Der Gruber
Es gab zwei Gruber, je nachdem. Den Karl, das ist der kirchen- und meldeamtliche, und den Carlos. Das ist jener der gehobenen Szene, der Kunstkreise und der Bohemiens. Die beiden in Frieden miteinander zu vereinen, war Segen und Not im Leben des Karl-Carlos Gruber. Er war ein Genie. Kunstfachmann war der 1943 als Ältester einer Riepermühle-Arbeiterfamilie in Vintl Geborene lang vor dem einschlägigen Studium. Und den Umgang mit seinem lebenslang wichtigsten Arbeitsgerät, der Fotokamera, pflegte er verbotenerweise schon von Gymnasialzeiten auf. Der vielseitig Begabte trat vom Knabenseminar Vinzentinum schnurstracks ins Priesterseminar über und wurde Priester, was damals (1962) im Gegensatz zu heute keine Ausnahme war, sondern konsequente Fortsetzung und allseits erwarteter Abschluss einer ordentlichen Vinzentiner-Karriere. Dass Karl Gruber eine Studiengeneration später nicht mehr „übers Brüggele“ gegangen wäre (so hieß der Eintritt ins Priesterseminar im Volksmund), oder dass er wie viele Theologiestudenten einige Jahrgänge später „abgesprungen“ wäre, ist nicht despektierliche Spekulation. Gruber hielt durch und blieb dabei. Kirche und Kirchenberuf blieben ihm Verwirklichung und Begrenzung im Leben.Am Anfang des Phänomens Gruber stand Karl Wolfsgruber, ein halbes Jahrhundert lang Mann der Kunst- und Denkmalpflege der Diözese und später des Landes Südtirol. Er war sein Lehrer und Primizprediger und erkannte in dem talentierten und ehrgeizigen Zögling wohl früh seinen Nachfolger. „Ein schlechter Lehrer, den sein Schüler nicht übertrifft“. Der Lehrsatz stamme von Aristoteles und dürfte von Professor Wolfsgruber beherzigt worden sein. Also förderte er den jungen Gruber, ließ ihn nicht in die Seelsorge schicken, sondern gleich zum Studium der Künste nach München. 1973 war es dann so weit: Kanonikus Karl Wolfsgruber wurde von der Landesregierung zum ersten autonomen Landeskonservator weggelobt, Karl Gruber trat an dessen Stelle als Diözesankonservator (so hießen die Denkmalpfleger damals). Die kirchenamtliche Hofübergabe war keine sehr geglückte. Hier der Erblasser Wolfsgruber, mächtig von rechtlicher wie finanzieller Ausstattung und persönlich bereits ein Denkmal seiner selbst. Dort der Stürmer und Dränger Gruber, dem bald einmal die ziemlich engen Grenzen aufgezeigt wurden, die seinem diözesanen Ämtchen geblieben waren. Karl Gruber kannte alles, was es an Kunst- und Kulturgütern im Land gibt, religiösen wie profanen. Als leidenschaftlicher Fotograf hatte er Südtirol sprichwörtlich „im Kasten“. Wer das vergessenste Bildstöckchen, den verschüttetsten Grenzstein, ein Bildchen zu einem besonderen Anlass, auch nur ein Anekdötchen suchte, für jeden Heimatkundler galt: nicht verzagen, den Gruber fragen. Allenfalls mit dem Volkskundler Hans Grießmair hätte er sich den Titel des Polyhistors von Südtirol teilen müssen. Mit ihm hat Karl und wahlweise Carlos Gruber Bildbände geschaffen, die zu den wertvollsten in Südtirols sakraler Literatur gehören. Gruber war ein gefragter Begleiter. Die diversesten Prominenzen hat er zu „Geheimplätzchen“ geführt. Altpapst Ratzinger war nur einer davon. Er gab Tipps, gern unkonventionelle, gelegentlich auch aufrührerische. Dann war er der Carlos, hielt Kontakte mit Alternativen, sympathisierte mit avantgardistischen Künstlern, verhalf manchem zu kirchlichen Aufträgen, sprach passabel Ladinisch, selbst für frühmorgendliche Bittgänge zu „Don Lois“ (so nannte er ihn) war sich der mittlerweile seinerseits mit Titeln und Abzeichen bekränzte Karl-Carlos. Am Samstag, 13. März, starb „der Gruber“. Er wurde 79 Jahre alt. Morgen, Mittwoch, wird er im Dom von Brixen („am Hohen Dom“ würde er selbst sagen) mit einem Requiem verabschiedet.Foto: Karl Gruber, 1943 – 2022 (mit Kätzchen Milli, das von Papst Benedikt persönlich gestreichelt worden sei).