Florian
Kronbichler


Die Herrgottsgärtnerin

Dieser Ferragosto lässt sich gut an. Es regnet, und so tritt Signora Concetta mit ihrem Gemahl Luigi Perri beruhigt den Mittsommer-Urlaub an. Nicht immer war das so. Letztes Jahr zum Beispiel, ein August ohne Regen. Als das Ehepaar zurückkam aus Kalabrien, wo die beiden her sind und noch das Elternhäuschen haben, fanden sie ihren „Signore“, den Herrgott, hängend am Kreuz über einem staubtrockenen Beetchen, „traurig und auch ein wenig enttäuscht“, wie ihnen vorkam. „Dio mio, kein Mensch hat mir zu trinken gegeben!“ So, stellt Frau Concetta sich vor, muss der Gekreuzigte die aus dem Urlaub zurückgekehrte Wohltäterin wohl begrüßt haben. Sofort ward das Beet gejätet, geharkt und neu aufgefrischt, Ehemann Luigi setzte den Wasserschlauch zum nahen Beregnungsbecken instand und verpasste dem verwilderten Rosenstock den rechten Schnitt; für unrettbar verdorrte Tagetes und Petunchen holte er aus der nächstgelegenen Gärtnerei Ersatz, und wiederhergestellt war die alte Liebe.

Wir befinden uns am Guntschna-Hang über Bozen, wenig unterhalb vom Reichriegler Hof, wo die Guntschna- oder Heinrichspromenade in die alte Jenesienerstraße mündet. Hier steht ein schlichtes Wegkreuz, und mehr als dieses selbst fällt den daran Vorbeiwandernden der Blumenschmuck darunter und drumherum auf. Immer reich bepflanzt und gepflegt, vom Frühling, der hier dank der sonnigen Lage fast schon im Winter beginnt, bis spät in den Herbst hinein mit letzten Chrysanthemen. Über den kurzen Winter helfen Zypressenzweige und der immergrüne Efeu. Was aber selbst den zerstreutesten Gewohnheitswanderer auffallen muss, das ist, wer dieses Idyll pflegt. Es ist keine Stadtgärtnerei und auch nicht irgendeine Votivgruppe, wie sie sich um solche Bildstöckchen gern bilden. Es ist Signora Concetta, geborene Di Cello. Seit etwa 25 Jahren, genau weiß sie es nicht mehr, kommt sie zusammen mit ihrem Mann Luigi Perri jede Woche einmal, oft mehrmal, von der Stadt herauf, um hier ihr Kreuzl zu pflegen. Warum sie das tun? „Beh, il Signore ci chiama“.

Warum mich die Idylle solcher Hingabe neugierig gemacht hat? Eigentlich, weil sie eine hierzulande recht verbreitete Vorurteilspflege erschüttert. Bozen hat an seinen Südhängen zwei schöne Promenaden, die Guntschnapromenade auf Grieser Seite, die Oswaldpromenade über Bozen-Dorf. Sie sind das Schönste an Bozen. Und an beiden steht zuoberst, am Scheitelpunkt, ein Kruzifix. Soweit wie gehabt. Überall im Land ist das so. Das Besondere an Guntschna und St. Oswald ist: hie wie da werden die Kreuze seit mindestens einer Generation von kalabresischen Frauen (und ein bisschen ihren Männern) gepflegt. Concettas „Kollegin“ von St. Oswald heißt Rosetta, stammt auch aus Kalabrien. Sie war dort Forstarbeiterin. Längst ist sie Boznerin, und den Großteil ihres Bozner Lebens ging sie zusammen mit ihrem Mann mehrmals die Woche von Don Bosco zu dem Kreuz auf Oswald herauf, das seiner Aufschrift nach von den Schützen errichtet worden ist, hat Wasserflaschen mitgeschleppt, Blumen begossen, Unkraut gejätet, und wenn alles in Ordnung gebracht war, stieg die kräftig, nicht grad groß gebaute Rosetta auf den Sockel des Kruzifix‘, reckte sich und küsste die Zehen ihres Signore. Rosetta hat ihren stillen Dienst mit Covid quittieren müssen. Ihr Mann schaffte den Aufstieg nicht mehr, ihn allein hintenlassen mochte sie nicht. Seither verwildert das Kreuzl. Die resolute Rosetta verargt das der Stadt ein bisschen. „Vergogna!“.

Concetta und ihr Luigi auf Guntschna denken nicht an Aufgeben. Seit 1969 lebt das Ehepaar in Bozen, „genau so lang wie das Kreuz dort steht“, wissen sie. Luigi kam als Maurer, Concetta besorgt ihm den Haushalt und erzog die zwei Kinder. Heute sind sie beide Rentner. Die drei Stunden hinauf und herab zu „ihrem“ Signore machen sie unverdrossen weiter. Den wilden Staudenverhau von ehedem haben sie ein reizendes Gärtchen verwandelt. Ab und zu verschwindet das eine und andere Pflänzchen. Das wird dann in der Gärtnerei Silbernagl nachgekauft. Längst sind wir befreundet, und vom schlechten Gewissen gepackt, versprach ich, sie sollten auf mich anschreiben lassen, was sie kaufen. Frau Concetta und Herr Luigi nahmen das Angebot dankbar an, sagten es beim nächsten Einkauf in der Gärtnerei, und das Ergebnis: Silbernagl erließ den Herrgottsgärtnern den Preis gänzlich. Es gibt in Südtirol doch Anerkennung für kalabresische Liebesdienste.

Concetta Di Cello Perri in ihrem


Flor now
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