Enfant prodige
Chantal Ramona Veit – wer sich in der Südtiroler Familiengeografie auskennt, weiß, wer die Veit sind und dass sie mit Musik zu tun haben. Und der weiß auch, dass sie ein bissl akkurat sind. Deswegen wundert es einen nicht, dass so eine Veit auf den Namen Chantal getauft wird. Chantal! Musikalischer geht’s nicht. Ist französisch und bedeutet „die Singende“. Aber die Familie, vornehm Understatement tragend, verneint, mit dem klingenden Namen dem Kind gleich seine Berufung in die Wiege gelegt zu haben. Die Namenswahl sei viel naheliegender erfolgt. Vater Alexanders Schwester Priska, vielen Boznern in Erinnerung als Schlagwerkerin der Stadtkapelle, ist Nonne im Orden der „Schwestern von der Heimsuchung Mariens“, dessen Gründerin Johanna Franziska von Chantal (1572 – 1641) war. Drum: nix Extravaganz, der Name ist Familiengut.Der Musikwelt ist die junge Veit nach Großvater Gottfried und Vater Alexander keine Unbekannte mehr. Chantal Ramona ist 14 und Musikerin seit zehn Jahren schon. Mit 3 oder 4, so genau erinnert sie sich selber nicht, spielte sie Flöte, mit 6 Klavier, und all die Jahre herauf hat sie ziemlich alle Wettbewerbe und Preise ihres Fachs am heimatlichen Musikmarkt mitgenommen. Die „Goldene Note by Leona König“ für Querflöte in Wien in diesem Frühjahr war der prominenteste und vorläufig letzte. Das größere Südtirol-Publikum, ohne zu despektierlich sein zu wollen: die unmusikalische Mehrheit, kennt Chantal Ramona Veit seit ihrem Auftritt letzten Montag im Kursaal von Meran vor den Ehrengästen zum 50-Jahr-Jubiläum der Südtirol-Autonomie. Begleitet vom Haydn-Orchester spielte sie als Solistin ein Concertino für Querflöte der französischen Romantikerin Cécile Chaminade. Am Applaus des Meraner Autonomie-Publikums sei hier nicht die künstlerische Klasse der Solistin gemessen. Er war rauschend, und die geschlossen anwesende Polit-Prominenz gefiel sich im Stolz, im Land der gefeierten Autonomie „so eine“ (politisches Höchstlob) zu haben. Der 14jährigen, jetzt Schülerin am Sprachengymnasium Walther von der Vogelweide, sind Auftritte nicht mehr neu. Routiniert versteht sie es schon, mit gestischem Spiel und elegant sich verneigendem Dank selbst das zerstreuteste Publikum zu gewinnen. Da kann nur verwundern, wie bescheiden, wie wohltuend normal das Mädchen abseits des Scheinwerferlichts der Bühne sich bewegt. „Ich lerne und mich freut’s“. Man glaubt es ihr.Unvermeidlich die Frage, woher so viel Können in so frühem Alter. Das Elternhaus, natürlich. Bei den Veit’schen mag es schwer sein, der Musik zu entkommen. Chantals Großvater Gottfried, ursprünglich gelernter Tischler, ist ein wandelndes Denkmal Südtiroler Blasmusik-Kultur, als Kapellmeister, Lehrer und Komponist. Vater Alexander genauso, nur noch mehr und eine Stufe höher. Symphonic-Winds-Dirigent und Musikschul-Direktor. Künstlerkind-Eltern kennen die geläufige Verdächtigung: alles Drill! Die Antwort drauf – wie gehabt: „Unser Verdienst kann sein, dass wir das Talent unserer Kinder früh erkannt haben“. Souveränes Understatement also auch von Mutter Christas Seite. Sie ist Lehrerin an Bozens Pestalozzi-Schule, Mathematik und Musik. Früher hat sie Geige gespielt. „Und selbstverständlich sind wir bemüht, die Talente unserer Kinder zu fördern“. Was soll eine fürsorgende Mutter sonst sagen? An dieser Stelle verlangt Gerechtigkeit, zu erwähnen, dass Chantal Ramona nicht allein Talent im Hause Veit ist. Brüderlein Victor ist elf, spielt schon Klavier, Querflöte und Schlagzeug – und beginnt Orgel. Solche Art Talentförderung verlangt Disziplin und Organisation. Tage und Wochen sind durchgetaktet kaum weniger als der Rhythmus eines Musikstücks. Wie heute selten oder nur ganz früher üblich, sind es auch bei den Veits die Eltern, die die geeigneten Lehrer aussuchen für ihre Kinder und nicht die Schule. So fährt Vater Alexander seine Tochter Chantal wöchentlich einmal nach Innsbruck ans Konservatorium zu Professor Michael Cede für den Klavier-Unterricht und zum Gesang in der Klasse Maria Erlacher. Genauso wie einmal die Woche nach Trient für Querflöte in der Klasse Massimiliano Mainolfi. Daheim in Gries wird geübt. Um zu sagen: Bozen, Innsbruck, Trient – handfester und sinnfälliger als mit einer wie Chantal Ramona Veit hätte das Autonomie-Jubiläum nicht besetzt sein können. Landeshauptmann Kompatscher wollte es als Fest der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentinod aufgezogen haben. Südtirol als „Klein-Europa“. Die Musik dazu stimmte einmal schon. Foto: Chantal Ramona Veit aus Gries-Bozen, Jahrgang 2008.