Mut zum Dur-Akkord
Beste Umstände können ganz schön erschwerend sein. Es war letzten Samstag, ein Sommertag, wie es schöner nicht ginge. Toblach leuchtet in der Abendsonne, und im Grandhotel beginnen die Gustav-Mahler-Musikwochen. Es sind die 43sten ihrer Geschichte. Kein anderes Kulturfest von Landesbedeutung hat so lang durchgehalten, Krisen überstanden und wird nicht aufhören damit. Draußen ist es so atemberaubend schön, dass es Unterschlagung wäre, ich würde nicht in Erinnerung rufen, was der bedeutende Mahler-Biograf Louis de La Grange – bald dreißig Jahre sind es her – mir an einem ähnlich schönen Toblacher Sommertag ins Notizheft diktiert hat: „Schreiben Sie“ – befahl er, mehr als er nur sagte – „das Pustertal ist das schönste Tal der Welt. Schreiben Sie!“
Gegen diese Hypothek muss Josef Lanz, künstlerischer Leiter der Gustav-Mahler-Musikwochen, mit seinem Programm seit 30 Jahren um diese Zeit neu ankämpfen. Gegen die Unwiderstehlichkeit des „schönsten Tals“. Diesmal war es, als wollte die Natur draußen es der Kultur im Saal drinnen besonders schamlos schwer machen. Der Gustav-Mahler-Saal war dann zum Anlass doch anständig voll besetzt. Dass er es nicht ganz war: „mein Gott, bei solchem Wetter!“, war die Entschuldigung der Gutmeinenden. Wer bös sein wollte, gab dem benachbarten Innichner „Marktlfest“ die Schuld. Es gibt hochrangige Landespolitiker, die am Marktl gesichtet wurden und im Grandhotel fehlten, was ihnen als politische Gewichtung ausgelegt wurde.
Sind alles Beobachtungen und Überlegungen, mit denen Kulturimpresario Josef Lanz fertigzuwerden hat. Er ist Musiker von klein auf, seine ganze Familie ist es, seit bald fünfzig Jahren ist Musik-Organisieren Lanzens Job. Musik Meran, Brixner Initiative, Musik und Kirche ebenfalls in Brixen, Collegium Musicum in Bruneck, Musik im Künstlerbund, Gustav-Mahler-Musikwochen in Toblach – es gibt im Land wenig Klassik, die nicht Lanz angestoßen hat und vielfach noch verantwortet. Toblach ist für ihn ein Heimspiel. Von Toblach stammt er, genauer von Aufkirchen. Der schön gelegene Ort verdient eigens erwähnt zu werden. Als einziges Dorf im Pustertal hat Aufkirchen bei der Option 1939 zu 100 Prozent fürs Dableiben gestimmt. Am Berghang darüber bearbeitet der Musik-Organisator noch heute das elterliche Höfl. „Eine Schinderei ist’s“, sagt er, „aber ich brauch das“. Zusammen mit seiner Frau Johanna (Wassermann), die Geigerin des Haydn-Orchesters ist, ist Lanz an diesem Eröffnungstag der Mahler-Wochen von „daheim“ durch den Wald bis ins Tal herab gewandert. „Wir haben Pfifferlinge gefunden“, verrät Frau Lanz. Es ist schöner Ausdruck dafür, wie geerdet diese Musik-Macher sind. Josef Lanz kann an vielen Initiativen beschrieben werden, und Toblach mit Gustav Mahler ist nicht einmal seine aufwändigste. Für diese hält er eher „Musik und Kirche“ in Brixen. Die Gustav-Mahler-Wochen sind sein innigstes Programm, seit 1994 schreibt er es, und auch mir bleibt hier Platz nur für den Mahler-Lanz.
Lanz‘ künstlerische Leitung war nie unumstritten. Zu vielfältig bis widersprüchlich ist nicht nur die weltweite, nein, auch schon die lokale Fan-Gemeinde des großen Jahrhundertwende-Wieners. Der exklusive Hohepriester-Kreis des Mahlertums beargwöhnt den Toblacher Lanz als zu kompromisslerisch. Lanz lässt sich davon nicht beirren. Ihm ist es nicht zu minder, auch von einem musikalisch schlichteren Publikum verstanden zu werden. Musik zu den Menschen bringen und die Menschen zur Musik, sind ihm nicht nur haushalterische Notwendigkeit, sondern tief-demokratisches Kulturverständnis. Der Erfahrene erliegt längst keinem Modernistenkomplex mehr. Die Zeiten, da schon ein Dur-Akkord verdächtig war, hat er unbeschadet überstanden. Sein Anspruch ist es, Gustav Mahler, „diesen Glücksfall für Toblach“, den Toblachern nahezubringen und möglichst nicht nur deren Gästen. Dabei dürften zumal zur Sommerzeit „sich ruhig alle Südtiroler als Toblacher angesprochen fühlen“. Der Musikfreund Lanz, der ein Menschenfreund ist, hat den Ehrgeiz zu versöhnen. Politisch gesagt: Er ist Reformer. Und als solcher natürlicher Feind der Revolutionäre. In Bruneck gab es eine weitum, besonders bei der ländlichen Bevölkerung hochgeschätzte Kauffrau, die Waibl Paula. Sie war berühmt für den Satz, mit dem sie den Geschmack ihrer Kundschaft traf: „A bissl modern, und doch nicht“. Josef Lanz besäße die Ironie, diese Angebotsformel in sein Musikgeschäft zu übernehmen.
Josef Lanz, seit 1994 künstlerischer Leiter der Gustav-Mahler-Musikwochen.