Florian
Kronbichler


Der Aussteigebauer

Nichts ist mehr, wie es war. Nicht einmal bei den Bauern. Undenkbar früher, dass die diversen Stände ihres Bundes, die Bauersleute insgesamt, die Bäuerinnen, die JungbauerInnen, an drei Hochsommer-Wochenenden hintereinander zu Landesversammlungen nach Bozen fahren. Ausgerechnet zur Heu- und Grumetzeit! Wo sie doch nach altem Naturrecht zu tun hätten und nicht Zeit haben dürften. Jänner-Februar, das war einmal Bauernversammlungszeit.

Vorbeie Zeit! So nehme auch ich mir die Freiheit heraus, zur Unzeit einen Bauer zu besuchen. Einen sehr alternativen Bauer, der jetzt nicht Zeit hätte, nach Bozen zu kommen. Es ist Richard Menghin, und sein Hof liegt bei Urbino in den Marken, Mittelitalien. Vor 40 Jahren ist der junge Richard aus Frangart mit seiner noch jüngeren Braut Verena dorthin gezogen. Genauer gesagt, die beiden mit den später hinzugekommenen drei Kindern sind seither dort übrig geblieben. Sie sind die Überlebenden einer alternativen Auswanderer-Generation.

Die Jüngeren von heute wissen es vielleicht nicht mehr: Es war zu Ende der 1970er Jahre. Der revolutionäre 68er-Sturm hatte sich gelegt, die „Bewegung“ sich verlaufen, viele kehrten in die Bürgerlichkeit zurück, und manche fanden Südtirol zum Nicht-mehr-Auszuhalten. „Weggehen“ wurde zu einem Lebensziel. Es gab damals die „Arbeitersinggruppe“ des Südtiroler Kulturzentrums, eine Band, die mit sozialkritisch verfremdeten Heimatliedern für einige Aufregung im Land sorgte. Richard, der einzige echte Arbeiter der Gruppe, war ihr Geiger (als Kind verlor er drei Finger seiner rechten und einen seiner linken Hand, und so konnte er die Gitarre nicht zupfen.). Zusammen mit Freunden wurde ein verfallener Pfarrhof bei Urbino gekauft. Jeder zahlte nach seinen Möglichkeiten. Richard traf es mit anderthalb Millionen Lire.

Eine alternative Kommune hatte ihren Garten Eden gefunden. Und wie das Leben so spielt, Kommunarden kamen, zogen weiter, die meisten zurück, geblieben ist Richard mit seiner Verena. Kürzlich war ich wieder einmal auf Besuch dort. Seine Adresse ist San Marino di Urbino, aber in der Gegend bekomme ich den Tipp: Besser, nicht nach „San Marino“ fragen. Man würde dann in die Republik dieses Namens verwiesen, die hier nicht weit entfernt liegt. Am sichersten, man fragt nach „Riccardo“, oder „la Verena“. Die kennt jeder. Bei ihnen kaufen die Leute aus der Gegend jede Woche Brot und Wein, auch Käse oder Eier, und gelegentlich ein Stück Kalbl.

Richard ist Bauer geworden. Nach Südtiroler Kriterien Bergbauer. Einer, der sich den Bergbauernpreis verdienen würde. Zu den zwei Kühen und den Hennen hinzu hält er einen Weinberg und ein paar Äcker Getreide. Alles wird biologisch bewirtschaftet, biodynamisch sogar. Alle Früchte der Felder werden am Hof verarbeitet und vermarktet. „Zertifiziert“ ist Richard nicht. Er mag „die Zertifiziererei“ nicht. Er weiß, dass er mit keiner Norm in Ordnung wäre. Genauso weiß er, dass er zusperren müsste, würde er sich an Normen halten. Richard weiß, warum er weggezogen ist: „Ich könnte in Südtirol nichts von dem tun, was ich hier tue und wovon meine Familie lebt“.  In der Tat, wenn hier unsere Lebensmittelpolizei käme!, denke ich mir. Richard sieht es andersherum: „Wenn 95 Prozent der Bevölkerung giftverspritzte Lebensmittel zu essen bekommen, ist alles in Ordnung.“

Von einem Kirchhof war die Rede. Es sind aus der Gegend die meisten weggezogen. Auch dem angebauten Kirchlein ist seine Bestimmung abhanden gekommen. Richard und Verena haben darin 1984 geheiratet. Eine Zeitlang ist noch ein Priester zur Sonntagsmesse gekommen. Irgendwann waren der Priester und Richard die einzigen Messbesucher. Da beschlossen sie gemeinsam, es bleiben zu lassen. Der letzte sakrale Akt in San Marino di Urbino war noch die Taufe von Daniel, dem Jüngsten der Familie Menghin. Das war 2005. Seither ist der Kirchenraum Brotbackstube, Weinkeller und Werkraum für junge Gäste, die auf San Marino nie fehlen. Schändung ist das keine. Wer hier kommt, wird beherbergt. Matratzen gibt es reichlich, und über jedem Matratzenlager hängt eine Gitarre. Brot und Wein, und Musik und Ruhe, und ringsum nur Natur. Ein Arkadien, von dem man sich wünschte, seine Poesie möchte ein bisschen abstrahlen auf unsere Landwirtschaft.

Foto: Richard Menghin im Kirchlein seines Hofes bei Urbino


Flor now
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