Perpetuum mobile
Als letzte Aktion zu nennen wäre „il suono del silenzio“, Klang der Stille (besser: des Schweigens), Montag dieser Woche, 16.45 Uhr, Bozen, Gerichtsplatz: Gedenken an 30 Jahre Attentat auf den Richter Paolo Borsellino. Die Familie des sizilianischen Mafia-Jägers hat angekündigt, die italienweiten Kundgebungen diesmal demonstrativ zu ignorieren. Sie hat das sterile Gedächtnis-Tamtam leid. Sie. Dem gut funktionierenden Anti-Mafia-Betrieb verbietet man freilich nichts. Und einem Guido Margheri, Präsident der Südtiroler Sektion der Nationalen Partisanenvereinigung Anpi, schon gar nicht. Um es allen recht zu machen, der Familie Borsellino, die Schweigen verordnet hat, gleich wie den erinnerungsfreudigen Partisanen, wurde der Gedenktag diesmal unter das Motto „Klang des Schweigens“ gestellt.
Klang und Schweigen – klingt leicht widersprüchlich, aber einen Gedenkprofi wie Guido Margheri bringt solches nicht in Verlegenheit. Aller Glut des Sommernachmittags und des Pflasterplatzes trotzend, versammelte er sein immer ziemlich gleiche Häufchen Aufrechter und beging den „Klang des Schweigens“. Gänzlich schweigen konnte der Redegewandte dabei natürlich nicht, aber er redete wesentlich kürzer als üblich. Es gab eine Schweigeminute, aber um der selbstverordneten Stille doch eine gewisse Feierlichkeit zu verleihen, hatte Partisan Guido einen jungen Saxophonisten gedungen, der dazu das berühmte „Silenzio“ spielte. Am Sax statt an der Trompete, „weil weniger militärisch“. „Il suono del silenzio“ – aus aktuellem Anlass „für den Frieden“. Nun aber vorwärts. Kommenden Montag, 25. Juli, lädt Anpi zu einer „Pastasciutta antifascista“. Auch das im Namen eines bedeutenden Gedächtnisses. Am 25. Juli 1943 wurde Mussolini gestürzt, was schon damals mit einer Spaghettata in der Piazza gefeiert wurde. Ist 79 Jahre her, kein recht rundes Jubiläum, aber für Guido Margheri kein Grund, den Jahrtag nicht zu ehren. Im Park Pippo an der Talfer wird es alles geben, was zu einem politischen Fest linken Gedenkens gehört: Musik, Theater, Wein, die namensgebende Pasta, aktueller Bezug („für den Frieden“) eingeschlossen, Grußworte der Gäste und – unvermeidlich! –Ansprache des Präsidenten.
Margheri spricht immer. Er tut das unbeirrt, seit er vor dreißig Jahre aus Mailand nach Bozen kam. Die Mission des begabten Nachwuchspolitikers war damals, dem politisch wie personell ziemlich ausgezehrten Landesverband der Kommunistischen Partei noch einmal Leben einzuhauchen. Die Operation erwies sich als hoffnungslos. Die Partei zerfiel, Kommissar Margheri wurde zum Konkursverwalter. Tapfer jedoch ging er von Abspaltung und Neugründung zu Wiederabspaltung und Wiederneugründung mit, jeweils in der minderheitlichen Fraktion, eine Weile lang als Gemeinderat von Bozen, bis er schließlich fast allein und ohne sichere Parteizugehörigkeit dastand. Die tragische Verkörperung des Schicksals der italienischen Linken.
Margheri übernahm vor vier Jahren den Vorsitz der Partisanenvereinigung, und seither wird vollstreckt. Kein Märtyrer für Freiheit und Frieden, dem nicht ein öffentliches Gedenken gewidmet wird: Ansprache, Kranzniederlegung, Schweigeminute und die passende Pressemitteilung dazu. Die Anzahl der Anlässe steht der des Kirchenkalenders nur wenig nach. Allein dieses Jahr ist die Anpi-Kernmannschaft mit Trikolore-Halstüchl und Standarte drei Dutzende mal ausgerückt. Bei besonders prominenten Gedenkanlässen kommt Bürgermeister Caramaschi mit. Das setzt diesen schwer in Stress, doch er muss. Caramaschi ist selber gern oberster Widerständler und fühlt sich von dem umtriebigen Margheri um den Rang gebracht. Kleinere Partisanenheilige und solche in der Peripherie müssen mit kleinerer Anpi-Formation auskommen. Nie allein gelassen wird Partisan Guido nur von seiner Frau Lotte. Die Treue bindet dem Gemahl dann das Trikolore-Tüchl, besorgt den Blumenschmuck, fotografiert, filmt für die Direktübertragung und liefert den Redaktionen die Bilder. Guido und Lotte – ein einzig reizendes Bella-Ciao-Pärchen!
Ich empfinde es als politisches Ärgernis, dass an Gedächtnisveranstaltungen selbst für Südtiroler Widerstandskämpfer wie Josef Mayr-Nusser, Hans Egarter oder Hans Pircher kaum einmal Deutsch-Südtiroler teilnehmen. Ich schätze deshalb das Anpi, bin Mitglied, nimm teil und habe einige Male ein paar Sätze auf Deutsch gesprochen. Weil Antifaschismus in Südtirol nicht nur Italienersache sein darf. Freilich, den Rhythmus des Perpetuum mobile Margheri halte ich nicht mit. Frohe Pastasciutta antifascista – für den Frieden!
Foto: Guido Margheri, Präsident der Partisanenvereinigung Anpi Südtirol