Florian
Kronbichler


Der unverbaute Wildbach

Am Samstag ist Ernst Watschinger in seinem Sexten beerdigt worden. Er war 40 Jahre lang Chef der Wildbach- und Lawinenverbauung und starb mit 95. Nachruf auf eine Legende.Seit einiger Zeit (genau genommen seit Ende der frühmorgendlichen Bittgang-Demokratie) geht im Land der Ruf um: „Entscheiden tun eh nur mehr die Beamten.“ Der Klage schwingt Wehmut nach: Ach, wie war es doch vordem … wisst schon. Doch die Leute haben ein kurzes Gedächtnis. Es gab in der Geschichte des autonomen Südtirols schon Zeiten, da entschieden Landesbeamte mehr, als heutige Landesräte sich je erlauben würden. Nachrühmend zu sagen, Ernst Watschinger war ein solcher, ist untertrieben. „Der Watschinger“ war die fleischgewordene Beamtenmacht. 40 Jahre lang wehrte er den Naturgewalten Südtirols. Ihm war wurscht, wer unter ihm Landesrat war (unter, wohlgemerkt!). Bürgermeister, Freiberufler, Bauern, egal, – wer was brauchte, ging „zum Watschinger“, nicht zum Politiker. „Auch ich setzte mich gegen ihn nicht durch“, rief Alt-Landeshauptmann Durnwalder dem Altbeamten Samstag zum Begräbnis nach. Aus seinem Munde: das Höchstkompliment. Vorbei die Zeiten. Ernst Watschinger, 1926 in Sexten geboren und zeitlebens sehr Sextner geblieben – in dem seinem berühmten Landsmann Claus Gatterer entlehnten Sinn: „Schöne Welt, böse Leut“ – war der Durnwalder der Landesbeamten. „Er hatte eigene Methoden und eigene Anschauungen, und Widerspruch war nicht erlaubt“. Auch das Wortlaut Durnwalder. Als hätte er über sich selber gesprochen. Watschinger hat in Wien Forstwirtschaft studiert und ging Ende 50er Jahre „zum Land“, was damals noch die Region war. Erst mit dem neuen Autonomiestatut kam Wildbach- und Lawinenverbauung in die Landeszuständigkeit, und der junge Forstwirt wurde ihr Chef, ihr erster und absoluter. Es war die Gründergeneration von Südtirols autonomer Verwaltung, die Stunde der „Rufacher“. Auch Watschinger hatte die berühmt-berüchtigte Nazi-Schule in elsässischen Rufach besucht und von dort das dafür bekannte Pflichtbewusstsein mitgenommen. Watschingers Verwaltung, genauer gesagt sein Landverwesertum, war hemdsärmelig, so wie es sein ganzes Auftreten war. Aus der damals noch von ganz oben bis ganz unten durchkrawattierten Beamtengesellschaft stach der stiernackige Watschinger als einziger mit konsequent offenem Hemdkragen heraus. Die kleingewachsene, dafür gedrungene Statur signalisierte Machtfülle. Etwas Bonapartisches verlieh sie ihm. Als weiteres Erkennungszeichen diente: von zweien immer der Lautere. Sein Rock, wenn er einen trug (weil eben normalerweise in Hemdsärmeln) war jener grüngraubraun karierte mit Hirschhornknopf am Aufschlag, wie man ihn von Hirten und Viehhändlern kennt. Ein unverbauter Wildbach war er. Dass er jedem gleich das Du anhängte, auch darin hatte er seinen späteren Landeshauptmann vorweggenommen. Watschinger war ein Fachmann auf Höhe seiner Zeit. „Die Bäche brauchen Platz.