Florian
Kronbichler


Unser hassgeliebter Achttausender

Wo er ist, ist oben. Er kann nicht anders. Helfen wir ihm! Dem Reinhold Messner einen Geburtstagsauflauf zum 75sten.

Fragt mich der geschäftsführende Chefredakteur der ff: „Hättest du Lust, dem Reinhold Messner zum 75. zu gratulieren?“ Wer so Aufträge erteilt, tut es aus einer Notlage. Über Messner ist alles geschrieben, und zwar schon von allen, ihm selber eingeschlossen. Und der 75ste, der unter den Geburtstagen eines Menschen einmal die „Unvollendete“ darstellte, also das eigentliche Meisterstück, ist inzwischen auch nur noch ein Durchgangsposten. Was gab es allein in dieser Zeitschrift schon Messner-Geburtstage! Zum 50sten, 60sten, 70sten – immer Laudationen, jede von Mal zu Mal ein bisschen mehr Nachruf, manch einer vermutlich von mir selber geschrieben. Und so wie der Mann heute beisammen ist und wir es ihm anwünschen, werden der ff (Gott erhalt’ sie!) noch allerhand weitere runde Messner-Geburtstage blühen.

Ich also, Ehemaliger im Ruhestand, darf mir zum alles schon besagten Messner etwas Zusätzliches einfallen lassen. Und da stehe ich nun, hilf- und ratlos vor meinem äh … Achttausender. Ich sag das so, weil Achttausender für mich das Letzte sind, was ich mir im Leben vornehmen würde. Nie würde ich einen besteigen wollen, auch nie einen bestiegen haben wollen. Ich verachte alles diesbezügliche Bestreben. Wäre ich Messner, würde ich verbieten, Achttausender zu besteigen, so wie er selber das ja gelegentlich tut, nachdem er sie alle bestiegen hat. Gleichzeitig aber – Fluch des Schicksals, Kinder des Messner-Zeitalters zu sein! – messen wir Leistung, Prestige, ja Lebenssinn, in Achttausendern. Zuerst im ersten, dann im nächsten und immer nächsten, bis schließlich zum 14sten, und gipfelnd in ihm selber: Reinhold Messner der 15ste (Achttausender). Ob es uns recht ist oder zuwider, vom nicht-südtirolischen Rest der Welt werden wir wahrgenommen als die Landsleute des „Königs der Achttausender“. Für nichts anderes. Keine besonders verdienstvollen Existenzen!

Wer hier liest, hat gemerkt, ich such den Einstieg zu einer Würdigung auf Messners 75sten. Lieber Reinhold, ich weiß alles von dir. Und gern wäre ich jetzt Hospitant einer noch berühmteren Zeitung als dieser. In München, in Wien, noch besser in Hamburg, wo die großen Medien ihre Sitze haben. Ich sehe mich dort sitzen in meiner ersten Redaktionskonferenz, und als die Reihe an mir ist, fragt der Chef vom Dienst, „ah, unser junger Volontär, kommt aus Südtirol, hat er denn schon eine Idee mitgebracht?“ Und ich höre mich antworten: „etwas mit Reinhold Messner“. So kenne ich das von fast jedem jungen Südtiroler, der sich ein Praktikum bei Spiegel, ZEIT, Bunte, Standard, SZ, Panorama oder was weiß Gott wo noch ergattert hat. Eine Reinhold-Messner-Geschichte, so was geht immer. Es ist das Gesellenstück einer Generation hoffnungsvoller Journalistenlehrlinge. Das Glück, Südtiroler zu sein.

Auch ich würde die Sache so angehen. Dass es dem Titelhelden zu seinem 75sten wäre, würde ich, mit der Erfahrung von heute, freilich verschweigen. Die Geschichte – ich kenn mich aus – würde mir Grünling sonst sofort abgenommen und einem erfahreneren, jedenfalls verdienstvolleren Kollegen anvertraut. „Guter Tipp!,“ würde ich gelobt werden, „aber zu diesem Anlass …“ Dass es dem Messner zum 75sten wäre, müsse die Welt doch besser aus der Feder des Sonderberichterstatters oder noch besser des Chefredakteurs persönlich erfahren, und prompt würde dieser samt Hausfotograf Richtung Südtirol aufbrechen.

Lieber Reinhold, ich versteh gut, dass du den Südtiroler Medien, nein, nicht nur jenem gewissen einen, notorisch zürnst. Einer, für den die Weltblätter jederzeit ihre Seiten räumen, muss nicht verstehen, und folglich nicht verzeihen, wenn die heimatliche Presse sich gelegentlich erlaubt, außer undankbar zu sein, auch noch frech zu werden. Auch dieses Blatt hat dein Zorn wiederholt getroffen. Wir waren alle schon einmal geächtet, mit Interview-Verweigerung belegt, mit Klagedrohungen hast du uns überzogen. Angekündigte Nicht-einmal-Ignorierung, für große Medien die Höchststrafe, empfanden wir als Straferlass. So gestreng warst du mit uns.

Zum Geburtstag aber lass dir sagen: Deine Zornesausbrüche sind nichts im Vergleich zu deiner Güte. Du magst es deine Schlamperei heißen, Inkonsequenz, aber es ist Liebe. Heimatliebe. Ich merke das, wenn du am Telefon vom harten Hochdeutsch, das du besser sprichst als wir alle, ins weiche, warme Villnösserisch wechselst. Was wir dir darin nicht alles abgerungen haben! Was du uns nicht alles verziehen hast! Wem allem du doch wieder ein Interview gegeben hast. Trotzdem oder erst recht. Als es dieser Zeitung einmal besonders schlecht ging, sie vom Eingehen bedroht war, weil ein Landeshauptmann den Kopf des Chefredakteurs forderte, schriebst du eine Solidaritätsadresse – „für die ff, so wie sie ist“. Keinem heimatlichen Blättchen verweigerst du dich, und mag es – wie ein großer Chefredakteur neulich spottete – noch so „unterhalb der medialen Wahrnehmungsgrenze“ erscheinen. Du tust es nicht zu deiner persönlichen Ehrenmehrung. 

