Der Bewahrer
Am liebsten würde ich ihn den Humboldt von Südtirol heißen. Benno Baumgarten hielte den Vergleich nicht für ganz abwegig, allerdings mit der Einschränkung, dass er „halt zu dumm dazu“ sei. Einen „Universalisten“, ja, das lässt er sich uneingeschränkt heißen. Die landesweit verschenkte Zeitschrift nëus widmete ihm zu seiner Pensionierung ein Interview unter dem Titel „Das Urgestein“, was peinlich ist. Der Ausdruck wird nur noch in seiner übertragenen Bedeutung verstanden und angewandt auf bald jeden, der an seinem Posten alt geworden oder gar eingeschlafen ist. Auf Benno Baumgarten träfe er ausnahmsweise in seiner eigentlichen Wortbedeutung zu. Der Mann ist Geologe, und Südtirol kennt ihn als den Gründer sowie seit 30 Jahren wissenschaftlichen Leiter des Naturmuseums. Mit Monatsanfang ist er als Landesangestellter in den Ruhestand getreten, und Sorgen machen müssen sich damit allenfalls das Land und sein Museum, auf keinen Fall die Geologie und ihr Forscher Baumgarten, denn „einmal Geologe, immer Geologe“. Das ist sein Leitspruch.
Um den Neu-Ruheständler gleich zu verorten: Benno Baumgarten ist Bozner. Den Namen hat der Vater aus Hamburg mitgebracht, woher auch Bennos Frau stammt. Seine Mutter, Paula und Boznerin, hat sich bei bei Berufskollegen in respektvoller Erinnerung gehalten, weil sie jahrezehntelang die einzige Journalistin in der Dolomiten-Redaktion war, die jeden Journalistenstreik mitgemacht hat. „Erstrittene Rechte müssen erhalten werden, notfalls mit Streik“, war ihr gewerkschaftliches Selbstverständnis. Zur Geologie kam der Franziskaner-Abiturient per Ausschlussverfahren. Naturwissenschaften musste es sein: Chemie war schon sein Hobby, Physik zu theoretisch, Biologie macht jeder, blieb Geologie. Studium an den beiden Münchner Prestige-Universitäten Ludwig-Maximilian und TU. Baumgarten hat eine hohe Auffassung von seinem Fach. Streng trennt er zwischen forschen und studieren. Das, was unsere heimische Eurac liefert, nennt er „Studien“, nicht Forschungen. Man hört diskrete Nicht-Hochachtung heraus. Dabei wird ihm niemand elitäres Gehabe oder irgendwelche Titelhuberei unterstellen können. „Geologie ist nicht eine Wissenschaft“, sagt er, „sie ist Handwerk“. Und die Werkzeuge des Geologen „sind Hammer, Lupe und Kompass“.
Den jetzt pensionierten Museumsgeologen Benno Baumgarten verbindet eine berufliche Schicksalsgemeinschaft mit dem bekannten, letztes Jahr verstorbenen Volkskundler Hans Grießmair. Beide haben ihren jeweiligen Arbeitsplatz nicht vorgefunden, sondern diesen sich selber erarbeitet. Dafür mussten beide, Grießmair für sein Volkskundemuseum und Baumgarten für das Naturmuseum, jahrelang mit fertigen Ideen und Projekten bei der Landespolitik antichambrieren. Gemeinsam war den beiden der unbedingte Glaube an den außerordentlichen Reichtum Südtirols an Kulturgütern, die es wert sind, aufbewahrt zu werden. Zweitens, eine an Sturheit grenzende Beharrlichkeit, das eigene Vorhaben durchzusetzen. Zur Bekanntheit seines Kollegen Grießmair von der Volkskunde brachte es der Geologe nicht. Sein Museum in der Bozner Bindergasse übrigens auch nicht zu jenem Grießmairs im Mair am Hof in Dietenheim bei Bruneck. Baumgarten war auch nie Direktor seines Museums, sondern nur sein Macher und graue Eminenz. Das freilich mit unbeirrter Eigenwilligkeit. Natürlich war alles besser, früher, als es noch schlechter war. Man hat Ausstellungen machen können, zehne im Jahr und mehr. Und heute: chronische Unterbesetzung; Selbstausbeutung als Überlebensprinzip; und über allem schwebt St. Bürokratius. Dereinst, als Gründer Benno anfing, sei er „zum Durnwalder gegangen“ und habe gesagt, 17 Leute brauche er. Der Durnwalder überlegt ein bissl und sagt dann: „13 kriegst“.
Zeiten waren das. Benno Baumgarten hat ohne Gram seinen Ruhestand angetreten. Geologe, sagt er, bleibt man ja. Wer das Glück hat, ihn einmal bei sich daheim besucht zu haben, glaubt es auf der Stelle. Sein Häusl in der Sarner Schlucht, einen halben Kilometer hinter Schloss Runkelstein, ist Klause, Museum, Werkstatt, Garten und Streuobst-Anger in einem. Der Wissende lebt konsequent genügsam. Er fliegt nicht, macht keine Weltreisen und nutzt den Südtirol-Pass 65 +. Zum Heizen fischt er sich Treibholz aus der nebenan vorbeifließenden Talfer. Foto: Benno Baumgarten, Geist des Naturmuseums in Ruhestand.