Florian
Kronbichler


Die Lebensfrohe

Wilhelmine Schett ist diese wetterkapriziösen Mittsommerwochen in Rom geblieben. Dort, und eigentlich auf der ganzen Welt, heißt sie Mina Welby. Den Rufnamen hat sie von Ehemann Piergiorgio Welby. Der Künstler litt an einer qualvollen Muskeldystrophie und kämpfte jahrelang für das Recht auf Sterben. Seine Frau unterstützte ihn dabei. Seit Piergiorgios Tod im Jahr 2006 ist Mina Präsidentin und Ikone der Bewegung für die gesetzliche Regelung von Euthanasie. Bis zum 30. September, also noch zwei Monate, werden in ganz Italien Unterschriften gesammelt für das einschlägige Referendum. 250.000 Unterschriften sind beisammen, 500.000 braucht es. „Sterben zu dürfen, wenn der Schmerz zu unerträglich wird und kein Mittel mehr hilft“. So definiert Mina Welby ihre Mission. „Denn in Wahrheit bin ich Lebenshelferin“, präzisiert sie. Auf Südtirol-Sommerfrische kommt die Unerschütterliche heuer erst nach Ferragosto. Ins Pustertal, nach Innichen, wo sie 1937 geboren ist, Sexten, wo sie aufwuchs, und Reischach zur Familie ihres Bruders. Aber gern, „um ein bissl fürs Referendum zu werben“, auch nach Bozen, Brixen oder Bruneck. Hier trägt sie ihren Taufnamen Wilhelmine und Schett. Die 84-Jährige spricht mit mädchenhaft frischer Stimme auf Pustrerisch, und Ferragosto ist für sie auch nach einem halben Jahrhundert Leben in Rom weiterhin Hochunserfrauentag. Mina hängt an Land und Leuten. Südtirols letzthin so drangsalierten Sanitätsverantwortlichen dürfen sich freuen: Mina Welby, soviel sei verraten, arbeitet alleweil an einem Aufsatz zur Palliativpflege in Südtirol und kommt darin zum Schluss, diese sei „vorbildlich. In Südtirol wird besser gepflegt als in ganz Italien“. Die Frau hat Palliativabteilungen besucht, über die Rechtslage recherchiert, die Dokumente des Ethikrats durchgesehen. Sie war Lehrerin (man ist versucht zu sagen, eine von der Art, wie es sie heut nicht mehr gibt).Mina Welby ist die Widerlegung des herrschenden Vorurteils über Sterbehilfe und, schlimmer noch, Euthanasie. Den Begriffen hängt der Ruch von „Nachhelfen“ in einem bösen Sinn an. Von Schupsen statt Aufhalten, wenn’s mit dem Leben zu Ende geht. Dass das Wort so wohlklingend ist, (aus dem Griechischen: eu für gut und thanatos Tod – guter Tod), wird ihm als verharmlosend, ja hinterlistig ausgelegt. Euphemistisch eben, beschönigend. Dazu kommt die finstere Geschichte: die Nazi haben vieltausendfach „unwertes Leben“ „euthanasiert“. Um Euthanasie gibt es große, ernsthaft moralische Diskussionen, aber halt auch viel Moralin und verniedlichendes Geschwätz.Mina Welby ist ein wandelndes Beispiel für Karl Kraus’ Sinnspruch: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“. Zweimal schon ist die Witwe ihres wortwörtlich „zu Tode gepflegten“ Mannes Piergiorgio für ihre Standhaftigkeit vor Gericht gestanden. Das letzte Mal voriges Jahr dafür, dass sie den unheilbaren und sterbenswilligen Davide Trentini zu seinem Freitod in die Schweiz begleitet hatte. Das Oberlandesgericht Genua sprach die „Sterbe-Helferin“ frei. Mina Welby ist Christin und hat kein Problem damit, als solche ihr Engagement für die Legalisierung von Euthanasie zu verteidigen. „Ich hab Hans Küng gelesen“, sagt sie. Sein Buch „Glücklich sterben? – mit Fragezeichen“. Glücklich sterben bedeute für den großen Theologen, der heuer im Frühjahr gestorben ist, „nicht Selbstmord, sondern menschenwürdiges Ende des Lebens“. Die resolute, immer herzliche Lehrerin fasst ihr Credo zusammen wie folgt: „Alle Mittel der Palliativpflege ausschöpfen! Wenn aber nichts mehr hilft, gar nichts mehr, wenn Leiden unumkehrbar ist, muss ich das Recht haben, dass mir zu sterben geholfen wird“.Der christliche Ur-Satz „Alles Leben gehört Gott“ irritiert die Euthanasie-Befürworterin nicht. „Gott ist nicht so böse, dass er Leben so lang verlängern will, bis es unerträglich wird“. Und im übrigen: „Die heutige Medizintechnik kann das Leben verlängern, derart über alle Natürlichkeit hinaus, dass auch das als Eingriff ins Leben erachtet werden muss“.Ohnehin sieht sich unsere italienweit bekannte Landsfrau Mina Schett Welby durch und durch als Lebenshelferin. „Ich erhalte täglich Anfragen, und es mag Sie wundern“, sagt sie: „Niemand von denen, die sich an mich gewendet haben, ist bisher in die Schweiz gefahren. Ich habe sie alle in die Palliativpflege geraten. Gar manche leben noch. Einige Hinterbliebene haben sich bedankt. Es braucht Glück, auch in der Palliativpflege.“Eine große Frau, diese schöne, gescheite, lebensfrohe, kleine Wilhelmine Schett Welby! FOTO: Mina Schett Welby, Präsidentin der Vereinigung für Straffreiheit der Euthanasie


Flor now
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