Florian
Kronbichler


Lob der Verhältnismäßigkeit

Gott sei Dank haben wir diesen Landeshauptmann, und warum Paul Köllensperger die Höchststrafe verdient: nämlich zu bleiben. Nachsommer-Gedanken zum 600-Euro-Skandal.

Eines muss man dem Artur Oberhofer von der Tageszeitung lassen: Von Dramaturgie versteht er was. Am Vorabend zu Ferragosto ließ er den 600-Euro-Skandal platzen,  köchelte diesen dann die Tage über mit Häme und viel Moralin weiter, um ihn am Ende der Woche mit den Franz-Locher-Witzen als Komödchen abklingen zu lassen. Besser kann eine Zeitung die Ferragosto-Woche mit ihrem traditionellen Nachrichten-Notstand nicht bewältigen. Eine Meldung, die ihrem Gehalt nach in die Rubrik „Kuriositäten“ gehörte (in den Dolomiten heißt diese „Leute heute“) wurde in den Nachrichtenstand gehoben und erklomm sogar die Titelseiten. Kompliment!

Inzwischen hat sich der Entrüstungssturm der Anstandswärter gelegt, die vier Unanständigen sind erlegt, deren Entschuldigungen (einmal bedingungslos, dreimal mit Ausreden) zurückgewiesen und die verhängten Nicht-Strafen (dreimal verschleiert, einmal eingestanden) vollstreckt. Wir sollten den Kopf wieder frei bekommen, um uns einige Fragen zu stellen: War da was? Wer sind die Täter? Wer die Opfer?

Aus dem allgemeinen Gemaule, Entsetzensgetue und Barabba-Barabba-gib-uns-Barabba-frei!-Geschrei dieser Ferragosto-Woche ragten für mich zwei Wortmeldungen als bedenkenswert hervor. Das waren Das Rai-Morgengespräch des Landeshauptmannes von Mittwoch und jenes von Paul Köllensperger von Donnerstag dieser Woche. Wichtig und aufschlussreich beide. Von Kompatscher der Appell zu Sinn für Wesentliches, zu Abwägung von Schuld und Schaden sowie, ganz wohltuend, der Aufruf zur Besinnung auf Verhältnismäßigkeit. Es waren, in dem Empörungskrawall rundum, Worte, die einen wieder einsehen ließen, Gott sei Dank haben wir so einen Landeshauptmann. Da war etwas von Rechtstaatlichkeit, von politischer Kultur, auch von Menschlichkeit. Von Paul Köllensperger, dem Chef der größten Oppositionspartei und im Dramolett „Ferragosto-Saga 2020“ der tragische Held, waren solche staatstragende Erklärungen naturgemäß nicht zu haben. Er war Angeklagter, geständig auf der ganzen Linie, und forderte Recht auf Gnade.

Recht auf Gnade – eigentlich ein Widerspruch, aber alles in dem Stück ist voller Widersprüche. Auf die staatsmännisch väterliche Performance des Landeshauptmannes darin sei hier nicht weiter eingegangen. Er, dem allerhand Schwierigkeiten innerhalb seiner Mannschaft nachgesagt werden, hatte Gelegenheit, Statur zu zeigen, und er nutzte sie. Er verdarb seinem Parteiobmann, der meinte, durchgreifen zu können, weil zu müssen, souverän das Image des Machers. Denn wie kläglich unverhältnismäßig im Vergleich zu Achammers eigenen Drohgebärden sind die Sanktionen für die drei SVP-Sünder doch ausgefallen: Der Lanz gänzlich freigesprochen, er war’s nicht („der Mörder ist immer der Gärtner“). Bei all seinem anderweitigen Ungemach wollte man ihm nicht noch Weiteres antun. Der Tauber – erlöst vom Vorsitz eines Gesetzgebungsausschusses, von dem er notorisch überfordert war, und „von allen Parteiämtern suspendiert für ein Jahr“. „Am schwersten“ getroffen hat es Arnold Schuler. Sein Pech: Er hatte am meisten, wovon ihm genommen werden konnte. Gleich wie Helmuth Tauber darf auch Schuler ein Jahr lang seine Parteiämter nicht mehr wahrnehmen. Was das bedeutet? Beiden bleiben einige lästige Abendsitzungen erspart. Nicht macht-, aber prestigemindernd mag der Verlust des Landeshauptmannstellvertreter-Postens wiegen. Aber was für Prestige – bei drei solcher Vize-Posten, die es gibt! Die Sanktionen gegen die SVP-Coronabonus-Sünder sind also Scheinsanktionen, mehr nicht.

