Florian
Kronbichler


Die Hausbesorgerin

Vorurteilspflege ist eine meiner Lieblingsschwächen. Ist so etwas wie Wahrheitssuche über Umwege. Da blättere ich in dem schönen Bildband, den sich das Wohnbau-Institut zu seinem 50. Geburtstag geleistet hat („Wohnen ist Leben“), und weil ich halt ständig mit einer bestimmten Verwertungshaltung unterwegs bin, kommt mir in den Sinn: Die Wobi-Präsidentin, Francesca Tosolini, die wär doch einmal so ein „Kopf“. Ehrlich gesagt, schon nur des Namens wegen. Tosolini! Eine Tosolini als Mutti der Sozialmieter? Tosolini steht in der Vorstellung der Südtiroler doch für das genaue Gegenteil. Unsern König Midas. Ein Synonym für grenzenlosen Haus- und Grundbesitz, und die Spekulation mit solchem. Wobi-Präsidenten, die hatten nach SVP-Arbeitnehmerstall, KVW und Caritas zu riechen. Auch wenn die SVP es in der Landesregierung ungestraft mit der Lega di Salvini treibt, aber deshalb gleich eine Tosolini an die Spitze des Wohnbau-Instituts zu setzen, das einmal Volkswohnbau war?

Schwang mich aufs Radl und hin zum Wobi-Sitz. So wie ich grad beieinander war, – in kurzen Hosen; Leibele und Paterschlappen. Bis an die Pforte, um mir einen Termin mit der Präsidentin geben zu lassen, müsste es doch erlaubt sein so, dachte ich mir. Konnte ja nicht wissen, was in einem Betrieb mit immerhin 220 Angestellten für flache Hierarchien herrschen. Die Portierloge ist unbesetzt, ein dienstfertiger Beamter, soeben zurück aus der Kaffeepause, nimmt mich mit hinauf in den ersten Stock, schiebt mich in ein Büro mit Sekretärin, erklärt dieser mein Anliegen, sie geht aus dem Zimmer und kehrt nach einer halben Minute mit einer zweiten Person zurück: „Buon giorno, Tosolini!“ Es ist die Präsidentin höchstselbst. Ich hatte bis hierher vor jeder Person, die ich antraf, nur die immer gleiche Entschuldigung für mein unprotokolarisches Auftreten gestammelt. Und schon war ich am Ziel.

Frau Tosolini führt mich in ihr Büro, und gleich beantwortet sie meine erste, ungestellte Frage: Nein, sie sei mit „dem Tosolini“ nicht verwandt, auch nicht weitschichtig. Wisse von ihm natürlich, aber sie habe den berühmten Namensvetter bis zu dessen Begräbnis um Allerheiligen letzten Jahres auch nicht persönlich gekannt. So war auch das geklärt. Drei Jahre ist Francesca Tosolini nun schon – ich sagte ihr das so – „Südtirols größte Wohnungseigentümerin“. Die 43jährige gebürtige Trienterin hat Wirtschaftswissenschaften studiert und ist von Beruf Finanzberaterin. Inzwischen lebt sie mit ihrer Familie in Bozen. „Ich bin Südtirolerin geworden“, kokettiert sie und spricht gern über ihr Imperium. Unvermeidlich, dass ich noch einmal auf den ungebührlichen Vergleich komme: Wer wird denn der größere Wohnungsbesitzer sein: ihr Wobi oder „der Tosolini“? Die Präsidentin überhört die Frage. 13.400 Mietwohnungen besitzt ihr Institut.

Auffällig weicht die öffentliche Großvermieterin aus, wenn ich auf Bauten, Flächen oder Kubaturen zu sprechen komme. Sie erzählt lieber von Menschen. „Wir sind für über 30.000 Mieterinnen und Mieter da“, sagt sie. „Bedenken Sie, das ist eine Stadt. Südtirols drittgrößte Stadt, verstreut übers ganze Land.“ In der Tat, in 111 von 116 Gemeinden hat das Wohnbauinstitut Wohnungen. Und Frau Tosolinis Ehrgeiz ist es, dieses Patrimonium zu bewahren, im Zweifelsfall zu mehren. Wie sehr sie auf politische Zurückhaltung bedacht ist, so schimmert doch durch: Die Wobi-Präsidentin wünschte Südtirol „ein bisschen mehr Mut zur Miete“. Zur Miete zu wohnen dürfe kein sozialer Makel sein. Sie kennt den festen Glauben der Südtiroler ans Eigenheim. „Miete ist kein Präkariat“. Man hört der Präsidentin den Kummer an, dass das im Land auch anders gesehen wird. Am liebsten erzählt Tosolini über Gespräche mit Mietern. Regelmäßig unternimmt sie Mieterbesuche. Immer wieder erwähnt sie das Beispiel Wien. Eine Tosolini dort als „Hausbesorgerin“? In dem bekannten ff-Fragebogen antwortete sie auf die Frage nach dem „beeindruckendsten Mensch der Geschichte“: Mutter Teresa von Kalkutta. Die Bürotür öffnet sich einen Spalt. Generaldirektor Wilhelm Palfrader guckt herein. Er ist Badiot, und vielleicht deswegen am Laufenden: „Es sieht tatsächlich so aus, dass Elon Musk in St. Kassian bauen wird“, flüstert er. Zuerst Tosolini, jetzt noch Musk – und das alles im Wobi.Foto: Francesca Tosolini, Präsidentin des Instituts für sozialen Wohnbau Wobi.


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