„Alle, die nicht eingeschlafen sind …“
Der Pfarrer Hans von Taisten. Er war grün, konservativ, aufmüpfig, modern, stur und von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit. Ein Nachruf
Briefe, egal ob private, amtliche oder für die Zeitung, unterschrieb er mit „Pfarrer Hans“. Und das Bezeichnendste an den Briefen war die klare Aussprache, in der Sache wie in der Form. Pfarrer Hans schrieb Handfestes in schönem Deutsch. „Es ist schwer, für die Bewahrung der Schöpfung zu sein, wo das Land die Zerstörung zahlt – Euer Pfarrer Hans“. So beendete er einen Pfarrbrief im Jahr, das der Bischof unter das Motto „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ gestellt hatte. Einmal stellte er eines meiner „Letzten“ aus der Tageszeitung vollinhaltlich ins Taistner Pfarrblatt. Bei der Sonntagsmesse, nach der Predigt, lud er er einmal das Volk ein: „alle, die nicht eingeschlafen sind, sollen jetzt mitbeten“.
Pfarrer Hans, bürgerlich Johann Oberhammer, Jahrgang 1939, ist am Sonntag um 3 Uhr früh im Krankenhaus Bruneck gestorben. „Sonntag vom Guten Hirten“, hätte er den Todestag datiert. Den Kirchenkalender mit seinen Heiligen und Widmungen fand er „sinnlicher“ als die blutleeren Ziffernschwänze. Dass er nicht am Coronavirus gestorben ist, sondern an einem hundsgemeinen Krebs, auch das hätte er für wert zu sagen befunden, wenn er noch die Kraft dazu gehabt hätte. Sehr wohl die Kraft hatte er noch zu bestimmen, dass in der Todesanzeige die Trauernden nach Familien, Pfarrgemeinden und Bischof gereiht zu sein haben, und nicht umgekehrt, wie bei verstorbenen Priestern üblich.
Pfarrer Hans war ein sehr besonderer Priester. Eigentlich wäre er, als Ältester von zehn am Unterenglmohr-Hof in Aufkirchen bei Toblach, zum Bauern bestimmt gewesen. Dafür besuchte er auch schon die Landwirtschaftliche Lehranstalt in Lienz. Dann, „auf eins-zwei“, erinnert sich ein jüngerer Bruder, habe den jungen Hans sein Damaskuserlebnis getroffen. Auf einmal wollte er „Pfarrer werden“, ging dafür aber nicht nach Brixen, sondern nach Niederösterreich, wo er fürs Gymnasium nur fünf statt acht Jahre brauchte, kürzte auch noch das Theologiestudium um ein Jahr ab und wurde 1968 in Brixen zum Priester geweiht. „Ich bin auch ein 68er“, scherzte er gern. Er war es vielleicht nicht den politischen Ideen nach, die der Protestbewegung von damals nachgesagt werden, aber ganz sicher war er es in seiner Aufmüpfigkeit und seiner Verachtung für alles Untertanentum und Obrigkeitsdenken. Er war ein Grüner, lang bevor grün zu einer politischen Ortsbestimmung wurde. Der Südtiroler Forstverein rief den Pfarrer Hans vor vier Jahren zum „Schutzwaldpaten“ aus.
Pfarrer Hans weltanschaulich einzuordnen ist unmöglich. Er war religiös konservativ, pietistisch fast; allem kulturell Neuem gegenüber aufgeschlossen so wie Autoritäten und Institutionen gegenüber abgeneigt; Mit Geschichten Seelsorge betreiben lag ihm mehr als mit Geboten. Alles zusammengenommen: Ein tirolerischer Anarcho war der Pfarrer Hans. In seiner Unberechenbarkeit dem ehemaligen Weihbischof Heinrich Forer wesensverwandt. Gleich wie seinerzeit dieser tauchte auch der Pfarrer von Taisten in unvermutetster Gesellschaft zu undenklichsten Anlässen auf. Immer neugierig auf Neues, nie in Angst, „infiziert“ zu werden. Verwegen tapfer widerstand er allen kirchenamtlichen Einmischungen („kurialen Zentralismus“ hieß er sie) und rettete so der Pfarre Taisten ihre Pfründe. Als das Diuk (die Immobilare der Diözese) eine Trockenmauer und einen Heckenhain auf „seinem“ Grund wegmeliorieren wollte, kam ihm der Pfarrer Hans mit dem Bischofswort von der „Bewahrung der Schöpfung“ in die Quere und rettete beides. Den Widum, ein prächtiger Altbau (freilich etwas herzurichten), bewahrte der Pfarrer in selbstschädigender Sturheit vor „Totsanierung“. Tatsächlich dürfte Pfarrer Hansens Widum heute Taistens einziges nicht rundum aufgemöbeltes Haus sein.
