Über Flüchtlinge, Blumenbauern und Alpinisten
Vor dem Herbsteinbruch noch eine schöne Sommertour ins Dachgeschoss des Landes. Ich bin der Brenner-Spezialist in Rom, und Brenner steht für Flüchtlinge, er ist im Kopf der Parlamentskollegen das Lampedusa des Nordens, und dahinter säbelrasselt das böse Österreich. So hielt ich es für notwendig, mich wieder einmal an Ort und Stelle ein Bild von der Wirklichkeit zu machen. Dafür traf ich mich mit Bürgermeister Franz Kompatscher im Rathaus in Gossensass, und später mit einer Mitarbeiterin der Brenner-Zelle von der Flüchtlingshilfe Voluntarius.
Der Bürgermeister ist mir bereits das ganze Jahr über aufgefallen für seinen couragiert gelassenen Umgang mit dem „Brenner-Problem“. Nie hat er dramatisiert, weder in den Tagen, da ein Flüchtlingsstau drohte, und schon gar nicht wegen der Demonstrationen. Seit Monaten schon sieht er „überhaupt kein Problem“ mehr. „Ist ja nix, schau selber!“, sagt er. Die österreichischen Drohgebärden (Militarisierung der Kontrollen) hält er für „selbstschädigend für die drüben. Peinlich!“. Italiens nördlichster Bürgermeister vertritt in der Flüchtlingspolitik die gleich unaufgeregte, pragmatische Linie wie der italienischen Innenminister Marco Minniti. Er gleicht diesem auch mit seinem markanten Glatzschädel. Nur sein keckes Geißbärtchen unterscheidet ihn.
Franz Kompatscher verwaltet mit Sicherheit die ethnisch, gewerblich und kulturell-religiös bunteste Gemeinde Südtirols. „In der Grundschule am Brenner“, sagt er, „haben wir noch ein italienisches Kind“. Er meint es staatsbürgerlich. Macht sich aber kein Problem daraus. „Wir müssen halt mehr integrieren, und am besten geht das durch den Sport“, findet er. Der Fußballtrainer ist Mazedonier.
Rosmarie, meine Frau, ist mit dem Zug nachgekommen, wir fahren mit dem Bus nach Pflersch und dort zu einer ganz besonderen Bauernfamilie. Bernhard und Paola Auckenthaler ziehen und verarbeiten am Botenhof auf 1250 m Höhe Blumen und Kräuter. Zusammen mit der Familie Gabi und Sepp Holzer am Steirerhof in Wiesen/Pfitsch bilden sie die „Kräutergärten Wipptal“, ein wahrlich alternativ-innovatives Öko-Unternehmen.
Ich habe sie vor fünf Jahren in meinem Buch „Die Kunst, von oben zu leben“ porträtiert, und diesmal habe ich mir die Bestätigung geholt: Was schön ist und hilft, findet auch seinen Mark. Die Kräutergärten Wipptal sind mittlerweile ein prosperierendes Beispiel neuartiger Zusammenarbeit in Feld, Werkstatt und auf dem Markt. Wir helfen ein Stündchen beim Pflücken der letzten Blüten, Ringelblumen, Malven, Klatschmohn, dann verführen uns Bernhard und Paola zum Kräutertee, und zusammen mit Oma Anna und Söhnchen Rafael prachten wir über alternativen Landbau.
Wir müssen unbedingt zurück nach Sterzing. Ich habe Marco Zanarotto versprochen, „endlich einmal“ auch bei ihm vorbeizukommen. Er ist ein fleißiger Leser dieses Blogs und politisch mein Fan. Wir treffen ihn bei der Arbeit in seiner Theaterbar. Marco tischt eine Marende auf, und wie das Glück es will: Mit am Tisch sitzt Walter Fleckinger, ein Freund aus Mittelschulzeiten am Vinzentinum. Mir ist er als spektakulärer Fußballspieler in Erinnerung, und dem Fußball ist er, wie er erzählt, im Unterschied zu mir bis heute erhalten geblieben.
Unsern Wipptal-Tag in Schönheit erfüllt uns schließlich die Familie Eisendle. Ich hatte dieses Frühjahr das Glück, Valentina, der Tochter des bekannten Bergführers Hans Peter Eisendle, bei einer Matura-Arbeit über Alexander Langer behilflich sein zu dürfen. Den Kontakt mit mir hatte Hans Peter hergestellt. Er war selber ja nicht nur Landsmann, sondern solang Langer lebte, auch ein tapferer Mitstreiter von ihm. Die Arbeit von Valentina kann nicht eine von den schlechtesten gewesen sein. Die Jüngste der Eisendle-Familie machte die Matura mit Höchstpunktezahl und wird ab Herbst in Trient Jura studieren.