Menefreghist oder Scheißerle
Bis Montag also. Dann wird die Südtiroler Volkspartei den Sündenfall hinter sich gebracht haben. Ihr Parteiausschuss wird beschlossen haben, mit der Lega in Koalitionsverhandlungen zu treten. Der designierte Landeshauptmann und der Parteiobmann werden Entschuldigungen parat haben für die unsägliche Entscheidung, und deren politische Tragweite herabspielen. Es wird keine Koalition gewesen sein, sondern irgendein technisches Abkommen. Umständehalber unvermeidlich. Man nimmt den Bastard zu sich ins Bett, aber man wird sich nicht einlassen mit ihm. Versprochen!
Alles Ausreden, alles gelogen. Das Gute an der Entscheidung ist, dass die Zeit des Herumdruckens, des Falschspielens und der Selbstentwürdigung vorbei ist. Ab Montag wird feststehen: Die SVP denkt nur an sich selber, und auch das noch zum eigenen Schaden. Sie will ihrem Herbert Dorfmann den Sessel im Europaparlament sichern, zum dritten Mal, Erbhof ist Erbhof, und im Land selber will sie Ruh haben. Für beides braucht sie erstens eine Mehrheit im Landtag und zweitens Italiener. Beides liefert die Lega, und sie liefert es zum Nulltarif. Keine Landtagsabgeordneter und keine Landtagsabgeordnete hat allein weniger Ahnung von Politik und von Südtirol als die vier von der Lega zusammengenommen. Keine und keiner von diesen ist auch persönlich, das heißt bewusst und namentlich, gewählt worden. Wer Lega wählte, meinte Salvini, den Chef. Hätte die SVP einen Funken Ehre im Bauch, die Koalition mit der Lega wäre ihr zu minder. So wie umgekehrt die Lega beleidigt sein und sich verweigern müsste, nach all dem, was ihre künftigen Regierungskollegen über sie schon gesagt haben. Aber Scham kennen Lega-Männer nicht. Haben sie auch nie behauptet. Und deswegen trifft sie keine Schuld.
Unerfahren, unfähig, politisch eine Nullität zu sein, ist nicht nur egal, sondern offenbar Voraussetzung, um von der SVP „genommen“ zu werden. Sie nimmt, was sie nichts kostet, nicht, was ihr hilft. Gut ist sie sich selber genug. Es ist ja nur wegen der blöden Demokratie, die nun einmal Mehrheiten erfordert, und wegen der noch blöderen Autonomie, die Italiener auch noch vorsieht. Mit der Entscheidung für die Lega – für diese Lega, die Lega der systematischen Unanständigkeiten, der Fremdenfeindlichkeit, des Neonationalismus’, des Anti-Europeismus, mit der Entscheidung für diese Lega zeigt die Partei eine Charakterlosigkeit, wie sie ihr bisher nicht zugetraut wurde. Die politischen Verhältnisse waren schon mehrmals so, und auch schlimmer. Aber es gab Schamgrenzen. Mit einem Movimento Sociale, einer Alleanza Sociale oder sogar Forza Italia machte man sich nicht gemein. Aus Prinzip. Obwohl Leute wie Mitolo, Holzmann, Pasquali (Alberto) im Vergleich Ehrenmänner waren. Natürlich dachten sie politisch anders, aber sie verstanden etwas von Land und Leuten (was wiederum gegen sie sprach). Denn Qualität ist ein Makel, wenn es die Qualität des andern ist.