Kann es Eifersucht sein, dass ich den alternden Messner (muss ich sagen: reifenden?) mitunter zu versöhnlich, zu beliebig finde, gelegentlich gar in schlechter Gesellschaft ertappe? „Unser“ Messner, das bleibt der zornige von ehedem. Von dem leben wir. Uns  Dagebliebene verband wenig mit diesem Außerirdischen, bis Alexander Langer ihn herabgeholt hat in die Niederungen der Südtirolpolitik. Da war das Schnäuztüchl auch unsere Fahne, die Option 1939 nicht ein Schicksalsschlag, sondern Heimatverrat. Das gefiel uns. Und über allem verband uns der gemeinsame Feind, nämlich „die Zeitung“ und wem sie gehört.

Alles verzeihe ich dem Messner, den schlechten Umgang, seine zu vielen Museen, die Nachsicht mit erwiesenen Naturverhunzern (und mitunter die tätige Hilfestellung für diese), aber nicht verzeihen will ich ihm, dass er nichts mehr gegen die Dolomiten sagt. Da suhlt die sich neuerdings auf Rosapresse-Art in seinen Familiengeschichten, und der Messner lässt gewähren. Ich vermisse den groben Keil, der auf den groben Klotz gehört, denn dieser ist immer noch allgegenwärtig. Die Zeitung hat nur Strategie gewechselt. Ihr Schlachtplan ist nicht mehr Attacke, sondern Umarmung. Und mein Messner, jahrzehntelang einziger offener Widerständler mit Gewicht? Ist es Altersmilde?

Noch etwas verzeih ich meinem Messner nicht: dass er dem Michil Costa die Eignung zum besseren Naturschützer abspricht. Von welcher Kanzel, lieber Reinhold, predigst du?

Oh, die Kanzel! Glückliches Land, das einen Messner zu seinem Kanzelredner hat.  Allein schon, dass es ihn gibt! Welchen Südtiroler wüsste die Menschheit „in der Welt draußen“ zu nennen – außer ihn? Und wer würde von dort nach Südtirol kommen und über uns schreiben – ohne ihn? Reinhold Messner und was er sagt, ergibt freilich kein getreuliches Bild von Südtirol und den Südtirolern. Aber möchten wir das? Möchten wir so erscheinen, wie wir sind? Wir sind, dank ihm, europaweit ungetreulich vorteilhaft vertreten. Mag er daheim noch so kungeln mit den Machthabern, nach außen vertritt er uns weiter mit dem Charme des Alternativen. Den heimischen Grünen bereitet seine pragmatische Sicht von den Verhältnissen verständlicherweise manchen Verdruss,  in Europa bleibt er trotzdem Südtirols Grüner. Er wird von allen zu allem befragt, und so sagt er eben viel. Spricht Messner, spricht Südtirol – unvermeidlich unberechenbar.

Ob es hilft?  Lieber Reinhold, gut möglich, dass auch du „die Wirkungslosigkeit des Klassikers“ erreicht hast. Der resignierende Befund stammt von Max Frisch und war auf Bert Brecht gemünzt. Ich habe das Zitat mehrmals auf den mittlerweile kanonisierten Alexander Langer angewandt, einen der wenigen Landsleute, die du deiner bedingungslosen Hochachtung würdig befindest. Gleich wie an Langer ist auch an dir eine unverhältnismäßig – vorher sagte ich: ungetreulich – starke Bindung an Südtirol festzustellen. Beide weltläufig wie sonst niemand, beide jederzeit beschlagnahmt vom kleinsten Klein-klein daheim. Warum ist euch der Ärger mit uns das wert? Nemo propheta in patria. Also Prophetenschicksal? In Wahrheit wart/seid ihr doch Wurzelmandln. Uns ist euer Kümmern eine Ehre.

Ich fragte, ob es hilft. Unlängst sagte mir ein von allerhand Gscher geprüfter Familienvater: „Egal, wie du deine Kinder erziehst, sie machen dir eh alles nach“. Dich, lieber Reinhold, und mich verbindet eine kleine familiäre Seltsamkeit: Bei euch acht Buben und ein Mädchen, bei uns acht Buben und ein Mädchen. Eure Waltraud war mittendrin. Vater Messner soll das quittiert haben mit: „Ein Rosenstock zwischen zwei Misthaufen“. Das hat mir deine Mutter bei einem Interview-Gespräch erzählt, und ich habe den kecken Sager bei einem Geburtstagsständchen auf Mathilde, bei uns die neunte, abgewandelt: „Ein Rosenstock hinter einem großen Misthaufen“.

Verzeih die Abschweifung. Es ist ein Zeichen von Alter, wenn man die Kindheit verklärt. Zu einem 75. sei das erlaubt. Besagtes Interview mit der Messner-Mutter habe ich  vor 25 Jahren geführt. Es wurde zu einer Titelgeschichte der ff und trug den Titel: „Lass sie!“, Gemeint: lass sie, die Kinder, vor allem dich, Reinhold. Lass ihn! Es war eine Geschichte voller Mutterweisheiten, die meistverkaufte ff-Nummer zu der Zeit. Du bliebst uns, nicht nur uns, ein gutes Geschäft.


Flor now
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