Ganz anders verhält es sich mit der Nicht-Sanktion des Teams K gegen Paul Köllensperger. Der Abräumer der letzten Landtagswahlen steht mit einem Mal da als der König im Märchen, der nackt ist. Alles, wofür er so überwältigend gewählt wurde und geachtet ist, kehrt sich wegen dieser kleinen „Oberflächlichkeit“, wie er sein Ansuchen um die Corona-Hilfe heißt, jetzt gegen ihn. Hoch gestiegen, tief gefallen  – Köllenspergers Fallhöhe ist die größtmögliche für einen Politiker, um im Bild des Landeshauptmanns von der Verhältnismäßigkeit zu bleiben. Er ist die Partei, die seinen Namen trägt. Er hat nichts, kein Geld, keine Macht, keine Positionen, nicht einmal weiß Gott welche Fähigkeiten. Ein Hoffnungsträger ist er. Sein Kapital ist: er selber. Im „Kölle“ sah der Durchschnittssüdtiroler jene Werte verdichtet, die er an seiner Volkspartei zunehmend vermisste. Er ist nicht ideologisch einordenbar, und auch nicht verpflichtend. Mehr als ein Anti-Politiker ist er ein Nach-Politiker, und das ist sein Charisma. Denn Politik und überhaupt Politiker stinken den Leuten, lang schon und immer mehr. Hingegen ein „Kölle“ – geht immer.

Als „sozialliberal“ ordnet er sich und seine Bewegung gern ein. Klingt gut. „Nur eine bessere SVP“ hört sich das Team K oft heißen, und sein Ober-K weist solche Betitelung gern als Herabwürdigung zurück. Dabei ist es genau das, was Meinungsforscher als größten gemeinsamen Nenner der K-Wählerschaft ausmachen würden. Eine Volkspartei, halt besser. Was soll daran anstößig sein? Wer weltanschaulich anders und eindeutiger gewickelt ist, hat für sich bereits die übliche Auswahl an Oppositionsparteien. Von diesen sprangen bisher nur solche zum „Kölle“ über, die sich davon „endlich den Druchbruch“ versprechen.

Und diesem Köllensperger, ausgerechnet ihm, passiert jetzt dieser Patzer. Ich sage bewusst „passiert“ und bewusst „Patzer“. So scharf drauf kann er nicht und können im übrigen auch die erwischten SVP-Patzer nicht gewesen sein, dass sie solches bewusst hätten wollen können. Und mit einem Male ist alles weg, was den Köllensperger ausmacht, sein Bild vom freien, sauberen, sympathischen Unpolitiker. Einer wie die andern ist er geworden, ein Politiker. Schande! Die Partei ist weg, denn die ist er, die Gemeindewahlen sind verloren, und ein gewisser Josef Unterholzner, ganz ein Wendiger, ist nicht nur flugs aus seinem Team K ausgetreten, sondern hat auch gleich nachgetreten auf den Schurken, dem er den Landtagssitz verdankt. Paul Köllensperger hat sich entschuldigt, aber die Menge ruft: Rücktritt! Rücktritt! Und inzwischen, da er nicht zurückgetreten ist: Schande! Damit sei die Partei auch noch am Ende. 

