Florian
Kronbichler


Liberal unter Untertanen

Geburtstage haben etwas von Wehmut an sich. Ach wie war es doch vordem …! Klar, es ist ein Zeichen von Alter, wenn man zu sehr die eigene Jugend verklärt. Mir passiert das in letzter Zeit, wenn ich die ff durchblättere. Mir fällt dann ein, was mir Frau Lamberta Amonn, die Witwe unseres Gründers Christoph Amonn, zu dessen Lebzeit einmal erzählt hat: „Das Erste, was der Christoph immer tut, wenn er donnerstags die FF aufschlägt (damals schrieben wir sie noch groß – Anm.d.A.), ist, dass er die Werbeseiten zählt, und je nachdem ist hinterher die Stimmung bei Tisch“.

Ich entdecke an mir neuerdings auch diesen Tick. Ich habe begonnen zu zählen, seit so besorgniserregend wenig zu zählen ist. Ich halte die erste Septembernummer in Händen, sehe schon die Rückseite (teuerste Werbeseite!) nur mit Eigenwerbung besetzt. Ich öffne das Heft und bin auf der vorletzten Seite (weil ich jede Zeitung von hinten beginne und die ff wegen der H.P.D.-Karikatur erst recht). Auch nur eine ganzseitige Eigenwerbung! Die Mittel-Doppelseite: Wieder Eigenwerbung, doppelseitig. Ich muss das ganze Heft durchblättern und stoße zur ersten Innenseite vor, bis ich die erste ordentliche, will sagen, bezahlte Werbung antreffe. Die einzige. Vater Amonn wäre der Appetit verdorben gewesen.

Ich erzähle das, nicht weil ich den heutigen Verantwortlichen des Blattes etwas vorzuwerfen hätte. Sie haben es schwer genug, und die Zeitungszeiten sind härter geworden. Die Episode soll nur das Bild des ff-Gründers ein bisschen zurechtrücken. Viel zu einseitig wird nämlich der Philanthrop, Phantast, Politiker, Visionär, Gutmensch, Schöngeist Christoph Amonn gerühmt, weniger bis gar nicht hingegen der Unternehmer, der ökonomisch denkende und sehr wohl auch handelnde Praktiker. Er hat unternehmerisch gedacht, und das auch mit der Gründung der ff. Zwar suchte er mit ihr nie ein Sprachrohr für seine Politik noch einen Werbeträger für seine Firmen, aber er hat verstanden, dass Südtirol nur dann mit der Moderne Schritt halten kann, wenn es imstand ist, auch auf dem Gebiet der Information aus der herrschenden Monopolkultur herauszuwachsen. Ökonomisches Geschick und gesellschaftlicher Verantwortungssinn, beides vermag ich an den wechselnden Miteigentümern der nunmehr 40jährigen ff nicht im gleichen Maß zu erkennen.

Mich hat Christoph Amonn für die Chefredaktion nicht ausgewählt. Ich bin ihm passiert. Dass er gleich recht zufrieden war mit mir, war dann eher Glück als vorgesehen. Es war 1993, ein sehr verflixtes 13. Jahr im Leben der ff. Der „Fall Durnwalder“, volkstümlicher die „Schwimmbad-Affäre“, drohte die Zeitung zu zerreißen. Chefredakteur Hans Karl Peterlini musste gehen, genauer gesagt und wie sich später herausstellte: er ging. Denn gleich an diesem Fall lernte ich Christoph Amonn als großen und vermutlich einzig wahren Liberalen im Land kennen. Nicht er entließ Peterlini, es war die Partei-Clique, die mit ihrem Kadavergehorsam gegenüber Durnwalder dem Herausgeber Amonn derart an die Pelle rückten, dass es dem Chefredakteur geraten schien, von selber abzuhauen und mit Hilfe des österreichischen „Profil“ eine Anti-ff zu gründen. In der SVP-Parteileitung flogen damals gegen den dort selbst anwesenden Amonn Schmährufe und Verwünschungen, wie sie bis heute nicht zitierfähig sind.

„Hau ihn außi, den Rotzer!“ war noch die mildeste Formulierung des gutsherrischen Parteitribunals. Und der Herausgeber, der die Berichterstattung Peterlinis über Durnwalder ja selbst nicht goutierte, ja verurteilte, was hatte er zu seiner Hinrichtung zu sagen: „Ein Chefredakteur ist unabhängig“, hat er gesagt. Spöttisches Gelächter und Stöße in die Rippen unter den Parteilaggln: Typisch, der Amonn! Schlatterer! Unabhängig? Zum Lachen! Wer zahlt, schafft an. 

