Florian
Kronbichler


Der Tribus

„Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben …“ So – und jetzt spiel ich den Zauberlehrling. Der Meister hat sich in die Sommerfrische verdrückt, wie jedes Jahr um die Zeit. Hat mich ermächtigt, ihn hier zu vertreten. Wie lang, weiß ich nicht. Er hat mir nicht einmal gesagt, wann genau ich den Dienst anzutreten habe. Er denkt, es weiß eh jeder, wann der Tribus in Urlaub geht. Im Hochsommer halt, wie die Metallarbeiter, um gleich nach Ferragosto wieder zurück zu sein. Da ist der Snob ganz proletarisch: immer gleicher Ort, gleiches Zimmer, gleich lang – der Mustergast der Südtiroler Tourismuswerbung. Leicht möglich aber, dass er diesmal schon nächste Woche zurück ist, wenn er sieht, wozu ich meinen Supplentenjob missbrauche.

Der Tribus hat mir einst feierlich verboten, dass ich auf ihn einen Nachruf schreibe. Das war im Ärger über einen Nachruf, den ich auf den sanften Sozialisten Giuseppe Sfondrini geschrieben hatte. Ich behaupte heute noch, es war von meinen vielen Nachrufen einer der einfühlsamsten. Der Tribus fand ihn pietätlos und verbat sich damals einen auf ihn. So bleibt mir nichts übrig, als ihm zu wünschen, dass er mich überlebt. Dann soll er mir einen schreiben.

Kein Nachruf also auf den dereinst toten Tribus – versprochen! Von einem lebendigen Tribus aber lass ich mir das Maul nicht verbieten. Sein runder Geburtstag ist mir ein guter Anlass für eine Würdigung. Der Herr wird im Herbst 70, und nicht sicher, dass er bis dahin zurück ist. Sicher ist, dass es dann in der Gratulantenschar ein riesen Gerempel geben wird. So verfahr ich nach der journalistischen Unart, wonach Jubiläen und eben auch Geburtstage immer länger vor Fälligkeit abgehandelt werden. Die Konkurrenz schläft nicht.

Ich beneide den Tribus. Ich brauche immer einen Anlass, um darüber schreiben zu können. Er nicht. Er schreibt ins freie Feld hinaus. Nachrufe etwa, immer gleich bei offenem Sarg zu schreiben, wie ich mir das vornehme, hält er für Pedanterie. Zum Zehnjährigen dieser Zeitung, 2006 war’s, habe ich ihn den „Hofnarr von Südtirol“ geheißen. Den Titel in jenem guten Sinn, wonach der Narr immer der Gescheiteste am Hof war. Der einzige, der sich die Freiheit herausnahm, die Wahrheit zu sagen, und das so klug oder so witzig tat, dass der Hofstaat es sich gefallen lassen musste. Der Tribus moralisiert, ohne deswegen für einen Moralisten gehalten zu werden. Obwohl Laizist, ist er einer der wenigen Bibelfesten im Gewerbe. Er predigt, und was er am vollendetsten beherrscht, das sind Unterweisungen in Erziehungs- und Benehmensfragen: Gelesen, letzthin, die Ermahnungen zum Wassersparen – Beim Zähneputzen bitte Becher benutzen!?

Ich will mir kein Beispiel daran nehmen, aber ich liebe Tribusens altertümelnde Sprache. Sie ist wie er. Gravitätisch, überbordend, flirrend. A little bit overdressed. Die Leserschar haucht oder ätzt dann: „aber der Tribus!“ Am Tonfall erkennt man, ob Fan oder Feind. Letztere ätzen angewidert: Kitsch! Es gebricht diesen Leuten an Humor. Ich bewundere Tribusens Mut zum Kitsch. Immer leicht, bunt, schamlos. Kitsch muss man nicht mögen, aber über Kitsch sich zu ereifern, ist minder. Den Tribus gibt’s vielleicht nur einmal. Er ist journalistisch und politisch kinderlos. Die Grünen, mit deren Vorfahren er seine politische Vergangenheit teilt, anerkennt er nicht. Jedenfalls empfinden diese das so. Er selber leugnet die Kindsweglegung. Alle haben wir halt unsere Traumata.

Hofnarr – ob’s Altersmilde ist? – würde ich Tribus heute nie mehr nennen. Ein Moderator in allen Lebensfragen ist er. Der Feuerwehrmann unserer Autonomie. In die diversen Feuerchen und Glutnester des politischen Geschäfts wird er nie hineinblasen. Brandherde löscht er. Woran immer seine Zeitung ringsum zündelt, zum Schluss kommt der Tribus und in souveräner Elder-Statesman-Manier diktiert er von Spalte eins links oben herab: Ist doch alles wie gehabt. Regt euch nicht auf, Kinder! Beispiel genehm? Da gab’s die Polemik über die „fuga dei cervelli“, das Geschrei, unsere jungen Leute müssten, um etwas zu werden, aus Südtirol auswandern. Gemach!, rät der Tribus, „wer Papst werden will, wird halt weiterhin nach Rom gehen müssen“. So ein Satz!

Lieber Arnold, du würdest mir jetzt schreiben: ad multos annos! Und wenn ich gestorben wäre: che la terra ti sia lieve! Ich sag: Alles Gute zum Geburtstag, wenn’s dann so weit ist


Flor now
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