Florian
Kronbichler


Leiden leben

„Erscht Bartlmä, und mir fong schon on z’wimmen, unglaablich!“ Benno Simma hat das am Mittwoch früh in der Grieser Tennisbar einen Bauer sagen hören. Zu Mittag, an der Bar auf der Bozner Wassermauer, hatte er den Bauer mit dem staunenden Satz schon in sein Skizzenheft gezeichnet gehabt. Vielleicht verwertet er es für seine Rubik „Simmatics“ auf dem Online-Portal salto.bz, „und sonst ist auch wurscht“, sagt er. Benno Simma ist Künstler, aber hauptberuflich krank. Vor zwei Jahren hat ihn ein Rückenmark-Tumor aufs Bett geworfen. Ein halbes Jahr später kam ein Iktus hinzu. Seither ist er damit beschäftigt. Genauer gesagt, mit Disziplin, Zuversicht und ziemlich Humor hält er die beiden Monster erstaunlich souverän in Schach. Zehntausend Schritte geht er am Tag. An diesem Mittwoch war das von sich daheim in der Duca-d’Aosta-Straße zur Tennisbar in der Fagenstraße, dort Rast, weiter über Gries bis zur Bar auf der Bozner Wassermauer, nochmal Rast, und von da wieder heim. Machen fünfeinhalb Kilometer. Benno Simmer ist auch Architekt, versteht sich also aufs Maßnehmen. Reden, was er seinen gesunden Lebtag gern tat, bereitet ihm jetzt Mühe. Benno sieht das Positive dran. „Ich höre so mehr zu“, fällt ihm auf. Dem Bauer in der Tennisbar hätte er den Sager vom Wimmen zu Bartlmä sonst nicht abgehorcht. Und so wäre auch die Zeichnung dazu nicht entstanden.Glücklich – und weise sowieso -, wer sein Leiden so nehmen kann. Benno Simma ist gebürtiger Brunecker, Jahrgang 1948, aber längst Bozner und ist vieles gewesen. Liedermacher war er, Architekt, Designer, und in allem war er auch Lehrer, Gründer der Akademie für Design, Vorläuferin der Design-Fakultät der Uni Bozen. In Rom war er einige Jahre lang Direktor einer privaten Design-Uni. Und nicht zu vergessen. Benno Simma war einmal Gewerkschafter, Landesgeneralsekretär sogar. Es waren die politischen Zeiten. Benno ist immer noch politisch. Nicht mehr so vordergründig wie damals, 70er Jahre, als der Barde an der Gitarre und mit der rauen Bassstimme in der „Arbeitersinggruppe“ mit Irmtraud Mair. Später hat er Gedichte seines Brunecker Landsmanns N.C. Kaser vertont und eingesungen. Benno Simmas Lieder klingen so, wie er aussieht: herb, bäuerisch, kolossig, fest geerdet, ein Egger-Lienz.Singen geht nicht mehr. Klavier- und Gitarre-Spielen auch nur mehr sehr eingeschränkt, „zu Therapiezwecken“, sagt er. Zeichnen und Malen, das geht besser. Politische Statements. Selbst dabei ist er sich nicht sicher, tut er es aus Engagement oder zur Therapie. Einerlei, „jedenfalls ist Zeichnen mein LebenselixierEs hält meine Nerven sauber“. Nerven, das bedeutet bei Benno Schmerzen. Sie setzen ihm natürlich zu. Er ist Realist. An Heilung glaubt er nicht. Jedoch glaubt er gelernt zu haben, mit dem Leiden zu leben. „Man muss alles neu lernen, selbst das Liegen“. Er findet, einigermaßen gelehrig zu sein in der Kunst des Überlebens. Natürlich sei er phasenweise in Depression gefallen. Da habe ihn aber Sandra, seine Frau, jedes Mal mit resoluter Herzlichkeit herausgeholt. „Ma dai, non far lo scemo!“Man kann nicht sagen, Benno kokettiere mit seinem Zustand. „Das nicht, aber ich bin neugierig, wie es weitergeht mit mir“. Und noch so ein Optimismuszuckerle: „Ich kann jetzt tun, was ich früher nie getan habe. Ich habe rasten gelernt. Hatte ich nicht gekonnt“. Benno spricht von Ansprüchen. Von „Ansprüche zurücknehmen“. Er weiß, er muss kürzer treten, aber er sagt das nicht bedauernd, es klingt eher nach Neugier: Worauf er sich wohl als Nächstes wird einstellen müssen? Angst, sagt er, hat er keine. Auffallen tue ihm, dass er immer mehr an früher denke, „an gewisse politische Narreteien“ und an noch früher, die Kindheit. Er erinnert sich, er habe damals „so Methoden entwickelt, anderen sympathisch zu erscheinen“. Was Benno meine: ob solches Sinnieren ein Zeichen von Alter allgemein sei oder ein Symptom der Krankheit. Die Frage gefällt ihm. Er wisse es nicht, aber „interessant“. Marend-Zeit, Benno wird noch einmal ins Atelier gehen. Nur die Straße ums Eck. Am Schaufenster steht „Tuttonix“, alles und nix. Typisch Benno. Überall stehen neue Bilder herum. Als täte ihm die Krankheit gut. Wie der Dichterfürst Goethe leitet Benno Simma sein Talent von den Eltern ab, nur umgekehrt. „Des Lebens ernstes Führen“ habe er eher von der Mutter, die Buchhalterin und Bürgermeister-Sekretärin war. „Statur und Frohnatur“ und „die Lust zu fabulieren“ eindeutig vom Vater. Der führte in Bruneck die bekannte Karrosserieschlossser-Garage Simma. Die Gemeinde baut sie gegenwärtig um in Ateliers für junge Künstler. „Interessant, nicht?“ findet Schlossersohn Benno.


Flor now
Facebook Link