Florian
Kronbichler


Doppelpass – was ich gesagt hätte.

 

„Jetzt fehlst du uns in Rom“. So hörte ich es mir einige Male sagen, in diesen Tagen der Doppelpass-Debatte in der Abgeordnetenkammer. Es fiel mir nicht ganz leicht zu verbergen, dass es meiner Eitelkeit schmeichelte. So versuche ich hier zu überlegen, was ich gesagt hätte, wenn ich … Gemeint: Etwas Gescheiteres, als was von den SVP-Abgeordneten zu hören war. Renate Gebhard sagte brav das Achammer-Kompatscher-Gedichtchen auf, wonach alles nur „im europäischen Geist“ geschehe und „nichts ohne Absprache mit Rom“. Es ist, was Karl Valentin schon besser gesagt hat: Mögen täten wir schon wollen, aber zu dürfen getrauen wir uns nicht. Manfred Schullian, dem die ganze Geschichte ganz besonders am Allerwertesten vorbeigehen dürfte, hat getan, was er am besten kann: sich nämlich hinter einige unverbindliche Wortspiele zu schützen.

 

Sollte der italienisch-österreichische Doppelpass je Aussicht auf Verwirklichung gehabt haben, was ich bestreite, nach der Debatte und dem Votum dieser Tage im Parlament müsste der Spuk eigentlich tot sein. „Nicht ohne Absprache mit Rom“, sagen die SVP und die österreichische Regierung.  Rom hat nun gesprochen und nein gesagt.

 

Ich halte den Doppelpass weder für falsch noch eine Gefahr. Was nicht ist und nicht wird, kann niemanden erschrecken. Was hingegen sehr wohl Schaden anrichtet, ist das nicht enden wollende Geschwätz darüber. Österreich hat, als es noch eine demokratischere und weniger demagogische Regierung hatte, die Geschichte schon einmal für beendet erklärt. Vor zwei Jahren war das. Sozialdemokraten, Volkspartei und Grüne hatten im Südtirol-Unterausschuss feierlich basta gesagt, und es sah damals so aus, als sei auch der regierende Teil der Südtiroler Volkspartei erleichtert, den Klotz los zu sein, den ihm die Nationalen und revanchistische Altmandatare ans Bein gehängt hatten. Endlich schien das Gespenst verscheucht, der Streit um ein Nicht-Anliegen beendet.

 

Die Glut unter der Asche wieder entfacht hat der Brief der 19 Südtiroler Landtagsabgeordneten an die neue, aktuelle, Kurz-Strache-Regierung: ob sie nicht bittschön die Doppelstaatsbürgerschaft für deutsche und ladinische Südtiroler doch ins Regierungsprogramm aufnähme. Das Ansinnen ist, nachdem es wie gesagt ein erstes Mal abgewiesen worden war, also abermals von Südtirol vorgetragen worden. Dies festzuhalten ist notwendig, nachdem gerade in der aktuell aufgebrandeten Polemik SVPseits so getan wird, als handle es sich beim Doppelpass um eine „Initiative“ Österreichs. Das ist nämlich die Perfidie: zu behaupten, Österreich will, und Südtirol wolle sich dem Wunsch nicht verschließen. So wird das gegenwärtig wider besseres Wissen dargestellt.

 

Es ist ein unredliches Spiel, weil es nämlich nur Österreich blöd dastehen lässt. Ich rufe dafür seinen höchsten Repräsentanten, Bundespräsident Alexander van der Bellen in den Zeugenstand. Es war dieses Jahr im April, 2. Sitzungssession der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg. Bundespräsident van der Bellen machte dem Europarat seinen Antrittsbesuch. Ich war vorgemerkt für die Fragerunde, konnte meine Frage aus Zeitgründen aber nicht mehr vortragen. So konfrontierte ich den Bundespräsident mit der Frage Doppelstaatsbürgerschaft im Anschluss an die Anhörung, aber immerhin im Rahmen eines halben Dutzends Parlamentarier, die ich heute noch als Zeugen aufrufen könnte. Ich sprach nur das Wort „Doppelstaatsbürgerschaft“ aus. Und van der Bellen sofort: „Diese Schnapsidee!“ Saaldiener und Protokollpersonal schoben den Präsident weiter. Nach einigen Schritten drehte sich dieser jedoch um, kam noch einmal zu mir zurück und sagte bestimmt: „Damit es aber alle wissen, diese Suppe hat nicht Österreich eingebrockt, das war der Südtiroler Landtag.“

 

Soviel zu dem plumpen Versuch, jetzt, da es brenzlig wird, Österreich die „Schuld“ in die Schuhe zu schieben. Es ist billigste Lausbubenmanier: Warum sollen wir nein sagen, wenn Österreich uns etwas schenken will, und was geht das Italien an? Auch das schlichteste Gemüt versteht, dass solche Argumentation bewusste Irreführung ist. Der größte Schaden, den Südtirol mit dem Gerede vom Doppelpass anrichtet, wird nicht in Rom zu verorten sein, wo jetzt „alle gegen uns“ sind. Im Streit mit Rom kennt sich die SVP aus. Den übersteht sie, wenn sie ihn nicht sogar sucht. Roma nemicaist seit je das beste Bindemittel der Sammelpartei. Nein, der politische Schaden entsteht in Wien. Dem aufgeklärten, moderaten Österreicher, und das ist immer noch die Mehrheit, geht unser unsägliche „Wunsch“ auf die Nerven. Die alten österreichischen Parteiführungen erliegen freilich weiterhin einem patriotischen Komplex, wenn es um Südtirol geht. Wie es in der Bevölkerung aussieht, dafür reicht ein Blick in die so genannten sozialen Medien. Sie mögen uns immer weniger, und wenn sie uns jetzt auch noch ihre Staatsbürgerschaft ohne Staatsbürgerpflichten geben sollen, und das zum Preis, es sich dafür mit Italien zu vertun, dann gut Nacht, Schutzpatronin Österreich!