Mit dem früheren Bürgermeister und immer noch mächtigen „Modernisierer“ der Gemeinde Welsberg-Taisten, Friedrich Mittermair, focht der an Don Camillo erinnernde Pfarrer so manche Strauß aus. Dessen Vorgänger Josef Pahl hingegen ließ den unkonventionellen Pfarrer gönnerisch gewähren. Modern, das sagte der Bewahrer Hans gern, „modern bin ich mir selber genug“. Stimmt auch. Kaum ein Pfarrer im Land dürfte zeitgenössischer Kunst gegenüber aufgeschlossener sein. In der „Labe“ des Widums hängt manches mutige Bild, das frömmelnde Besucher gern umgedreht hätten. Der Gsieser Maler und Bildhauer Luis Seiwald ist einer von den Künstlern, die der Pfarrer gefördert hat. Mit Seiwald hat er auch schon sein eigenes Grabmal besprochen.
Seinen Modernitätsanspruch erfüllte sich Hans Oberhammern speziell an der Friedhofsgestaltung. „Industrielle Serienware kommt mir keine herein“, gab sich der kunstsinnige Chef apodiktisch. Tatsächlich ist ein vom Pfarrer geführter Rundgang durch den Taistner Friedhof anstrengend und aufregend wie ein Besuch in einer Kunstgalerie. „Ich verlange nur, dass die Leute sich einen Gedanken machen bei der Grabgestaltung“. Doch etwas diktatorisch, denkt man sich. Drauf er: „Erlaubt ist, was der Pfarrer nicht verbietet“. Pfarrer Hans teilte aus, konnte aber auch ritterlich einstecken. Einmal, der Anlass war – lange zurück – eine ziemlich fiese Berichterstattung mehrerer Medien über einen Friedhofsstreit. Der Pfarrer hatte allen Grund, sich diffamiert zu fühlen. Er erzählte mir das in einem Brief und schrieb: „Ich habe die Tageszeitung aber nicht abbgestellt, weil es mich interessiert, wie sie sich weiterentwickelt“. Sage, wer je ein Medium zu verantworten hatte: Wie nobel ist solche Reaktion!
Zu den vielen Tugenden, mit denen die Pusterer sich gesegnet fühlen, zählt Aufmüpfigkeit (und eine solche zu ertragen) eher nicht. Wie also machten die Taistner das, 33 Jahr lang mit Pfarrer Hans? Ganz einfach, sie erklärten sich den „Damisch“ ihres Pfarrers mit seinen früheren Wirkstätten im Vinschgau. Hans war zuerst Pfarrer in Liechtenberg bei Prad und später, ganz schlimm!, in Matsch. Der von Haus aus friedfertige Oberpustertaler muss in der Gesellschaft dort „verwildert“ sein. Dass er sich in Matsch, „bei meinen Matscher Raubrittern“, wie er sie nannte, besonders wohl gefühlt hat, das wurde ihm daheim freilich verargt. Er machte alles in Matsch. Als in den 80er Jahren ein Unwetter den halben Friedhof samt Gräbern abrutschen ließ, machte er persönlich den Wiederaufbau-Maurer. Ein Foto in der Taistner Widumslabe zeigt den Pfarrer Hans, abenteuerlich frei auf der Friedhofsmauer stehend, wie die treue Häuserin Barbl Kainzwaldner ihm die Ziegeln hinaufreicht.
Foto: Ministrantenausflüge mit Pfarrer Hans waren immer Anschauungsunterricht mit Hetz.