Florian
Kronbichler


Die Mär vom freien Sonntag

Südtirols „Allianz für den freien Sonntag“ hat diese Woche Geburtstag begangen. Sie ist 10 geworden. Zum Anlass hat sie eine Anzahl Landtagsabgeordneter für eine Art Selbstverpflichtung gewonnen. Die Politiker, darunter der Landeshauptmann und die Grünen, versprechen darin, sich „für eine konsequente Eindämmung verkaufsoffener Sonntage“ einzusetzen. Die Allianz, der kirchliche Verbände, aber auch alle Gewerkschaften und der Südtiroler Dienstleistungsverband hds angehören, hat angekündigt, demnächst auch die Parlamentarier für das Vorhaben zu mobilisieren. Ich bin nicht mehr Parlamentarier, aber so wie ich mich als solcher gegen die Wiedereinführung der ehemals abgeschafften kirchlichen Feiertage ausgesprochen habe, so würde ich auch diesmal nicht unterschreiben. Wir Christen, so argumentierte ich seinerzeit und bleibe dabei, sind schon nicht imstand, die bestehenden Sonn- und Feiertage angemessen zu begehen, was wollen wir noch weitere fordern.

Jetzt die Sonntagsruhe. Soll diese verpflichtend sein? Die Geschäfte zu und die Verkäuferinnen frei? Die Allianz erwartet sich von den Südtiroler Politikern, sie möchten per Durchführungsbestimmung für Südtirol eine Ausnahme von der weitgehend liberalisierten staatlichen Geschäftsöffnungsregelung erwirken. Geschäftsöffnungs-Autonomie? Ja, wäre schön. Politisch sogar möglich. Doch sehen wir uns ein bisschen um, und wir werden erkennen müssen: Das böse Sprichwort „gut gemeint ist das Gegenteil von gut“ trifft auf die verordnete Sonntagsruhe besonders gut zu.

Ist ja rührend, wie der hds als Standesvertretung der Kaufleute, Dienstleister und Gastronomen sich zusammen mit der Diözese, dem KVW und den Gewerkschaften um die Sonntagssperre der Kleinbetriebe kümmert. Aber ist das glaubwürdig? Und reden wir erst nicht von wirksam. Wollen wir erst gar nicht die alten Zeiten verklären! Der Dorfladen, wollte er überleben, hat seit je das meiste Geschäft sonntags gemacht. Vor und nach dem Gottesdienst, wenn die Leute ins Dorf kamen. Und heute? Ob es uns passt oder nicht, Südtirol steuert einer kompletten Wochenend-, also Samstag-Sonntag-Dienstleistungsgesellschaft zu. Tourismus, Pflege, Zivilschutz, Sport, Vereinswesen, Medien, und nicht zu vergessen: Politik, – alles Wochenend-Geschäftszweige.

Die Bauern, Hauptwärter der Sonntagsruhe-Kultur!  Täglich in den Stall gehen mussten sie früher und müssen sie (bis zur definitiven Robotisierung) weiterhin. Wer auch nur ein bisschen das Land erwandert, wird feststellen, dass ein Großteil der Ernte Samstag-Sonntag eingebracht wird. Eben dann, wenn die Bauersleute „frei haben“ (und nicht „arbeiten gehen müssen“) und Verwandte ihre während der Büro- oder Lehrer-Woche angestaute Körperkraft mit Gaudi  beim Heu-Einbringen oder beim Klauben ausleben dürfen.

Frei, wirklich frei in den Sonntag leben können sich das verwaltende und lehrende Volk sowie die Arbeiter des so genannten produzierenden Gewerbes. Eine Minderheit, mehr nicht. Diese muss dann, wenn sie ins Wochenende aufbricht, ihrerseits von jemandem bedient, umsorgt, verwöhnt werden. Soweit sie, Obacht!, soweit sie nicht selber  von einer immer aggressiveren Wochenendwirtschaft in finanziell attraktive Aushilfsjobs gelockt wird. Was Hotels, Schutzhütten, Schilifte und halt die ganze gewerbliche Freizeitindustrie nicht aufbraucht, das schöpft dann die blühende Verbands- und Vereinswirtschaft unter dem keuschen Namen „Freiwilligenhilfe“ ab. Wald- und Wiesenfeste aller Art und jedweden Vereins, Sportbetriebe, Benefizveranstaltungen – ein dafür passender guter Zweck findet sich immer. Und das dazu notwendige Heer an „freiwilligen Helfern“ auch. Vielhundertfache „Freiwilligenarbeit“ fürs Jovanotti-Konzert am Kronplatz, hat es geheißen. Das ehrliche Wort dafür ist Schwarzarbeit. Freizeitunfälle (schrecklicher Euphemismus!) übertreffen die Anzahl der Arbeitsunfälle, und das Wochenende stresst den notorisch fitten Südtiroler mehr als die Arbeitswoche bis dahin.

Nein, ich brauche keinen offenen Laden am Sonntag. Aber sehe ich mir die Städte und Tourismusorte an, sie brauchen ihn. Es sind unsere Wirtschaftsverbände selber, die „shoppen“ zum Lifestyle gemacht haben. Eine Minderheit geht „kirchen“, die Mehrheit shoppen. Einkaufen, wirklich einkaufen tun sie dann eh im Internet. Das ist 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche offen. Deshalb ist es unredlich, außer unnütz, dem Kleinhandel, ihren Betreibern und Angestellten, ein schlechtes Gewissen zu machen. Es braucht sie auch sonntags, so wie es die Polizei, die Erste Hilfe, die Bergrettung und die Notfallseelsorge braucht. Vor allem sonntags, leider.

Höre mir deshalb die Allianz für den freien Sonntag auf, diesen mit allerhand Kollateral-Angeboten zu begründen. Zusammensitzen, Ausflüge machen, Sonntagsgewand tragen, Familie spielen – oh, die gute Allianz sollte es nicht drauf ankommen lassen, ihren einen festen, verpflichtenden Ruhetag gegen andere, flexiblere, freiere Arbeits-Freizeitrhythmen auszuspielen, wie die Gesellschaft sie heute anzubieten imstand ist. Der Sonntag könnte dabei leicht den Kürzeren ziehen. Der Sonntag als verpflichtender gemeinsamer Ruhetag ist nur religiös begründbar. Sonst spricht mehr dagegen. Dies zu sagen, sollte seine Allianz den Mut haben. Den sonntäglichen Gottesdienst mit dem Kirchplatz retten zu wollen, ist abgesehen von unwürdig, aussichtslos.


Flor now
Facebook Link