Florian
Kronbichler


Muttersprache ist kein Paragraf

Die Gleichzeitigkeit ist zufällig, darf aber durchaus als symbolisch empfunden werden. Der Südtiroler Landtag nimmt einen Beschlussantrag der Freiheitlichen an, mit dem Kindergärten und Schulen zur Erhebung der Muttersprache ihrer Eingeschriebenen verpflichtet werden. Dies geschieht am gleichem Tag der Bekanntgabe des Urteils des deutschen Verfassungsgerichtshofes, wonach Menschen nicht mehr verpflichtend Mann oder Frau als Geschlechtsangabe in ihren amtlichen Dokumenten angeben müssen.

Ist bös meinend, wer hier ein gegensätzliches Kultur- und Zivilisationsverständnis feststellt? Das deutsche Höchstgericht trägt einem Wunsch des Individuums nach größerer Freiheit und Selbstbestimmung Rechnung, der Südtiroler Landtag will einschränken und reglementieren, was bisher schon nicht einschränkbar und reglementierbar war. Dass es zu statistischen Zwecken geschieht kann keine Entschuldigung sein, sondern ist eher ein erschwerender Umstand. Mit dem Beschluss, bei der Einschreibung in Kindergarten und Schule die Angabe der Muttersprache (von den Eltern wohl) zu verlangen, hat der Südtiroler Landtag eindeutig den Boden des Autonomiestatuts verlassen. Die SVP als Mutterpartei des Autonomiestatuts und somit wohl auch als dessen Schutzmacht hat sich von den Freiheitlichen zu einem politischen Tabubruch verführen lassen. Dies zeugt nicht nur von einem erschreckenden Gespürverlust, sondern auch von Unkenntnis der Autonomiegeschichte.

Es ist allseits bekannt, dass der völkisch gepolte Teil der SVP im Zusammenhang mit der Schulpolitik seit je den Begriff „Muttersprache“ juristisch an die Kette legen will. Es ist niemandem gelungen, auch nicht dem gefinkeltsten unter den Autonomievätern. Muttersprache mit Sprachgruppenzugehörigkeit gleichzusetzen, war immer wieder ein politischer Vorstoß der SVP. Er gelang nie. Und als es das deutsche Schulamt einmal aufs Exempel ankommen ließ, das war vor 40 Jahren an der Person des Deutschlehrers Alexander Langer, da wurde es von den Gerichten in die Schranken gewiesen.

Der Muttersprache-Beschluss des Landtags von diesem Mittwoch ist ein Anschlag auf das Recht der Eltern auf die Schule ihrer freien Wahl (Artikel 19 des Autonomiestatuts). Er ist der Türöffner nicht für die muttersprachlich getrennte, sondern für eine sprachgruppenerklärt getrennte Schule. Diesem Anfang muss gewehrt werden.

Es ist beschämend, dass der Tabubruch mit der entscheidenden Zustimmung der Autonomiepartei SVP passiert ist. Diese rechnet sich immer wieder als Verdienst an, dass das Land ethnopolitisch weitgehend beruhigt ist.

Ethnische Ruhe ist fürwahr ein hohes Gut. Es sollte aber keine Friedhofsruhe sein, sonst schleichen sich Vergesslichkeit und Instinktlosigkeit ein. Denn was anderes ist es als schwindendes Geschichtsbewusstsein und Fahrlässigkeit, wenn auf einmal Geister wieder gerufen werden, die man eigentlich für vertrieben und erledigt halten müsste. Die Muttersprache muss frei bleiben. Und keine Behörde hat in ihr herumzustirgeln. Schon gar nicht zu so minderwertigen Zwecken wie statischen.


Flor now
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