaweit Aufsehen erregt. Der Arzt der ihm dabei beistand, endete dafür vor den Gerichten. Welby litt von 16 Jahren auf an Muskeldystrophie und musste jahrelang künstlich ernährt und beatmet werden. Seine Frau Mina ist seit dieser Erfahrung italienweit engagiert in diversen Initiativen für das Recht auf humanes Sterben. Die Osterferien wird Mina Welby in Reischach verbringen, und bei dieser Gelegenheit werden wir mit ihr eine öffentliche Diskussion zum Gesetz über das Lebensende veranstalten.

Florian Kronbichler


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