Was hätte es die SVP gekostet, die Grünen zu nehmen? Den Partito democratico nicht mehr zu nehmen, ihn zu behandeln, als gäbe es ihn gar nicht mehr, ist ein Zynismus, der sich noch rächen wird. Mag sein, Dankbarkeit ist wie Treue keine politische Kategorie. Verrat muss in der Politik mitunter sein, aber schäbiges Überläufertum ist etwas anderes und rächt sich in der Regel. Zu glauben, es gebe seit dem Lega-Fünfsterne-Wahlsieg in Rom niemand mehr, der sich vergangener Gefälligkeiten entsinnt, ist naivster Dilettantismus. Eines ist die momentane Mehrheit, die dort regiert, und etwas anderes ist „der Staat“. Im „Staat“ gibt’s weiterhin unzählige Instanzen, die ein langes Gedächtnis haben. Wie lausig immer er beisammen sein mag, der PD ist immer noch die zweitstärkste Partei. Außerdem ist es nicht abenteuerlich vorauszusehen, dass die gegenwärtige Regierung nicht auf Dauer angelegt ist. Abenteuerlich wäre drauf zu vertrauen, dass ein so willkürlich vollzogener Vertrauensbruch ungerächt bliebe.
Schon verstanden, die SVP nimmt den PD nicht mehr, weil der Preis dafür die Grünen wären. Sie müsste auch diese nehmen, und bei allem guten Willen (den sie nicht hat), es darf drauf geschworen werden, sie würde die Grünen nehmen, wenn da nicht „der“ Grüne wäre, der Riccardo Dello Sbarba heißt. Sie braucht den Italiener, es darf aber nicht dieser sein. Denn Italiener wie dieser sind Sand im Getriebe der SVP-Machtmaschinerie. Sie wollen mitreden, und das ginge ja noch. Das Blöde an einem wie Riccardo Dello Sbarba ist, dass er ein Italiener ist, der mit dem Kopf der SVP denken kann. Er hat Sachkompetenz, kennt sich im Land aus, versteht das politische Geschäft und spricht die Sprache. Davor hat die SVP Angst. Der letzte dieser Sorte Italiener war Remo Ferretti. Es wäre Zeit und täte der Selbstachtung der italienischen Südtiroler und somit der Demokratie im Land gut, dass wieder ein ernst genommener Italiener an den Tisch der Entscheidungen kommt.
Im Führungshauptquartier der Volkspartei ist man sich offenbar gar nicht bewusst, wie lächerlich und letztlich selbstschädigend die Argumente klingen, mit denen seit der Wahl die Grünen in die Nichtregierungsfähigkeit geredet werden. „Bauchweh“ würden sie der Großpartei bereiten. Zunächst gleich wie die Lega auch, mit jeder zusätzlichen Stellungnahme mehr als diese. Von „gemeinsamen Schnittmengen“ wird gepressemitteilt. Auch diese verschoben sich von Mal zu Mal weg von den Grünen und hin zur Lega. Die Lega, diese Hass- und Hetzpartei, war plötzlich nur noch europapolitisch ein Problem. Europapolitisch! Wie beim Doppelpass. Auch bei dem redet man Rettung nur noch von Europa her. Europa ist eine Ausrede – pro gleich wie anti, immer. Europa, da kann der Landeshauptmann noch so europäisch tun, ist seiner Partei, die Sitzgarantie für Dorfmann ausgenommen, schnurzegal.
Und es auch uns allen und überhaupt schnurzegal sein, mit wem die SVP uns künftig regieren will – schnurzegal, weil so und so sie diktiert, was zu sein hat –, ja wäre sie es dann nicht mindestens der Neugier schuldig, dass sie etwas wagt, nämlich ein Schwarz-grün-rot, das wir noch nie hatten? Die SVP muss sich eingestehen, auch sie ist seit dem 21. Oktober eine Verliererpartei. Ein Gleich-weiter-so wird sie nicht in die Gewinnerspur zurückbringen. Will sie Koalitionspartner, die sind wie sie und Gleiches wollen? Dann mag die Lega recht sein. Sie tut nichts, sie will nur (mit-)spielen. Ist das aber der Ehrgeiz, das Verantwortungsbewusstsein der SVP? Was soll man von einer Sammelpartei halten, deren gewählter Arbeitnehmer-Chef sagt, ob mit Grün oder mit Lega, ihm sei’s einerlei? Ein Menefreghist oder ein Scheißerle. Eine Landeshauptmannpartei, die sich einen Landesrat Riccardo Dello Sbarba nicht zutraut und statt seiner e inen Leghist nimmt, ist auch nur eines von beiden