Florian
Kronbichler


Am Zaun des Anstoßes

Möglich, dass ich mich unklar ausgedrückt habe. Doch auch der Journalist muss reichlich zerstreut gewesen sein, als er das Gespräch mit mir über die Frage Grenzzaun am Brenner zu dem Artikel verarbeitet hat, der heute im Corriere dell’Alto Adige erschienen ist. Um meine Haltung zu der Frage noch einmal darzulegen: Natürlich stimmt es traurig und ist es ein Scheitern der Politik – nicht nur der Europa- und der Europaregion-Tirol-Politik, nein, sondern der Politik insgesamt -, wenn Aufnahme mit Auszäunung ersetzt wird. 


Ich habe, so wie viele, die Petition an Österreich unterzeichnet, es möge von einem Grenzzaun am Brenner gegen die Flüchtlinge absehen. Petition kommt von petere und heißt bitten. Ich „bitte“ Österreich darum. Nie werde ich das von Österreich „fordern“, so wie das von ranghohen SVP-Politikern momentan geschieht. Wir Südtiroler haben nichts zu „fordern“. Nicht, solang wir so ungleich viel weniger für die Flüchtlinge tun, als Tirol und Österreich insgesamt für sie tun.

Nicht die Vorgangsweise Österreichs, wie mir vom Corriere in den Mund gelegt wird, sondern die Art, wie unsere Landespolitiker darauf reagieren, halte ich für „obszön“. Es wird doch als widersprüchlich und doppelzüngig befunden werden müssen, wenn – wie jetzt geschehen – sich Landeshauptmann Kompatscher an Rom wendet um Schutz vor Wien.

Zäune gegen Menschen sind zynisch und menschenverachtend. Sie sind es aber um nichts mehr, wenn sie vor unserer Haustür, eben am Brenner, errichtet werden, als an Österreichs Ostgrenze oder an den jetzt so sehr bemühten „europäischen Außengrenzen“. Wer im Innern Europas sitzt und nach Schutz der „Außengrenzen“ ruft, ist nur Egoist. Das herrschende Südtirol hat nicht nur nicht protestiert, als Österreich den Grenzzaun gegenüber Slowenien errichtet hat. Im Gegenteil, es hat einen solchen sogar gefordert.

Ich bedauere es, dass unser Schutzstaat Österreich momentan glaubt, sich mit einem Grenzzaun vor zu vielen Flüchtlingen schützen zu müssen. Aber ich habe Verständnis dafür, dass es das, wenn überhaupt, auch an der Brennergrenze tun muss. Leider, Gott sei’s geklagt. Uns steht es jetzt nicht an, zu fordern und Belehrungen in europäischer Gesinnung zu erteilen.

Unerträglich ist einschlägig alles Geschwätz von Europaregion Tirol oder gar Tiroler Einheit. Gesamttirolische Gesinnung würden wir beweisen, wenn wir dem Bundesland Tirol einen Teil der Flüchtlinge, die es in Betreuung aufgenommen hat, abnehmen würden. Tirol betreibt derzeit Unterkünfte für 6.000 Flüchtlinge. Südtirol für nicht einmal 1.000. Was also soll das Gewinsel? Ich würde mich nicht wundern, dreht der Flüchtlingsstrom irgendwann nach Süden (Anzeichen dafür gibt es schon), dass Südtirol dann den Zaun am Brenner fordert.

Als obszön bezeichnet habe ich im besagten Corriere-Gespräch weiters sehr wohl auch das Gerede über die wirtschaftlichen Kollateralschäden der Flüchtlingskrise. Der Beweis dafür kam, recht instinktlos, von Rai-Südtirol gestern in den Mittagsnachrichten: Unser Haussender ließ darin den HGV-Landesobmann ausladend klagen über zu befürchtende Staus am Brenner, die Gäste aus dem Norden davon abschrecken könnten, zum Urlaub bis nach Südtirol vorzustoßen. Und lückenlos wurde die Nachricht von „Staus an der Pustertaler Straße, der Ausfahrt aus dem Gadertal und der Abzweigung nach Gröden“ hintennach geschoben.

Es waren nicht flüchtlingsbedingte Staus. Europa lebt oder stirbt nicht am Brennerpass, wie Landeshauptmann und SVP-Obmann uns in diesen Tagen glauben machen. Südtirols Empörung über den drohenden Zaun am Brenner entspringt reinem Egoismus. Wir möchten ihn, wenn Zaun schon sein muss, an der Salurner Klause haben.

Florian Kronbichler

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