Florian
Kronbichler


Ausgesprochen unmissverständlich

Wäre ich noch Journalist, müsste/dürfte ich heute einen Nachruf schreiben. So, als Privatier, der ich bin, muss ich gar nichts mehr, und zu dürfen getrau ich mich halt nicht. Ich möchte nämlich nicht rückfällig werden. Aber es wäre gelogen, würde ich nicht zugeben, dass es mich reizen täte, jetzt einen Nachruf auf Peter Plattner zu schreiben. Der Athesia-Mann – eigentlich verdiente er, Herr Athesia geheißen zu werden – wäre mir ein dankbarer Stoff.

 

So versuche ich, den Toten nur für mich privat ein bisschen Revue passieren zu lassen. Ich brauche mir nichts Lexikalisches über ihn in Erinnerung zu rufen. Das alles und noch vieles, was an Peter Plattner gut war, hat heute Martin Lercher erschöpfend in den „Dolomiten“ ausgebreitet. Der Mann, der bei Athesia alles war, vom Lehrbub bis zum Direktor (von Präsident und Ehrenpräsident rede ich nicht, denn dem gegenwärtigen Allmacht-Direktor Michl Ebner kann es reichlich wurscht sein, wer unter ihm solches ist), war sogar auch einmal mein Vorgesetzter. Er wird das nie erfahren haben.

 

Ich war als Oberschüler Ferienjobber in der Athesia Bruneck, Buchabteilung. Nicht einer von den Schlechtesten. Filialleiter Pepi Prunner wollte mich sogar vom Studium abwerben und hatte zu meiner Fix-Einstellung schon das Nulla-osta von ganz zuoberst erwirkt, vom „Herrn Plattner“. Ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Beeindruckt hat mich eher, wofür alles dieser „Herr Plattner“ im fernen Bozen angerufen und gefragt und gebeten werden musste. Will der alles wissen oder hat er nichts zu tun, erlaubte ich mir einmal zu fragen.

 

Seitdem ging ich ihm aus dem Weg. Das war insofern nicht schwer, als ich zunächst als Studenten-Sprecher ziemlich Athesia-inkompatible Positionen zu vertreten hatte und später für Blätter schrieb, die allesamt von den Athesia-Medien mit Höchststrafe belegt waren, nämlich mit Totschweigen. Dass dieses Nicht-einmal-Ignorieren vom Direktor Plattner verordnet gewesen wäre, will ich nach dem, wie ich den Menschen später kennen lernte, ausschließen. Er war es nicht. Dass er sich einschlägig einer Hausorder widersetzt hätte, schließe ich aus derselben persönlichen Erfahrung ebenso aus. Von allen Qualitäten, die den Athesia-Mann Peter Plattner auszeichneten, war Loyalität wohl die bezeichnendste. Den Hannah-Arendt-Satz, so wie er heute über dem Mussolini-Relief am Gerichtsplatz geschrieben steht: „Niemand hat das Recht zu gehorchen“, hatte Plattner eher nicht über seinem Direktorensessel hängen.

 

Journalistisch kam mir der Athesia-Direktor kaum in die Quere. Plattner war ein sehr interner Direktor, für Polemiken ungeeignet. Einmal, erinnere ich mich, hatte ich über ihn zu schreiben, in der FF (sie schrieb sich damals noch in Großbuchstaben), und davon ist mir das Detail in Erinnerung, dass ich ihm den „strammst gezogenen Scheitel Südtirols“ bescheinigte. Ist lange her. Die Leute, auch ältere und wohlanständige, ließen ihr Haar flattern. Heute würde eine Frisur, wie Peter Plattner sie sein Lebtag trug, nicht mehr auffallen. Ganzflächig tätowierte Fußballer tragen ihre kurzgeschorenen Schädel noch zum Spielende gescheitelt wie gestochen.

 

Beim Direktor Plattner war es nicht Mode, sondern Haltung. So wie ich ihn viele Male über die Quireiner Wassermauer-Promenade zu oder von seiner Attikon-Wohnung schreiten sah, so stelle ich mir ihn als 15jährigen Buben bei seinem Vorstellungsgespräch bei Kanonikus Gamper vor: der gerade gezogene Scheitel, darunter der ebenso gerade getragene Kopf und noch weiter darunter, in der linken Hand gleichmäßig schwingend, die Aktentasche. Kein Mensch trug die Aktentasche so formvollendet immer gleich wie der Athesia-Direktor.