An dem Tag wurde in der SVP-Zentrale nicht die Person Christoph Amonn lächerlich gemacht, es war die Hinrichtung einer Haltung. „Ein Chefredakteur ist unabhängig“ – solches, ausgesprochen von einem Zeitungseigentümer gegenüber der geballten Macht des Landes, ist eine Fackel der Hochanständigkeit, ein Manifest der Pressefreiheit, das Wort eines Liberalen unter einem Pack von kuschenden Untertanen.

Es war gut leben unter dem Herausgeber Christoph Amonn. Die Verhältnisse waren wild. Die gesamte Redaktion war weg, ich allein blieb. Nicht weil mich Peterlinis Projekt mit dem neuen Profil nicht auch gereizt hätte. Ich vermochte nicht an es zu glauben. Meine Überlegung war: leichter ist, die bestehende ff zu retten, als das neue „Profil“ in Gang zu bringen. So machte ich den General Jaruzelsky der Situation: grob dreinfahren, um Schlimmstes zu vermeiden. Widerständische Alte raus, in einer Woche stellte ich eine neue Redaktion zusammen. Die Konkurrenz vom „profil“, allesamt alte Freunde und Kollegen, war nicht wählerisch in den Mitteln. Aus Wien war der Profil-Star Hubertus Czernin herangestartet gekommen. Eingeschüchtert wie das Kaninchen vor der Schlange saßen wir Übriggebliebene eingebunkert in den alten Redaktionsräumen an der Raingasse. Die Neugier und wohl auch die Sympathie der „Szene“ gehörten den Neuen am Musterplatz. Das „Südtirol profil“, es ließ sich nicht leugnen, war die bessere ff.

Aber wir hatten den besseren Herausgeber. Wir hatten „den Amonn“. Christoph Amonn widerlegte in den Tagen und Wochen des ff-„Revolutiönchens“, wie Altlandeshauptmann den Sturm von 1993 nannte, alle herrschenden Vorurteile gegen ihn. Der Zauderer kämpfte. Der Sender Bozen lud Czernin und mich zum Pro&Contra. Ich kniff. Ich überzeugte Amonn, es sei besser, er ginge hin. War gelogen, ich hatte nur Schiss. So wohnte Südtirol abends um Viertel nach acht der rhetorischen Abschlachtung ihres Christoph Amonn durch den Medienprofi Hubertus Czernin bei. Wiener Metropole gegen Südtiroler Provinz, Profi gegen Dilettant, Biederkeit gegen Kampfesmut. Jede unabhängige Medien-Jury wäre zu einem sehr eindeutigen Urteil gekommen. Es wäre für uns vernichtend ausgefallen.  

Nicht so das Südtiroler Publikumsvotum. Was meint denn der arrogante Wiener Schnösel? So tut man nicht mit unserem Amonn! Ein Solidaritäts- und Mitleidseffekt erfasste das Land. Wir waren gerettet. Die Wiener mochten wohl besser, professioneller sein, wir waren südtirolerischer, Eigenbau, und überlebten. Damals lernte ich, was es heißt, einen aufrechten Liberalen zum Arbeitgeber zu haben. Christoph Amonn gab Geld – und sonst Ruh. Ich durfte Redakteure einstellen und hätte sogar mehr einstellen können, wäre nicht mein kleinhäuslerisches Denken stärker auf Haushalten gepolt gewesen als das des Geldgebers. Ich leistete mir den Luxus, für den Herausgeber zu sparen. Ich würde meiner derzeitigen Nachfolgerin in der Chefredaktion gern wünschen, dass es ihr mit ihren Eigentümern gleich erginge. Ich halte die Redaktion für fahrlässig unterbesetzt und glaube nicht, dass es redaktionelle Selbstgenügsamkeit ist.

Der Herausgeber redete gern mit dem Chefredakteur, aber er redete ihm nicht drein. Unverständnis für gewisse Artikel richtete er aus, verband dies aber nie mit Maßnahmen. In meiner ganzen Chefredakteurszeit (zwei Zeiten gab es, genau genommen) entsinne ich mich eines einzigen nennenswerten Unmutsausbruchs. Es war, als in einer Kurzmeldung sein Familienname falsch als „Ammon“ statt Amonn im Blatt geschrieben stand. Den Schreibfehler fett eingekreist, faxte er mir den Artikel zu mit dem handschriftlichen Vermerk „Schlamperei!“ Unangenehme Bemerkungen, selbst solche die Sphäre des einen und anderen seiner Betriebe betreffend, ließ er prinzipiell unzensiert.

