Florian
Kronbichler


Meraner Mander und Madeleine

Wahlen waren einmal einfach. Ein Kopf, eine Stimme – die Stimmen wurden zusammengezählt, die Köpfe mit den meisten Stimmen waren gewählt, denn das war der Wählerwille. Inzwischen und spätestens seit diesen Gemeindewahlen ist das nicht mehr so. Die Wahl ist um, das Wahlergebnis liegt vor, aber der Wählerwille? Was wollte das Volk uns sagen? Bald keine Gemeinde mehr, in der bei der Besetzung des Gemeindeausschusses – heißen wir ihn seinen Mitgliedern zu Ehren die Gemeinde-„Regierung“! – nicht über den Wählerwillen gestritten würde. Nach dem Gesetz wählt der Bürgermeister die Ausschussmitglieder aus, die jetzt Referenten heißen. Normalerweise ernennt er sie aus den Mitgliedern des Gemeinderats, und kein Bürgermeister ist so selbstschädigend, dass er dabei nicht auch auf das Vorzugsstimmenergebnis der jeweiligen Räte achtet. Neuerdings ist das nicht mehr so einfach. Aus dem Wählerwillen ist eine Art Bürgermeisterschreck geworden. Passt einem Gemeinderat nicht, wen der Bürgermeister für seinen Ausschuss vorschlägt, ruft er: Wählerwille! Der Wählerwille werde (wahlweise) missachtet, verfälscht, mit Füßen getreten. Früher war solche Kritik Exklusivgut der Opposition, so es eine solche gab. Inzwischen wehren sich damit vornehmlich SVP-Räte vor ihrem (SVP-)Bürgermeister. Das Ergebnis: Konfliktscheu, wie sie in der Regel sind, nehmen sich die Bürgermeister einfach die Erstgewählten auf der Liste, unbesehen ihrer Eignung fürs jeweilige Ressort (obligate Frau nicht zu vergessen!), und Ruhe ist im Kabinett. Hauptsache, keine Scherereien. Deshalb, warum eigentlich nach den Bürgermeistern nicht gleich auch die Ausschussmitglieder direkt wählen?Ja, warum nicht? Zur Erörterung der Frage drängt sich diesmal ein besonders prominentes Beispiel auf: Madeleine Rohrer, Spitzenkandidatin der Grünen in Meran, Meistgewählte ihres Gemeinderats und nach der Brixner SVP-Politikerin Paula Bacher meistgewählte Südtirolerin überhaupt. Die Meraner wussten offenbar, wen sie wählen wollten. Sie wollten ihre bisherige Stadträtin wieder haben. Und im Unterschied zu gar manchem Bürgermeisterkollegen im Land, will der Bürgermeister von Meran dem Wählerwillen seiner Gemeinde sehr wohl zum Durchbruch verhelfen. Er will die Rohrer, und zwar – so scheint es – bedingungslos. Nun scheint es möglich, dass ausgerechnet am Wählerwillen-Star Madeleine Rohrer die Bildung der Meraner Stadtregierung scheitert. Der Fall würde Geschichte machen als das Absurdum von Meran. Meistgewählte Gemeinderätin, Favoritin des Bürgermeisters, Frau, deutschsprachig – Madeleine Rohrer ist nach jeder demokratischen Logik erste Wahl für die neue Stadtregierung. Eine „Gesetzte“, um es im SVP-Jargon zu sagen. Die demokratische Logik spießt sich in Meran jedoch an einer Parteilogik. Der SVP ist die Rohrer zwar zuwider wegen ihrer grünen Mobilitätspolitik, doch das noch größere Ärgernis der Widerborstigen (außer ihrer zu vielen Stimmen) ist, dass sie Frau und keine Italienerin ist. Wäre Madeleine Rohrer Italienerin, würde sie den historischen Exklusiv-Anspruch der Proporz-Partei auf die deutschen Ressorts nicht stören. Der SVP erscheint bereits die (natürlich unfreiwillige) Freigabe des Bürgermeisters eine unstatthafte Konzession an den Wählerwillen. Und in zwei geforderten Stadtratssitzen (statt dem verdienten einen) sieht sie die gebotene Entschädigung für den entgangenen Bürgermeister. Nach dem Sprachgruppenverhältnis, so wie es sich aus den Wahlen ergeben hat, trägt es in Meran nur zwei deutschsprachige Referenten plus Bürgermeister. Es ist das Prinzip, das die SVP selber zur Grundfeste der Autonomie erhoben hat. Diesmal kehrt es sich halt gegen das eigene Partei-Interesse. Dass sie dafür bereit wäre, demokratische Rechte (nämlich Wahlergebnisse) zu opfern, beweist nicht Prinzipienfestigkeit. Schlicht prinzipienlos und nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist der Umgang der Partei mit dem Faktor F. F wie Frau. Die 8-Mandatare-starke SVP des Meraner Gemeinderats hat keine Frau, so wie ihre Lieblingspartner auf italienischer Seite, die ebenso 8-Mandatare-starke Alleanza per Merano plus Lista civica, genau so keine Frau hat. Als wäre das allein nicht beschämend genug, kommt hinzu, dass die beiden in Sprachgruppen-übergreifender Frauenlosigkeit einander zugetanen „Blöcke“ in ihrem Machtanspruch sich nicht scheuen, erkämpfte und inzwischen gesetzlich verankerte Frauenrechte aushebeln zu wollen. Die Präsenz von Frauen in Gemeindeausschüssen ist Gesetz. Für Meran trifft es zwei. Die meistgewählte Frau des Gemeinderats nicht in den Ausschuss zu nehmen und die einzige PD-Frau als zweite auch nicht, und sie allenfalls mit zwei von außen Berufenen, also Nicht-Gewählten ersetzen zu wollen, – sich das vorzustellen allein ist bereits ein Anschlag auf Grundrechte. Nicht dafür, dass der Bürgermeister wieder Rösch heißt und grün ist, haben sich die Meraner SVP und ihr Strippenzieher Zeller zu schämen. Dass sie keine einzige Frau in den Gemeinderat zu wählen imstande waren, das ist die zivilisatorische Schande. Dass sie jetzt, anstatt still zu sein und sich zu schämen, die meistgewählte Frau der Bürgermeisterpartei mit einer eigenen Nicht-Gewählten ersetzen wollen, bedeutet nicht nur, den Wählerwillen zu verraten. Es ist Wahlfälschung. Und das Versprechen, Madeleine Rohrer, gegen die man selbstverständlich „nichts hat“ (oh, und wie man’s hat!) später auf dem Umweg einer Aufstockung des Gemeindeausschusses von 7 auf 8 doch noch hereinzuholen, ist zum Schaden hinzu noch der Spott. Die Wahlgewinnerin am Katzentischchen. Der Sprachgruppen-Proporz ist Statut, die Frauenvertretung ist Gesetz, die Stimmen sind Wählerwille, der zweite SVP-Stadtrat ist ein parteilicher Wunschtraum.


Flor now
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