 

Von seiner Wohnung wurde erzählt, dass sie über einen prächtigen Dachgarten verfüge, dem die ganze freizeitliche Zuwendung seines Besitzers gelte. Ich in meiner Vorurteilspflege glaubte zu wissen, dass ihm die Freude daran zumindest dadurch ein wenig vergällt wird, dass das Nachbarhaus der Sitz von Redaktion und Druckerei des „Alto Adige“, also des Feindblattes war. Die italienische Zeitung ist von dort längst weg gezogen, und ob der Athesia-Ehrenpräsident die Nachricht vom Aufkauf des ehemals feindlichen Nachbarn mit Genugtuung oder Befremden aufgenommen hat, ich weiß es nicht.

 

Ich bin schon in meiner Erinnerung schon in Plattners Präsidenten- und Ehrenpräsidentenzeit angelangt. Wie katholisch, im Sinn von allumfassend, die Loyalität zur Athesia war, so selektiv war sie gegenüber der Kirche dieses Namens. Peter Plattner war kirchlich ein aufrechter Reformer, ein Konzilschrist, und in den 90er-Jahren engagierte er sich offen für das Kirchenvolksbegehren, das dem konfliktscheuen Bischof Wilhelm Egger einigen Kummer abverlangte. Wo immer innerkirchliche Reformen angemahnt wurden, vom Überwinden des Pflichtzölibats bis zur Forderung des Frauenpriestertums, Plattner war dabei.

 

Mit der Pensionierung befreit von seinen Berufspflichten – und meinem Empfinden nach ein bisschen auch von der Betriebsloyalität –, versuchte er die Katholische Männerbewegung etwas von ihrem angestaubten Image als Altmander-Gebetsliga zu befreien. Im Unterschied zur Katholischen Frauenbewegung ist bei den Männern von Bewegung eher nicht zu sprechen. Der Reformer Plattner dürfte mit seiner Mission nicht zufrieden gewesen sein.

 

Unverkennbar Freude bereitet haben muss ihm seine späte Verwirklichung als Schreiber. In unregelmäßiger Folge hielt er in den Dolomiten eine Rubrik, „Ausgesprochen“ war ihr Name, und darin sprach der Autor Fragen an und aus in einer Frische und Freiheit, die mitunter selbst den Rahmen der Blattlinie sprengten. Kolumnist Plattner traute sich darin nicht nur was, er schrieb auch ausgesprochen gut. Gelegentlich erfasste mich Eifersucht: Hätte eigentlich ich schreiben müssen! Redakteur Martin Lercher hat eine Auswahl dieser Plattner-Texte zu einem Büchlein zusammengetragen. Zeitungsartikel zu einem Buch zu binden, ist eine beliebte Journalisten-Unart und gehörte verboten, aber das Bändchen mit Plattners „Ausgesprochenem“ verdiente sich die Ausnahme.

 

Eine letzte Eitelkeit zum Abschluss noch: Öfter stelle ich bei Menschen mit ausgeprägtem Loyalitätsverständnis (ihren jeweiligen Arbeitgebern gegenüber) fest, dass sie nach Ende des Arbeitsverhältnisses sich desto mehr Freiheiten nehmen, je mehr sie diese vorher unterdrücken mussten. Das beobachtete ich bei hohen Landesbeamten gleich wie beim Athesia-Direktor. Grüßte er mich plötzlich offenherziger, gelegentlich gar fast freundschaftlich, oder bildete ich mir das nur ein? Einige Male rief er mir im Vorbeigehen sogar ein Kompliment zu, für etwas, was ich geschrieben hatte. Durfte der das? Meistens war seine stets freundliche und ebenfalls immer pikobello beinandere Frau dabei, und ich verdächtigte diese als Mittlerin. Wir reden nicht miteinander, aber wir grüßten und warfen uns Sympathieerweisungen zu. Ausgesprochen unmissverständlich.

 

Foto: Peter Plattner, 1930 – 2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Flor now
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