Was lehrt uns der 600er-„Skandal“? Er lehrt uns, wie weit es gekommen ist mit Volkes Auffassung von Politik und Politiker. Ein Geldvernichtungsbetrieb ist die Politik, und die Politiker, die ihn bevölkern, sind geldgierige Sesselkleber. Das ist das Klischee, und Paul Köllensperger, der nicht zurücktritt, beweise es. Hätte er zurücktreten müssen, wie es selbst solche glauben, die es ihm und seiner Bewegung gut meinen? Ich bin überzeugt, nichts wäre für ihn leichter gewesen, als zu gehen. Er ist jung, gesund, hat einen Beruf und jede Menge Alternativen.

Nein, zurücktreten wäre in seinem Fall Fahnenflucht gewesen. Und dableiben ist in Wirklichkeit die Höchststrafe für ihn. Offenbar hat er eingesehen, er muss bleiben, weil, nicht obwohl er das Schlammassel angerichtet hat. Denn was bleibt vom Team K, wenn der K weg ist? Man haut jetzt auf den Sack Köllensperger, und gemeint ist der Esel Team K. Es ist bezeichnend, wie rabiat ausgerechnet die politische Konkurrenz von Köllensperger und seinem Team jetzt „Konsequenz“, sprich Rücktritt, fordert. Den Grünen, die am wenigsten heftig in den Empörungssturm eingestimmt haben, wird fast Komplizenschaft unterstellt. Als würden sie sich der Chance zur Entsorgung des gemeinsamen Hauptkonkurrenten verweigern.

Es ist die Schwäche von Paul Köllenspergers politischer Schöpfung, dass sie sich von ihrem Schöpfer nicht emanzipiert, nicht einmal von seinem Namen (wie der Schrumpfname Team K beweist). So, mit einem Ausrutscher, an Substanz eine Bagatelle, aber der Wirkungswucht nach vergleichbar mit der des Virus Covid 19, entladen sich über dem „Täter“ sämtliche Fragwürdigkeiten des politischen Geschäfts von heute.  

Da ist zuallererst die Diskussion um die Politikergehälter. Ach, was sag ich „Diskussion“, die Hetze drum herum. Nie werde ich glauben, jemand geht des Geldes wegen in die Politik. Er wird Macht suchen, Ansehen, Titel, einen Platz in der ersten Reihe in jedem Saal, einen ehrenden Nachruf womöglich, aber Geld? Wem es ums Geld geht, der findet einfachere, sicherere Wege dorthin. Muss man selber Politiker gewesen sein (wie ich), um zu verstehen, dass gewählt zu sein nicht ein Glückslos in der Lotterie ist, sondern harte Arbeit, dickes Fell, hohe Kosten und quasi unbeschränkte Verfügbarkeit bedeutet? Der Politiker gehört nicht mehr sich selber. Jeder glaubt, Anspruch auf ihn zu haben. „Hab dich ja gewählt“, sagt der Biedermann. In der Regel hat er nicht einmal das.

Es ist eine verhängnisvolle Dynamik am Werk. Geld ist das Einzige, was der Wutbürger versteht. Drum heraus mit dem Geld! Enteignet die Politiker! Und sieh da, einige Politiker laufen schon über. Überbieten sich in selbstverleugnenden Verzichtsbeteuerungen, aber es ist schon zu spät. Die Wut wird nicht bei den Gehältern und schon gar nicht beim 600-Euro-Bonus Halt machen. Die Wutbürger wollen die Politiker weghaben, und zwar nicht nur diesen und jenen, nein, alle. Die Politik überhaupt.

Es wird so enden, dass die Politik von morgen sich keine Politiker mehr leisten darf. Eine Demokratie in Sack und Asche werden wir haben und nicht Ruh geben, bevor wir einen Kapuziner zum Landeshauptmann haben. Wenn ich dem jetzt so geschimpften und zum Bleiben verdammten Paul Köllensperger einen Vorwurf mache, so ist es der, dass er sich in seiner Zeit als Movimento-5-Stelle-Exponent an dieser Entwicklung mitschuldig gemacht hat. Dafür hat er sich nicht entschuldigt. Für die 600 Corona-Euro schon. Und die auferlegte Buße ist verhältnismäßig: Er muss bleiben.

Florian Kronbichler


Flor now
Facebook Link