Florian
Kronbichler


Wahlbeobachtung 2: Ganz hinten in der Türkei

In Erzurum eingetroffen. Eine Geisterstadt. Vergleichbar unserem Corvara, ohne Berge in der toten Saison. Atmosphärisch, nur halt viel größer. Diese östlichste Provinzhauptstadt des Riesenreiches Türkei liegt auf 1900 m Höhe, eingebettet in eine weite Hochebene, abgegrenzt von milden Bergen, die aber bis auf über 3000 m hinaufreichen können. In ihrer Grünheit sieht man es ihnen nicht an. Die Stadt dient das ganze Jahr über weitgehend dem Militär, die „feindlichen“ Nachbarn Armenien, Iran und Syrien sind nicht weit, und im Winter – aufgepasst! – ist das hier der Schi-Olymp der Türkei.

Die Halbe-Millionen-Stadt wirbt mit einer Durchschnittstemperatur im Winter um die minus 10° Celsius, und mit ihren Spitzentemperaturen bis zu minus 35° hat es die Provinz Erzurum zum Titel „Sibirien der Türkei“ gebracht. Diese uns Älplern weitgehend verborgen gebliebene Leistung hat, wie ich am Rande meiner Wahlbeobachtungs-Mission mitbekomme, den allmächtigen Präsidenten Erdogan auf die Idee gebracht, sich nächstens um eine Winterolympiade zu bewerben. Was dem großen Nachbar-Autark Putin im gar nicht weit entfernten, aber ungleich mediterraner gelegenen Sotschi recht war, warum sollte das dem „sibirischen“ Türken nicht billig sein? Autarken sind sie beide. Es heißt, ein rühriger Grödner sei hier um die Wege, ich habe ihn noch nicht auskundschaften können, aber der werkle bereits an der Verwirklichung der Winterspiele von Erzurum.

Politisch bin ich irgendwo gelandet, wo ich ausgerechnet nicht hin wollte. Die Gegend ist Erdogan-Land, und zwar wie. Man kann sich in Südtirol und schon gar nicht Italien nicht vorstellen, welch geballte Propaganda-Präsenz ein einziger Kandidat, Erdogan, einer Stadt und Region serviert werden kann. Erzurum ist ein Wintersportzentrum, und die Weihnachtsbeleuchtung kennt hier keine Sommersonnwend-Pause. Doch die Erdogan-Großleinwände überstrahlen auch sie.

Im abendlichen Teamgespräch haben meine deutsche Begleiterin und ich durchgesetzt, dass wir, wenn schon nicht linke, so doch zumindest kurdische Wahlbezirke „beobachten“ dürfen. Es hat einer kleinen Kraftprobe bedurft. Zu Hilfe gekommen sind uns unsere Dolmetscherin und der Chauffeur, beides junge Studenten, unverhüllt oppositionell und in der Gegend sehr bewandert. Über ihre Bekanntschaften haben wir bereits Orte und Wahlsitze ausgemacht, in denen “Schwierigkeiten“ (Beobachter sprechen nicht von Betrügen) zu erwarten seien. In die ganz brenzligen Gegenden will mach uns nicht vorlassen. Unserer eigenen Sicherheit zum Schutze, sagt man uns. Die Rede geht von Schießereien und Sabotage. Was aber, frage ich mich, hat aufwändige Wahlbeobachtung für einen Sinn, wenn nicht beobachtet werden darf, wo offensichtlich Wahl verfälscht, getürkt, verunmöglicht wird? Morgen werden wir sehen.

Foto: Blick aus dem leeren Schihotel auf Erzurum.


Flor now
Facebook Link