Florian
Kronbichler


Francesca Melandri und das Romano-Viola-Syndrom

Wahrscheinlich war ich einer der ersten Leser von Francesca Melandris Roman „Eva dorme“. Das war 2010, ich bekam ihn von der Autorin geschenkt. Er gefiel mir nicht. Seither und besonders mit der deutschen Übersetzung „Eva schläft“ wurde das Buch zu etwas wie einer Südtiroler Anstandslektüre, einem Klassiker für Streitbeilegungs-Schwärmer. In Aussage und Absicht vergleichbar mit Lilli Grubers „Eredità – das Erbe“ und „Tempesta“ sowie, ganz neu, „Io resto“, die in einen Liebesroman verwurstete Geschichte der Seestauung von Graun des jungen Mailänders Marco Balzano. Joseph Zoderers „Die Walsche“ an die Spitze dieser Reihe zeitgenössischer Südtirol-Saga zu stellen, wäre beleidigend.

Gestern wurde Francesca Melandri (die jüngere Schwester der ehemaligen italienischen Kulturministerin Giovanna Melandri) auf Schloss Tirol der Südtiroler Verdienstorden verliehen. Es war vornehmlich ein Preis für ihr Südtirol-Buch „Eva dorme“. Dabei hatte ich Gelegenheit, sowohl mit Francesca Melandri, die ich noch aus gemeinsamer Brunecker Zeit kenne, als auch mit dem Autor der Laudatio, Hans Karl Peterlini, zu sprechen. Beiden sagte ich, dass ich das allseits gelobte Buch nicht gar so besonders finde und was mir daran nicht gefällt.

Was mich bei der Lektüre störte und was ich überzeugt bin, dass es jeden Leser stört, der nicht grad vorbehaltlos Fan ist, das sind die vielen deutschen und noch mehr pustererischen Zitate, die die Autorin in ihren italienischen Text eingeflochten hat. (In der deutschen Ausgabe fällt das nicht auf.) Es stört den Lesefluss, wenn die Mander da ganze Zeilen lang im Pusterer Dialekt daherprachten. Klar, Melandri kann Deutsch und kann Pustererisch, dafür war sie lang genug Bruneckerin. Aber, fragte ich sie gestern direkt: „Musste das sein? In einem Buch, das bei Mondadori, also italienweit erscheint und zur Hauptsache an ein Publikum gerichtet ist, das keinen Ton Deutsch kann, auf jeder dritten Seite mindestens einen Satz, den er in der Fußnote übersetzt nachlesen muss?“ Melandri drauf: „Ich wollte zeigen: die Südtiroler sind anders, und die Italiener verstehen sie nicht.“

Böh, ich sehe ein bisschen Überheblichkeit dahinter: Dem Leser soll zu verstehen gegeben werden, die Schreibende kann etwas, was er nicht kann. Ein Snobismus, der häufig anzutreffen ist unter Südtirols Italienern, die Deutsch können und es ihre einsprachigen Landsleute spüren lassen. Bei diesen erreicht wird damit meistens nicht Ermunterung, sondern Trotz und Abkehr.

Das mit dem aufgesetzten Deutsch-Zitaten im italienischen Buch mag eine Kleinigkeit sein. Doch steht eine Haltung dahinter, und diese verbindet die eingangs genannten, alle dem „friedlichen Zusammenleben“ verpflichteten Romane. Ich nenne diese Haltung das „Romano-Viola-Syndrom“. Der ehrbare, ehemalige Landtagsabgeordnete und Landesrat dieses Namens nehme es mir nicht übel. Der Linkspolitiker Romano Viola machte zu seiner Zeit im Landtag (1988-98) aus seiner Bewunderung für die Politik der Südtiroler Volkspartei kein Hehl, was ihm von dieser jedoch eher mit Spott als mit Anerkennung quittiert wurde. Die eigenen (italienischen) Wähler hingegen empfanden ihren Mandatar dafür immer mehr als Überläufer und eben „servo della SVP“. Die Betitelung „guter Italiener“, ausgesprochen aus SVP-Mund, hat seither in Italienerohren einen üblen Beigeschmack: er klingt nach Unterwürfigkeit.

Ich sehe solche Haltung auch aus Melandris „Eva dorme“ durchschimmern. Und die Auszeichnung mit dem „Verdienstorden für Südtirol“ als Beweis dafür. Dass Italiener Verdienste für Südtirol haben, das anzuerkennen ist ein Fortschritt. Dass jedoch immer noch die Deutschen darüber entscheiden, wer ein verdienter, ein „guter Italiener“ ist, heißt, dass noch zu arbeiten ist. Die Ehrung von SVPs Gnaden wird italienischerseits eher als Kainsmal empfunden. Der Südtirol-Orden für Italiener darf von deren italienischen Landsleuten nicht als Vorwurf für sich selber empfunden werden.

 


Flor now
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