Der Partisan Pircher
Die Gemeinde Laas widmet ihrem vergessenen und verfemten Mitbürger Hans Pircher zu seinem 100. Geburtstag ein Gedenkmal. Ein später Akt von Erinnerungskultur.
Wo in Südtirol es um die Rehabilitation eines Nazi-Opfers geht, ist Leopold Steurer immer mit am Werk. Meistens findet er selber die „Fälle“ oder zumindest liefert er die Beweislage dafür. Er ist der Aufklärer über Südtirols nazifaschistische Vergangenheit und deren fast amtliche Verdrängung bis in die heutige Zeit herauf. Als solcher trat er
letzten Freitag in Laas im Vinschgau auf.
Geschichtsbewusste Leute im Umkreis des örtlichen Kulturvereins, namentlich der Anwalt Peter Tappeiner, der Schulmann Herbert Raffeiner und der Autor Othmar Thaler hatten die Gemeinde dazu gebracht, ein bislang wenn nicht verdrängtes, so jedenfalls vergessenes Kapitel eigener Geschichtsbewältigung nachzuholen. Es ist das Schicksal des Laasers Hans Pircher (1924 – 2002), Wehrmachtsdeserteur, Widerstandskämpfer gegen das Naziregime, nach Kriegsende Opfer eines Justizskandals, neun Jahre zu Unrecht in Haft, dank der Recherche-Arbeit eines italienischen Mithäftlings begnadigt, in Südtirol selber zeitlebens ignoriert und in Stich gelassen.
Die öffentliche Rehabilitation des Widerstandskämpfers Hans Pircher geschah zu seinem 100. Geburtstag, letzten Freitag, 1. Februar 2024. In Anwesenheit der Bürgermeisterin Verena Tröger, der Initiatoren und gar nicht weniger Landsleute wurde im Friedhof eine Gedenktafel angebracht in Erinnerung an den nun bekannt gemachten Hans Pircher und sein tragisches Schicksal. „Die Kardinaltugend des Politischen ist der Mut“ steht auf der Marmortafel angeschrieben. Es ist ein Ausspruch von Hannah Arendt, und Bürgermeisterin Tröger stellte ihn in ihrer Grußbotschaft in direkten Bezug zur Kriegsgefahr von heute.
Die Gedenkrede zum Anlass hielt Leopold Steurer. Er stand mit Pircher nach dessen Befreiung im Jahr 1975 persönlich in Kontakt, besuchte den Vereinsamten wiederholt und hat ihn kurz vor seinem Tod noch einmal zu jenem Mithäftling Giambattista Lazagna begleitet, der ihn mit seinem Buch „Il caso del partigiano Pircher“ die Befreiung erpresste. Steurer ist ein gefragter Referent seines Fachs. Weiterhin ganz Lehrer, pflegt der Historiker bei derlei Anlässen immer „etwas Schriftliches“ an die Zuhörer zu verteilen. Eine Kurzfassung von dem, was er frei vorträgt, – zum Mitnehmen und Merken eben.
Darin ist nachzulesen, wer Hans Pircher war und was ihn erinnerungswert macht. Es war sein Einsatz gegen den Krieg. Als aktiver Widerstandskämpfer stellt er sich in den Dienst des Andreas-Hofer-Bundes seines Mitkämpfers Hans Egarter und übernahm für diesen zum Kriegsende gefährliche Informationsdienste der Alliierten Stellen in der Schweiz. In dieser Mission leistet er einen Beitrag zum Neubeginn eines demokratischen Lebens in Südtirol nach 1945. Dass später das demokratische, auf den antifaschistischen Widerstand gegründete Italien Hans Pircher für seine Untergrund- und eben Partisanen-Arbeit mit einem Justizskandal gelohnt hat, bleibt ungesühnte Schuld des Staates.
Dem Südtiroler wurde auf Betreiben eines faschistischen Staatsanwalts eine Gewalttat, die eindeutig als Akt des politischen Widerstands zu verstehen war, als gemeine Straftat ausgelegt und mit einer 25jährigen Gefängnisstrafe belegt. Im Unterschied zu der großen Solidarisierung, welche die Südtiroler Bevölkerung in den Fällen der „Pfunderer Buibm“ und der Sprengstoff-Attentäter zu etwa der gleichen Zeit angedeihen ließ, rührte sich für Hans Pircher in der Heimat gar nichts. Pircher als Opfer eines Justizskandals anzuerkennen und die darauf zwingend folgende Begnadigung durch Staatspräsident Giovanni Leone war das Verdienst zuallererst von Pirchers Mithäftling Lazagna ( der wegen Beschuldigung linksterroristischer Betätigung einsaß) und weiters des bekannten PCI-Politikers und Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung, Umberto Terracini. Deren Recherche-Arbeit und Pressekampagne verdankt Hans Pircher die Freilassung nach 9 Jahren schuldloser, teils schwer Haft.
Am 9. August 1975 wurde Pircher aus dem Gefängnis entlassen. Das öffentliche Südtirol nahm davon so gut wie gar nicht Notiz. Zurückgezogen lebte der Heimgekehrte als Gelegenheitsarbeiter in seinem Vinschgau, großteils in Vetzan. Hier besuchte ihn Leopold Steurer mehrmals. Zusammen fuhren die beiden noch einmal auf Besuch zu seinem Haftkammeraden und Lebensretter Giammarco Lazagna nach Ligurien. Am 10. Juli 2002 starb der Partisan Pircher in Vetzan. An der Friedhofsmauer seines Heimatortes Laas, am Haupteingang links in der Ecke, hängt jetzt die Marmortafel im Gedenken an ihn.
Foto (Vinschger Wind): Die Promotoren der Hans-Pircher-Gedächtnis-Veranstaltung, Historiker Leopold Steurer (links) und Anwalt Peter Tappeiner.