Florian
Kronbichler


Flüchtlingselend in Libyen: angerichtet oder aufgedeckt?

Alle Vierteljahre treffen sich die Regierungschef der EG zum Europäischen Rat. In Italien ist es feste Tradition, dass der Ministerpräsident vorher und nachher den beiden Kammern des Parlaments eine Vorschau darauf bzw. einen Bericht liefert von der Brüsseler Sitzung mit seinen Kollegen. Heute Abend war das der Fall. Paolo Gentiloni erläuterte den Parlamentariern, was alles übermorgen auf der Tagesordnung des Europäischen Rats steht und was er dort aufzutischen gedenkt. Einen wichtigen Punkt aus italienischer Sicht bildet das Flüchtlingsproblem. Und dabei kam Gentiloni auf das Abkommen zwischen Italien und Libyen zu sprechen.

Es ist bekannt und berüchtigt geworden unter dem Namen „Decreto Minniti. Innenminister Marco Minniti gilt als der Sheriff Italiens. Wie er es geschafft hat, dass im Sommer der Flüchtlingsstrom von Libyen übers Mittelmeer nach Sizilien statt anzuschwellen wie erwartet, plötzlich fast versiegte, das rang den einen Staunen ab, bei den anderen führte es zu den wüstesten Vermutungen: Ob Italien nicht etwa das Flüchtlingsdrama vom Mittelmeer ins afrikanische Landinnere verlegt habe. Bilder und Berichte tauchten auf, die auf menschenunwürdige Zustände schließen ließen. Von Konzentrationslagern war bald die Rede. Italien und mit ihm ganz Europa hätten sich mit Geld aus der Schutzpflicht gestohlen. Minniti wurde von der linken Presse vom Superminister zum Blockwart degradiert.

In seiner Europarede wies Ministerpräsident Gentiloni all diese Verdächtigungen ins Reich der Lügenpresse. Eine Lüge sei es, dass Italien mit dem Libyen-Abkommen das Flüchtlingsdrama abgeschoben habe. Nicht das Abkommen sei schuld an den menschenunwürdigen Zuständen in den afrikanischen Flüchtlingslagern, sondern im Gegenteil: dank dem Abkommen erfahre die Öffentlichkeit die Realität. „Noi abbiamo acceso i riflettori sulla situazione in Libia. Non accettiamo di essere accusati della situazione e che invece i profughi dovessero arrivare in Europa.“ Und der gewöhnlich beherrscht bis unterkühlt auftretende Gentiloni setzte an zu einem flammenden Appell an die europäischen Partnerländer: „wir müssen die Staaten Afrikas stabilisieren und demokratisieren. Wer fliehen muss, muss das legal können, und alles, was illegal flieht, führt ins Verderben und gehört unterbunden “.

Aus Fraktionsdisziplin habe ich nicht applaudiert, aber der Ministerpräsident von heute hätte es verdient.


Flor now
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