Florian
Kronbichler


Protest muss Platz haben

Wollen wir sachlich bleiben: In Hamburg ist niemand gestorben. Ist das wenig? Es gibt keine politischen Großereignisse mehr ohne parallel dazu große Gegenkundgebungen, und selten enden diese gewaltfrei. Keine Großdemo, es müsste schon ein Kirchentag oder ein Papst-Jugendtreffen sein, ist sicher davor, dass sich in ihr irgend ein Black Block verbirgt. Es gab also rund um den martialisch aufgedonnerten G20-Gipfel vom Wochenende keinen Toten.

Allein damit gehören die Hamburger Krawalle schon zu den weniger tragischen ihrer Art. Es waren Krawalltage, aber keine Bluttage. Eine Anti-Schah-Demo von vor genau 50 Jahren in Berlin (2. Juli 67) war Initialzündung zur 68er-Bewegung, weil dort Benno Ohnesorg ermordet wurde. Vom G8-Gipfel von 2001 in Genua wird heute noch mit Schrecken gesprochen, weil dabei mit Carlo Giordani die Anti-Globalisierungsbewegung ihren ersten Toten hatte.

Drum, Glück gehabt! Aber verharmlose ich damit das, was drei Tage und vor allem Nächste in Hamburg geschah? Ich verwahre mich gegen den Vorwurf. Ich weiß, gefordert sind jetzt Parteiergreifung, Distanzierung, Aufruf zum Aufräumen. Konsequenzen müssen her. Wer nicht nach Demonstrationsverbot ruft, macht sich zum Mittäter, einem geistigen zumindest. Wir alle müssen jetzt Hamburg und verwundet sein.

Wenn das nur hülfe! Es ist jetzt, seit in der liberalen Hansestadt wieder Ruhe eingekehrt ist, jeder ein Sicherheitswärter und Demokratiedeuter. Warum ein Gipfeltreffen von solcher politischen Brisanz ausgerechnet in Hamburg? Wusste man doch, dass dort die linken Chaoten Narrenfreiheit haben und mit der „Roten Flora“ einen rechtfreien Staat. Warum kein Demonstrationsverbot? Und wird doch die deutsche Polizei noch imstand imstand sein, sich eines Haufens krimineller Provokateure zu erwehren?

Warum nicht? Sowohl für Politik als auch die Polizei gilt: Sie haben wahrscheinlich getan, was sie konnten. Der G20 ist der weltweit höchste Ausdruck herrschender Globalisierungspolitik. Diese hat sich demonstrativ in Szene gesetzt. Und wem das nicht gefiel, der hat dagegen demonstriert. Demonstrieren ist ein demokratisches Grundrecht. Deshalb verdienen Demonstrationen staatlichen Schutz. Notfalls polizeilichen. Natürlich müssen Demonstranten friedlich sein. In Hamburg waren das nicht alle. Und wer es nicht war, gehört bestraft. Das wird geschehen.

Aber deshalb Demonstrationen verbieten? Oder solche auch nur verunglimpfen? Die Gewalttätigen sind nicht die Speerspitze des Protests, sie sind ihre eigentlichen Gegner. Die Rote-Armee-Fraktion oder die Brigate rosse, nur um die schrecklichsten Auswüchse sozialen Protests zu bemühen, waren nicht die entarteten Kinder der deutschen bzw. italienischen Arbeiterbewegung und derer Organisationen. Im Gegenteil, diese waren die eigentliche Zielscheibe des Terrorismus. Gleiches gilt für Hamburg: Opfer der Mistmacher-Profis sind nicht die Besitzer der geplünderten Läden oder der ausgebrannten Autos und und schon gar nicht die prominenten Politgäste vom G20. Die eigentlichen Opfer sind die 95-und-mehr Prozent friedlichen Anti-G20-Demonstranten. Sie sind um ihren guten Ruf gebracht, und niemand entschädigt sie.

Florian Kronbichler


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