Florian
Kronbichler


Unparteiisch nie!

Unser Kennenlernen begann mit einer Peinlichkeit. Ich war Vorsitzender der Hochschülerschaft und hatte eine Tagung zu moderieren über ein Thema, das mich hoffnungslos erforderte. Aber – Glück gehabt! – ein mir bis dahin unbekannter Wiener Student steckte mir ein Blatt zu mit ein paar Zeilen für die Einleitung. Es war ein Text von dem großen Historiker und Antifaschisten Gaetano Salvemini. Ich hatte den Namen nie gehört und betonte ihn prompt falsch auf der vorletzten Silbe„Salvemíni“. Ich glaube, im Saal ist es – außer dem freundlichen Wiener – niemandem aufgefallen. In Erinnerung geblieben ist mir von dem zugesteckten Text der Satz: „Unparteiisch können wir Historiker nie sein, wir müssen nur intellektuell redlich sein.“ Der Wiener von damals war Leopold Steurer. Der gebürtige Sterzinger kam frisch promoviert von der Uni. Seine Dissertation „Südtirol zwischen Rom und Berlin. 1919 – 1939.“ hatte bereits Furore gemacht. Sie war ein Schlaglicht in die bis dahin verdrängte Südtiroler Zeitgeschichte. Die Konfrontierung der Wehrmachtsgeneration mit ihrer Vergangenheit. Der Fehdehandschuh auf Silvius Magnagos Befriedungslosung „Net roglen!“. Wie Norbert C. Kaser der Vater der neuen Südtiroler Literatur war, ist Leopold Steurer der Vater der neuen Südtiroler Geschichtsschreibung. Solche Zuschreibung beleidigt niemanden aus der mittlerweile doch reichen Historikerfauna. Dabei hatte sich die „alte“ Geschichtsschreibung nicht einfach nur biologisch ergeben. Oh nein, die Alten wehrten sich heroisch gegen den „jungen Nestbeschmutzer“. Ihr Herold war Josef Rampold, Dolomiten-Hauptschriftleiter. Auch diesem gereicht zur Ehre, den Nahkampf gegen Steurer jahrelang ausgefochten zu haben.Der Salvemini-Satz, der gleichlautend von Claus Gatterer sein könnte, gilt auch für Leopold Steurer. Keinen traf so wie ihn der Vorwurf, einen Standpunkt zu haben, also parteiisch zu sein. Steurer ist politisch und machte seit Anbeginn kein Hehl aus seiner Nähe zum Sterzinger Landsmann und Jahrgangskollegen Alexander Langer. Historikerstreitereien flammen immer wieder auf, einer von den ernsteren betrifft die Einschätzung der Südtirol-Attentäter der 60er Jahre. Hier stehen die Jüngeren näher bei Heimatbund-Positionen. Für Steurer hingegen ist und bleibt Gewalt kein Mittel der Politik. Und was die Bumser anlangt, teilt er pikanterweise das Urteil der Athesia-Familie Ebner und deren Haushistorikers Steininger: schädlich! Der Autorität des Fach-Großmeisters tut der Streit keinen Abbruch. Steurer ist längst Schule, fast schon Klassiker. Irgendwann wird ihn ein Tiroler Verdienstorden treffen. Es verwundert, dass Leopold Steurer sein Berufsleben lang Oberschullehrer blieb. An Berufungen an Universitäten hat es ihm nie gefehlt. Aber nein, er blieb „Professor“. In der italienischen Tradition ist der wirkliche Professor, jener prägende und später legendäre „Profe“, immer der Oberschul-, kaum einmal der Universitätslehrer. Seinerzeit, als Arno Kompatscher bereits im Ruf stand, Landeshauptmann zu werden, fragte ich ihn für diese Zeitung, wo er sich politisch verorte. „Ich bin Leopold-Steurer-Schüler“ war seine knappe Antwort. Eine Standpunkterklärung. Was den Professor Steurer noch auszeichnet, ist etwas, was man an Professoren, speziell jenen der „Freien“ Universität Bozen, so bemängelt: Er mischt sich ein, publiziert, schreibt so, dass man es lesen kann, deutsch wie italienisch, spricht kein Akademisch, geschweige Fachchinesisch. Und niemand wird sagen wollen, seine klare Aussprache gehe auf Kosten der Wissenschaftlichkeit. Steurer ist immer dokumentiert. Dokumente sind die Quelle seines Wissens. Der heute so gängigen Oral-History („Zeitzeugen erzählen“) misstraut er. Was nicht geschrieben steht, ist nicht. Steurers Hausbibliothek und das Archiv zur Südtiroler Zeitgeschichte darin sind legendär. Von seiner zweibändigen Dissertation habe ich eines der wenigen Original-Exemplare am Flohmarkt an der Bozner Wassermauer erstanden. Als Devotionalie halt. Will auch Steurer-Schüler sein.Ein Letztes noch: Wie an vielen anderen Publikationen zu Faschismus, Option, Nachkriegszeit hat Leopold Steurer auch an Franz Thalers Büchlein „Unvergessen“ mitgeholfen. Poldi hilft immer. Zum 90. Geburtstag des Sarner Widerständlers brachte er eine weiße Rose und einen Lederapfel zur Feier mit. Die weiße Rose, – weiß man ja, und den Lederapfel: als Symbol „dem schlichten, zähen, unverwüstlichen Franz zugeeignet“. Gleiches ist Leopold Steurer zu seinem 75. Geburtstag zu wünschen, den er heute begeht.Foto: Leopold Steurer feiert heute seinen 75. Geburtstag.


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