“ Das war sein erster Glaubenssatz. Wieviel Platz, das bestimmte er. Und wie sich der Bach darin zu verhalten hat, weitgehend auch. Die Bozner Talferwiesen, die selber errichtet zu haben er hartnäckig gegen alle Ansprüche des Militärbauamtes behauptete, wollte er baum- und zaunfrei behalten. Watschinger wird in die Geschichte eingehen als der Vater der Betonschwellen und Rückhaltebecken an Südtirols Flüssen und Bächlein. Alles ordnete er dem Überziel unter, die Menschen vor den Naturgewalten zu schützen. Sein ungebrochener Technikglaube trug ihm bei der nachwachsenden, ergrünenden Generation den Übernamen des „Betonierers der Nation“ ein. Den Widerspruch (den er nicht duldete) hatte er sich früh selber ins Amt geholt: Er trug den Namen des Vinschger Florin Florineth, selber Absolvent der Wiener Bodenkultur-Uni und in den 80er Jahren Gallionsfigur der Südtiroler Umweltschutz-Bewegung. Florineths Aufgabe war es, zu begrünen, was Watschinger betoniert hatte. Konflikt war unvermeidlich. Der quirlige Begrüner predigte nämlich „Pflanzen statt Beton“. Nicht nach Beton. Unvermeidlich kam es zum Kulturkampf. Watschinger der Sturschädel hatte jedoch die Größe, seinen widerspenstigen Mitarbeiter zu schimpfen: „Dieser Florineth ist nicht nur stur, oft hat er Recht auch noch“. Da hatten sich die Zeiten schon geändert. Sie zogen mit Florineth, und dieser zog aus dem Amt für Wildbach- und Lawinenverbauung in Bozen bald an die Universität Wien weiter, wo er es zum geachteten Professor für „Vegetationstechnik“ brachte und inzwischen auch schon pensioniert ist. Die beiden verband weiterhin nicht nur der gemeinsame Beamten-Ruhestand (Watschinger ging vor 30 Jahren in Pension), der Ingenieur gleich wie sein Kritiker begaben sich in den selbstverordneten Unruhestand. Watschinger verzog sich in sein Sexten und verwandelte sich dort, wie von Beobachtern gern befunden, „vom Saulus zum Paulus“. Selbstverständlich gab der Allmächtige von dereinst nicht Ruh. Das war erwartet. Nicht erwartet war die Heftigkeit, mit welcher der Altbeamte aus seinem sicheren Ruhestand heraus gegen die Betonierer von später zu Felde zog. Jedem Umweltschutzgrüppchen lieh er fortan Stimme und das Gewicht seines Namens. Wo immer Landschaft verhunzt wurde, der Watschinger unterzeichnete Manifeste, schrieb Leserbriefe, rief zu Kundgebungen auf, reichte sogar Klagen bei Gericht ein. Er blieb „der Watschinger“, einer von den „bösen Leut“, die Claus Gatterer in seinem Buch gemeint hat. So sehr blieb er es, dass auch seine Widerrede gegen die Obrigkeit zum Schluss die berühmte „Wirkungslosigkeit des Klassikers“ (Max Frisch über Bert Brecht) erreicht hat.War Watschinger deshalb ein Renegat? Ein Konvertit? Gar ein Windfähnchen? Mitnichten! Man wird anerkennen müssen: Nicht er, die Zeiten hatten sich geändert. Watschinger blieb sich sein Lebtag treu. Im Guten wie im weniger Guten. Wäre er heute Chef der Wildbachverbauung, er würde ein Florineth sein. Würde „pflanzen statt betonieren“. Und es ist fast Südtiroler Konsequenz zu nennen, dass der Altbeamte – unselig gleich wie der Altlandeshauptmann – ausgerechnet seinen Nachfolger mit Nichthochachtung begleitet. Rudolf Pollinger hat einen nicht geringen Teil seiner Kraft aufwenden müssen, vor den Belehrungen seines amtlichen Erblassers zu bestehen. Symbolhaft deshalb die Gleichzeitigkeit, in der sich letzte Woche alles friedlich fügte: Rudolf Pollinger ging als Direktor der Wildbachverbauung (Bevölkerungsschutz heißt es heute) ehrenhaft und hochbedankt in Pension. Ernst Watschinger, die Legende, starb am 12. Mai und wurde am Samstag in Sexten begraben. Foto: Ernst Watschinger umrahmt von seinem Nachfolger Rudolf Pollinger und Altlandeshauptmann mit Buchautorin Carmen Müller

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Flor now
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