 

Aber es kommt schon nicht so weit. Den peinlich-liebenswürdigsten Beweis dafür hat die Abgeordnete Renate Gebhard geliefert, so wie sie sich an diesem Samstag in der Neuen Tageszeitung zitieren lässt. Gebhard, immerhin Sprecherin ihrer Partei in der Kammer, sagt hier wörtlich: „Die Linie der SVP ist klar: Der Doppelpass ist ein Herzensanliegen von symbolischem Charakter im europäischen Geiste und im Sinne des Miteinanders und des friedlichen Zusammenlebens, wobei für uns klar ist, dass ein eventueller Weg nur im Einvernehmen zwischen Österreich und Italien beschritten werden kann“. Eine fürwahr ökumenische Absage an alles, was der Doppelpass wirklich wäre. Herzensanliegen, symbolisch, europäisch, miteinander, zusammenlebend, eventuell und nur im Einvernehmen. … Wenn das kein Totenschein ist!

 

Was, besser gesagt wer mich in der ganzen Doppelpass-Diskussion besonders ärgert, das sind gar nicht die Völkischen. Die denken so und wollen das. Und betreiben es. Respekt! Sie werden schon auflaufen. Unlieber sind mir zwei andere Sorten: die Kriegsgewinnler und die Ausrede-Europäer. Für Kriegsgewinnler halte ich jene vorgeblich „Vernünftigen“, die für die Erreichung der Doppelstaatsbürgerschaft nichts tun, sich sogar eher schämen dafür, aber sagen (und wohl auch tun werden): Warum nicht, und wenn sie kommt, nehme ich sie. Gemeint: Zwei sind immer besser als eine, und wenn sie nicht zu teuer ist, und wenn ich nicht zum Militär und nicht Steuern zahlen muss, dann wär ich ja blöd. Eine zweite Staatsbürgerschaft als günstige Investition. Soweit sind wir. Die Partei, die in der letzten Amtsperiode sich in der Debatte gegen das  Jus soli ausgesprochen hat,  die italienische Staatsbürgerschaft für in Italien geborene Kinder von Ausländern nach zehn Jahren und Schulbesuch, diese selbe Partei will für ihre Menschen, die deutschen und ladinischen Südtiroler, zwei Staatsbürgerschaften.

 

Es ist unsere liederliche Haltung, ja vielfach Ignoranz, gegenüber dem Wert von Staatsbürgerschaft. Staatsbürgerschaft setzt ja nicht voraus, dass man stolz ist auf seinen Staat. Viele Südtiroler tun sich schwer, sich mit dem italienischen Staat zu identifizieren. Das ist erlaubt, verständlich auch, und manche mögen die italienische Staatsbürgerschaft gar als Makel empfinden. Alles erlaubt, aber grad wir Südtiroler mit unserer Geschichte hätten Grund respektvoller über Staatsbürgerschaft zu reden. Nach dem Krieg, erst vor 70 Jahren also, stand ein guter Teil der Südtiroler ohne Staatsbürgerschaft da. Die Optanten waren plötzlich staatenlos. Es würde nicht schaden, deren Schicksal ein bisschen zu studieren, um nicht länger über zwei oder nur eine  Staatsbürgerschaft zu lästern. Die Menschen waren rechtlos. Es würde auch genügen, den Pariser Vertrag, vorgeblich die Grundlage unserer Autonomie, etwas aufmerksam zu lesen. Darin ist im Absatz 3, Buchstabe a) die Rede von „Geist der Billigkeit und Großherzigkeit“. Dieser wird Italien nahegelegt, und niemand wird sagen können, dass Italien im Umgang mit Südtirols Optanten für Hitler-Deutschland sich nicht großherzig gezeigt habe. Es hat allen wieder die italienische Staatsbürgerschaft zurückgegeben. Anderen Völkern und Minderheiten in Europa ist es schlimmer ergangen. Sie wurden vertrieben, wenn nicht erschlagen. Ein klein wenig Dankbarkeit stünde uns ruhig an.

 

Ein Letztes noch zu den Ausrede-Europäern. Es sind jene Landsleute, die gegen den italienisch-österreichischen Doppelpass sind, es so aber nicht sagen möchten (weil sie nicht Neinsager sein wollen) und dafür nach einem „europäischen Pass“ und eine „europäische Staatsbürgerschaft“ rufen. Damit, glauben sie, macht man immer gute Figur. Ich halte es für eine Ausrede, eine ganz dumme noch dazu. Ich möchte ja auch ein Vereintes Europa als Staat, vergleichbar den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber das haben wir halt nicht, und es sieht nicht so aus, als ob wir nah dran wären. Es steht eh schon auf all unseren Pässen „Europäische Union“ drauf, und zwar vor Repubblica italiana oder Republik Österreich. Das ist mehr, als die Wirklichkeit hergibt. Noch mehr ist nicht drin. Was kein Staat ist, hat keine Staatsbürger und kann keine Staatsbürgerschaft verleihen. Zum Teufel das Geschwätz!

 

 

 

 

 

 

 


Flor now
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