Von meinen Vorgängerkollegen Hans Karl Peterlini und Josef Rohrer weiß ich, dass Amonn durchaus mit Respekt verfolgte, wie diese beiden talentierten Redakteure mit unverhüllter Lust gegen ihren moderierenden Chefredakteur Solderer anschrieben und aus dem anfangs braven Societyblatt den Südtiroler „Spiegel“ machten. Als das wahrscheinlich beste Südtiroler Journalistenpaar Peterlini-Rohrer nach zehn Jahren das Kommando im Haus auch offiziell übernehmen wollten, da hielt der Herausgeber auch das für „fällig“. Er ließ gewähren, jedoch nicht ohne gleichzeitig dem abgeschirrten Schlachtross Solderer mit der Gründung des Verlags „Raetia“ eine goldene Brücke in eine neue Existenz zu bauen. Christoph Amonn war nämlich außer liberal auch gütig. Er bewies Leidensfähigkeit und einen bewundernswerten väterlichen Fatalismus: Das Kind ist da, und weil es eh nichts hilft, ist es das Gescheiteste, man ist stolz drauf. So ungefähr muss er gedacht haben über sein Verhältnis zur ff.

Als Christoph Amonn im Herbst 1994 starb, bildete das Begräbnis auf Mariä Himmelfahrt am Ritten den moralischen Anstoß zur Versöhnung und späteren Wiedervereinigung der zwischenzeitlich verfeindeten Redakteure von ff und südtirol profil. Es kam die Zeit der Erben und wechselnder Miteigentümer. Das Durchhalten und Einstecken-Können, ein offenbar Amonn’sches Familien-DNA, setzte sich freilich eher nur in Christophs Kindern fort. Zwar nicht mehr Mehrheitseigner, aber bis heute maßgebende Teilhaber, sind Magdalena und Thomas Amonn sowohl Garanten für redaktionelle Unabhängigkeit einerseits als anderseits auch eine Sicherheit für verlegerische Neueinsteiger. Ohne die Amonns mit im Boot zu wissen, hätte so mancher der nachfolgenden Teilhaber den Einstieg nicht gewagt. Amonn, das ist wie ein gut gehendes Geschäft am Platz mit dem Firmenschild vom Urgroßvater darüber. So Vertrauen stiftend.

 Zwei Beispiele nenne ich, an denen ich in der geschäftsführenden Magdalena Amonn familieneigenes Durchhalten und Einstecken-Können erlebt habe. Ich machte das Scheitern der Durnwalder-Ehe öffentlich, um die im ganzen Land längst schamhaft herumgedruckst wurde. Landeshauptmann Durnwalder drohte mit Millionenklage, und ausgerechnet der schwergewichtige Heinz Peter Hager, damals mächtiger Mann im ff-Verwaltungsrat, hielt den Chefredakteur deshalb für nicht länger tragbar. Da war es Magdalena Amonn, die verstand, dass die Zeitung ein zweites Einknicken vor dem Landeshauptmann (nach dem Fall Peterlini) nicht überstehen würde. Die Geschichte gefiel ihr zwar nicht, aber sie erlaubte sich zu bedauern, dass für den Coup nicht rasch eine höhere Druckauflage bestellt wurde.

Eine letzte Nicht-Selbstverständlichkeit journalistischen Berufslebens noch. Was eine halbwegs kritische Zeitung sein will, muss ab und zu mit gerichtlichen Klagen rechnen. Ich verlor einmal so einen Prozess und wurde zur Schadensersatz-Strafe verurteilt. Gute Verleger übernehmen für ihre Chefredakteure solche Schulden. In meinem Fall war es zur Verurteilung gekommen zu einem Zeitpunkt, als ich die ff bereits verlassen hatte und für mich kein arbeitsvertraglicher Schutz mehr galt. Magdalena Amonn übernahm dennoch die Strafe, weil, so begründete sie es vor dem Verwaltungsrat, ich „immer anständig war“. Sagte ich eben: Unter Amonns war gut Chefredakteur sein.


Flor now
Facebook Link