Seine Loyalität
Mit dem verstorbenen Hochwürden verbindet mich ein Geheimnis, das er mir anvertraut hatte und ich gebrochen habe. Er erzählte mir, Alexander Langer, damals Landtagsabgeordneter, habe Bischof Gargitter einmal gebeten, ob er ihm bei einer Messe ministrieren dürfe. Der Bischof habe zugesagt, und in der bischöflichen Privatkapelle sei es tatsächlich zu der Messe mit Zelebrant Gargitter und Ministrant Langer gekommen. Ich hab das Geschichtchen später in meiner Langer-Biografie ausgeplaudert.
Ohne Nennung der Quelle. Sie hat es mir dann verziehen.Wollte man die bislang erschienenen Nachrichten und Nachrufe über den neulich verstorbenen ehemaligen Generalvikar Josef Matzneller auf ein Wort zusammenkürzen, wäre dieses: Loyalität. Der Begriff bedeutete ursprünglich gesetzestreu oder mehr noch: regierungstreu. Inzwischen versteht man unter loyal treu, redlich, verlässlich. Matzneller war das alles sein langes, wechselvolles Dienstleben lang. Als Bischofssekretär, Ordinariatskanzler, Generalvikar, Diözesanadministrator, Hofburg-Präsident – mit Verlass war er es für alle vier Bischöfe, denen er zwischen 1975 und 2022 diente. Bischof Ivo Muser hat zum Tod seines treuen Dieners geschrieben, Generalvikar sei „der schwierigste Posten, den die Diözese zu vergeben hat“, denn dieser sei „sowohl dem Druck von oben als auch dem von unten ausgesetzt“.
Dem Wesen der Loyalität entspricht es, dass Josef Matzneller sich dem Druck von oben entschieden mehr verpflichtet fühlte. Das erste Bild, das mir von Josef Matzneller eingeprägt geblieben ist, ist jenes von zwei geistlichen Herren, die einem spazieren gehend auf der Bozner Wassermauer begegneten: beide hochgewachsen, beide von auffällig aufrechtem Gang, immer schweigsam. Der Ältere war Bischof Gargitter, der Jüngere sein Sekretär Matzneller. Seit damals und immer noch treibt mich die Frage um: Wozu halten sich Bischöfe immer noch so junge, rüstige, sicher bestausgebildete Geistliche zu Sekretären? Das beim herrschenden Priester-Notstand? Die fehlen doch in der Seelsorge, und Bischofssekretär könnte, gleich gut und loyal, auch ein Laie sein.
Nach 16 Jahren Bischofssekretär wurde aus Josef Matzneller ein Generalvikar. Er hatte nicht auf diesen Posten studiert. Er war ein Deus ex machina, der dem Bischof aus einem Personaldilemma half. Eine Entscheidung von Bischof Wilhelm Egger im Zeichen der Befriedung. Die Pfarrer mochten Matzneller, und der zwar konfliktscheue, aber doch reformfreudige Bischof wusste seine Vorsätze bei ihm in verlässlicher Hand. Seine Loyalität der Generalvikar wusste stets, was in Pater Bischofs Sinne war. Alle Gläubigen der Diözese litten mit, wie Bischof Egger sein Verzagt-Sein offen eingestand, als der Generalvikar wegen schwerer Erkrankung eine Zeitlang ausfiel. Obwohl charakterlich genauso auf Milde gestimmt, nahm Matzneller jede kirchenamtlich unvermeidliche Resolutheit loyal auf sich.
Beispiel: Ein Südtiroler Missionär wurde bei ihm vorstellig. Er fühlte sich in Afrika nicht mehr gebraucht. Außerdem hatte er gegen das Zölibatsgebot verstoßen, was zu lebendigen Folgen führte. Er fühle sich aber durchaus imstande, in der Seelsorge daheim mitzuhelfen. Ob die Diözese eine Verwendung für ihn habe. Generalvikar Matzneller, loyal auf diözesaner Linie, brachte seine Bedenken vor. Der etwas unduldsame Bewerber fragte: „Geht’s Ihnen um die Sache oder um den Schein? Die Antwort des Diözesanoberen darauf: „Der Schein muss auch gewahrt sein“. Der solchermaßen Abgefertigte packte seine Siebensachen, fuhr noch am gleichen Tag nach Innsbruck zu Matznellers Generalvikarskollegen Jäger und trug dem gleich Problem und Anliegen vor. Dieser legte dem Heimkehrer aus Afrika zwei Pfarrerstellen zur Auswahl vor. Er nahm die eine in Osttirol. Kirchliche Loyalitätspflicht kennt offenbar Diözesangrenzen.
Ein letzte persönliche Begegnung mit Generalvikar Matznellers hoher Auffassung von Loyalität: Mir wurde vom Katholischen Sonntagsblatt eine Kolumne angetragen, und ich schrieb diese ein Weilchen mit Begeisterung und, soweit sich das beurteilen lässt, auch mit einigem Erfolg. Da passierte mir, dass ich im Interview mit einem anderen Medium über den Chefredakteur des Sonntagsblattes etwas sagte, was dieser als despektierlich empfand. Rief mich der Generalvikar an, es tue ihm so leid, er könne nicht anders, er werde sich hinter seinen Chefredakteur stellen. Ich sagte: gut dann! Der Gute antwortete: „Nein, nicht gut“. Erlittene Loyalität.