Florian
Kronbichler


Der Beherrschte

„Entscheidend is auf’m Platz“. Stammt von Adi Preißler, dem legendären Borussia- Spieler, der heuer 100 geworden wäre, und gilt immer noch. „Auf’m Platz“ sind wir Südtiroler nicht so besonders, aber draußen und danach, beim Reden, und sagen wir’s umstandshalber auf Italienisch: beim „calcio parlato“, da sind wir Europameister. Das Märchen von Wembley hat uns unser Stefano Bizzotto erzählt. Um ihn geht es hier.

Stefano Bizzotto die „Voce nazionale“ zu nennen, würde der 60jährige Bozner selber für übertrieben halten. Vorgänger seines Fachs wie Nicolò Carosio, Nando Martellini oder Bruno Pizzul waren solche. Institutionen des italienischen Fußball-TVs. Mit ihren Qualitäten und Macken, Stimmen für die Ewigkeit. Das ist Stefano nicht. Er wäre zu bescheiden dafür. Eigentlich verdankt er seine Sternstunde dem hinterfotzigen Corona-Virus. Rai-Stammkommentator für die Nationalmannschaftsspiele ist der Römer Alberto Rimedio. Obwohl geimpft, wurde er drei Tage vor dem EM-Endspiel Covid-positiv getestet. Sein Leid, die Freud des Stellvertreters: Stefano Bizzotto durfte Italien zu seinem Europameistersieg kommentieren. Mit der ehemaligen Fußballerin Katia Serra aus Bologna als Co-Kommentatorin. (Tatsächlich kommentierte diese dann, und Stefano – das ist aber nicht abwertend gemeint – beschränkte sich aufs Berichten, was er am besten kann.)

Vor 40 Jahren haben wir miteinander beim Alto Adige unsere ersten journalistischen Schritte getan. Er in der italienischen Lokalchronik, ich beim „Deutschen Blatt“. Stefano war 10 Jahre jünger, unpolitisch und grenzenlos anstellsam. Für keinen Auftrag war er sich zu schade, und als einziger von den jungen Redakteuren konnte er passabel Deutsch. Bezeichnend, dass damals die älteren Redakteure eher etwas Deutsch sprachen und verstanden als die jungen. Stefano der Fleißige musste jedem Autounfall und Hennendiebstahl nachlaufen und fand daneben noch Zeit für seine eigentliche Leidenschaft, den Sport. Über alles schleppte er Nachrichten an, Hockey, Skirennen, Turmspringen, am meisten aber über Fußball, und als einziger kannte er sich in der deutschen Bundesliga aus. Seine Sammlung von Panini-Bildchen war wahrscheinlich vollständig und erweitert um sämtliche Bundesligaspieler.

Sein Ruf als Arbeitstier und Deutsch- und Deutschland-Kenner hatte sich wohl bis Mailand durchgesprochen, und Stefano Bizzotto wurde von der Gazzetta dello Sport, dem Flaggschiff des italienischen Sportjournalismus, angeworben. Sein Spezial-Einsatzgebiet dort: deutscher Fußball. Das war 1986. Stefano berichtete von da an nicht nur aus Deutschland und anderen mitteleuropäischen Ländern, er war den italienischen Clubs auch Rat- und Tippgeber. Er kennt alle Spieler, viele persönlich. Seine vielen Bekanntschaften, sein längst legendäres Archiv, die flotte Arbeitsweise und, nicht zu vergessen, die Sprachkenntis (Deutsch-sprechende Sportjournalisten gibt’s nicht viele in Italien) führen den immer noch jungen Bizzotto (Jahrgang 1961) zu Beginn der 90er Jahre zwangsläufig in den Staatssender Rai.

In der Rai-Sportredaktion wird Stefano Bizzotto zum Deutschen unter Italienern. Und zwar das nicht nur in einem sprachlichen Sinn. Der Bozner verkörpert sämtliche Deutsch-Klischees, die es in italienischen Köpfen gibt: korrekt, belastbar, streberisch, allwissend, dafür aber halt auch: emotionslos, also fad. Der Final-Abend von Wembley war guter Beweis dafür. Bizzotto nennt jede Ballberührung beim Namen, aber jede; weiß alles von jedem Spieler und jedem Spiel, und sagt auch alles. Biografien, Geschichte, alles hat er parat. Er ist der perfekte Chronist, und es war bezeichend: den Kommentar dazu, die Stimmungsmache überließ er der Kollegin Katia Serra.

Den „uomo in più“ für die eigene Mannschaft, den die Fans gern mögen, liefert Stefano Bizzotto nicht. Er ist kein Sascha Ruefer der Schweiz. So weit trieb er es mit der Korrektheit des Chronisten, dass die 66. Minute kommen musste, bis er zum ersten Mal sagte: „forza ragazzi!“ Darauf allerdings fiel, in der 67. Minute, gleich auch das Tor zum Ausgleich für Italien. Man sah: der Mann versteht was. „Ci siamo“, quittierte er seine Prognose und überließ wieder Kollegin Serra den Kommentar. Bizzotto ist außer kennerisch auch höflich.

Es musste Tor-Riese Donnarumma den letzten, entscheidenden Elfer parieren und Italien Europameister geworden sein, dass Stefano der Beherrschte, selbst er, die Contenance verlor und final ausrief: „Il calcio torna a casa, e la casa del calcio è l’Italia“.   

Foto: Stefano Bizzotto, Europameister-Reporter


Flor now
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