Florian
Kronbichler


Pestizidprozesse: Wo Recht haben zur Dummheit wird

Vergangenen Donnerstag war ich Zaungast einer fast heiteren Gerichtsverhandlung. Am Bozner Landesgericht war wieder Pestizid-Prozess. So heißen die mittlerweile schon zahlreicheren und bezeichnender Weise immer gleich endenden Verfahren gegen „das Wunder von Mals“ und dessen Bewunderer. Nach der Erfahrung mit dem Auftaktprozess im September, der gar nicht hätte stattfinden sollen, weil es hieß, die Streitparteien hätten sich vorab gütlich geeinigt, wollte ich diesmal nicht zu spät kommen. Die Eile war vergebens. Niemand wartete da, außer mir, einem Kameraman der Rai und dem Fotografen, den der Angeklagte aus München eigens für sich mitgebracht hatte. Langsam kamen sie dann: Der angeklagte Verleger Jacob Radloff, begleitet und ein bisschen ermuntert von seiner Frau; sein Anwalt Nicola Canestrini, immer jovial und schon fast gleich barock wie sein berühmter Vater Sandro. Die klagende Partei, zu der gehören Landesrat Schuler und die zwei größten Obstgenossenschaften, haben zu ihren beiden bisherigen örtlichen Anwälten Volgger und Grüner den Strafrechtler Carlo Bertacchi, ein Schwergewicht am Bozner Tribunal, hinzugezogen. Zunächst hieß es, Publikum werde nicht zugelassen. „Corona“ ist momentan ein Totschlag-Argument gegen jede unliebsame Öffentlichkeit. Dann war aber so gut wie kein Publikum da, und Richter Peter Michaeler, ein leutseliger Herr, winkte uns paar Wartende in den Saal. „Kommt nur!“Es begann die Staatsanwältin. Sie beharrte auf ihrem Antrag, dass die Klage gegen den Verleger des inkriminierten Buches sowie die Vorstandsmitglieder des Münchner Umweltinstituts abgewiesen werde, der Fall somit zu archivieren sei. Sie hatte das bereits ein erstes Mal so gefordert. Dagegen hatten Landesrat und Genossenschaften rekurriert. Sie glauben anscheinend immer noch, hart bleiben sei Tiroler Pflicht. Verfahren einstellen hatte bereits vorher die Münchner Staatsanwaltschaft verfügt. Für sie ist alles, was im Buch steht und vom Umweltinstitut verlautbart wurde, Ausdruck von Meinungsfreiheit. Dem entsprechend verweigerte München die von Bozen angeforderte Rechtshilfe. Klägeranwalt Bertacchi tat, was er seinem Ruf schuldig war, mehr nicht. Routiniert rief er Strafgesetzbuch-Artikelchen auf, nach denen der Strafbestand der üblen Nachrede bestehe. Den Eindruck zu erwecken, er sei davon selber weiß Gott wie überzeugt, bemühte er sich eher nicht. Causa persa. Die Verteidigung hatte leichtes Spiel. Sie hatte die Staatsanwältin auf ihrer Seite, und hätte der Richter wirklich erst überzeugt werden müssen, so tat das am besten der Angeklagte selber mit seinem sehr persönlich gehaltenen Redebeitrag. Richter Michaeler, bestens gelaunt, versprach den Urteilsspruch „für einen der nächsten Tage“. Wie dieser ausfallen würde, war leicht seinem Gesichtsausdruck abzulesen: Archiviert, also vom Tisch die Klage gegen Verleger und Umweltinstitut-Vorstände, wissen wir seit dieser Woche. Und wieder stehen Südtirols pestizidverseuchte Äpfel und der Maulkorb für Meinungsfreiheit deutschlandweit in der Presse. Die kontraproduktive Landes-„Verteidigung“ geht also weiter. Angefangen hatte die Blamage für Landesrat Arnold Schuler mit dem Schauprozess im September. Er hatte die Klage gegen den Buchautor Alexander Schiebel und den Sprecher des Münchner Umweltinstituts zurückziehen wollen, war aber juristisch offenbar dazu nicht imstand. Die beklagten Parteien und ihr publicitybewusster Anwalt Nicola Canestrini hatten ihn in die Falle laufen lassen. Anstatt vom Tisch ist der Fall von nun an groß in allen Medien. Repubblica und La Stampa kamen bereits mit ganzseitigen, von Umwelt-Organisationen der halben Welt gesponserten Anzeigen gegen die Knebelung der Meinungsfreiheit in Südtirol. Die großen deutschen Zeitungen brachten Negativ-Berichte über Südtirol und seinen Umgang mit Äpfeln und Meinungsfreiheit, die den millionenteuren Werbeaufwand von Land und Obstgenossenschaften erheblich neutralisiert haben dürften. Die Rufschädigungs- und Schadensersatzklage, nichts Außergewöhnliches, wo Medien im Spiel sind, fällt als Bumerang aufs ganze Land zurück. Spätestens nach dem ersten Verfahren hätte der Landesregierung und der mit Wahrung und Mehrung des Landesansehens betrauten IDM dämmern müssen: Es geht hier nicht mehr um Äpfel und wahre oder unwahre Behauptungen drum herum. Hier geht’s um Kommunikation, um Meinungsmache, Werbung, und darauf versteht sich die Gegenseite unzweifelhaft besser. Drum gescheiter, es nicht aufnehmen mit ihr.Das Land aber – man muss das so sagen, denn nur Landesrat zu sagen, wäre unfair angesichts der Tragweite des Falles – das Land hat wider alle Offensichtlichkeit auf Durchhalten und Gegenwehr geschaltet. Es glaubt sich im Recht, schlimmer noch: in der Pflicht, die ehrenrührenden und geschäftsschädigenden Behauptungen „dieser deutschen Schreibtischtäter“ sich nicht gefallen zu lassen. Sich zu wehren sei moralische Pflicht. Hier steh ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Ist zwar von Luther, aber aus ein bisschen Abstand betrachtet doch auch recht tiroltypisch. Lassen wir das Recht beiseite. Gut möglich, dass es Schulers Seite ist. Doch nach der Opportunität zu fragen, zu überlegen, ob es auch klug ist, und nicht zuletzt: ob ein Sieg im Prozess auch wirklich ein Sieg in der Sache sein muss – all das wäre aufklärerisch, also nicht wirklich unser Ding. Vom unternehmerischen Grundsatz: „no news best news“ muss man beim Land noch nicht gehört haben.Denn wie immer der Rechtsstreit Land gegen Schiebels Buch (ist doch nur ein Buch!) und gegen Karl Bärs Münchner Umweltinstitut (ist doch nur ein Verein!) ausgehen wird, der angerichtete Schaden steht schon einmal fest, und er ist selbstgemacht. Je dickschädeliger das Land sich in die Sache noch hineinwirft, desto schlimmer für es. Die Münchner haben die Bühne und verstehen, drauf zu spielen. Auch das schlichteste Gemüt hat das verstanden. Und je mehr angestrengte (und vom Land bezahlte) Prozesse, desto mehr Stücke kommen auf die Bühne. Das Theater wird noch grandios. Eigentlich müssten die Bauern und ihr Bund dem Landesrat Schuler in den Arm fallen, anstatt ihn weiter aufzuhetzen. Dafür müssten sie selber weniger stur sein und mehr von Kommunikation verstehen. Denn zu so guter Qualität können Südtirols Äpfel nie aufgespritzt werden, wie sie durch schlechte Kommunikation, oder sagen wir Abwerbung verdorben werden können.


Flor now
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