Florian
Kronbichler


Wehmutsrunde auf „Jagdhaus“

Seht her, wie schön ich mir die Mittsommertage vertreibe: Vorgestern mit Rosmarie in Zug und Bus von Bozen nach Rein in Taufers (knappe zweieinhalb Stunden reichen dafür, und die Schadenfreude, auf die Zeitgenossen im Stau auf Autobahn und Staatsstraße hinabzublicken, ist Entschädigung genug). Von Rein zu Fuß auf die Knuttenalm, vorbei am schamlos überteuerten Alm-Gasthaus, und übers Klammljoch nach Jagdhaus. Auf Südtiroler Seite wimmelt es von Touristen. Drüben, im osttirolischen Defereggental, das genau so schön ist: Ruhe, als sei es touristisches Sperrgebiet. Nur das Pfeifen der Murmeltiere übertönt das Reifenquietschen der Südtiroler E-Bike-Dragoner.

Jagdhaus, das sollte man nicht zu sehr herumreden, ist eine der schönsten Almen der Ostalpen. 1000 Jahre Almwirtschaft sind hier nachgewiesen. Sechzehn Hütten plus Kirchlein, alle im Besitz Pusterer und Tauferer Bauern, eine Minderheit noch bewirtschaftet. Alles steht unter Schutz des Nationalparks Hohe Tauern, aber selbst im vermeintlich gesetzesstrengen Österreich ist aller Naturschutz der Macht des Geldes nicht gewachsen.

An Kleinigkeiten erkennt man: Spekulation im Anzug. Luis Durnwalder war einst Pachtherr über dieses 1.600 ha große, an allen Wildarten reiche Jagdgebiet. Seine Jagdgesellschaften sind Legende. Die Tiroler Behörde ließ den späteren Südtiroler Landeshauptmann sehr großzügig gewähren. So ließ sie ihn eine eigene Jagdhütte erbauen. Baurechtlich hatte es eine „Hirtenhütte“ zu sein, versteht sich. Inzwischen ist der Großjäger weitergezogen, die Jagd auf Jagdhaus führt heute der Nationalpark.

Aber reden wir von Anderem. Ich bin auf den Almen in diesem vielleicht ärmsten aller Tiroler Täler (ausgenommen das welschtirolische Fersental) aufgewachsen und muss mich hüten, ins Schwärmen zu kommen. Zu viele Erinnerungen steigen in einem auf. Und es ist die alte Geschichte: Die schönen verklärt man aus dem zeitlichen Abstand zu noch schöneren, aber selbst über die härtesten legt sich mit dem Alter ein milder Schleier. Ich war halt ein Hüterbübl. „Kein ganz untalentiertes“, sagt mein damaliger Senner Lois Lechner. Er ist vorgestern 100 geworden. Und nicht dass er an Erinnerungsschwund litte. Seit ein paar Jahren ist mein Bruder Pepe Hirte auf Jagdhaus. Auch kein ganz untalentierter, wie ich es verstehe und die Sennerleute mir bestätigen. Im Winter Schilehrer, im Sommer Almhirte – das Eine hält fit fürs Andere, was gibt’s Schöneres in Pension?

Uns hat es nur eine Nacht auf der Alm gelitten. Gestern früh zogen wir weiter, Defereggental auswärts, von Alm zu Alm, überall überlebende Bekannte grüßend. In Patsch lebt der Ruhm der dereinst weitum bekannten Almerwirtin Schett, „die Schettin“, heute in ihrer Enkelin Gertrud fort. Von Erlsbach, dem hintersten Dörflein im Tal, steigen wir die Katzenleiter hinauf auf die Stalleralm. Hier erinnere ich mich an einen Antholzer Hirtenbub, wie ihn die Finanzer in ein Tuch gehüllt vom Berg herabtrugen. Er war beim Edelweiß-Pflücken abgestürzt. Es war der erste Tote, den ich gesehen habe.

Am Obersee auf 2016 m Höhe, ich lüge nicht, haben wir uns bis aufs Nötigste ausgezogen und sind ins Wasser gesprungen. So schön frisch war’s. Hinterher im See-Gasthof gestand ich die Ungebührlichkeit dem Wirt. Es war Gottlieb Taschler, der Biathlon-Olympionike, der letzthin ganz anderen Kummer auszustehen hatte als diesen lässlichen Schwimm-Überfall. Er erließ uns zwei kleine Biere.

Flott sprangen wir, der Passstraße ausweichend, den alten Almersteig hinab bis zum Antholzer See, und hätten wir nicht den Bus um 17.30 Uhr zum Bahnhof nach Olang erreichen müssen, wir wären zu einem Schwattler auch noch in den Antholzer See gesprungen.


Flor now
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