Florian
Kronbichler


INSIEME mit Pisapia und Bersani

Mein Politikeramt hat mich um meinen journalistischen Reflex gebracht. Immer schon ging ich hin, wo politisch was los war. Jedoch früher schrieb ich darüber, gleich nachdem ich wegging. Nichts konnte mich aufhalten. Das Ereignis (die Versammlung, die Demo, das Gespräch oder was auch immer) war nicht zu Ende, bevor ich nicht darüber berichtet hatte. Manchmal tat ich das schon während der Veranstaltung, einige Male – ich schwöre, gewiss nur einige Male! – hatte ich schon geschrieben, bevor die Veranstaltung begann. Ich bildete mir ein zu wissen, wie sie ausgehen würde, und habe mich nie getäuscht.

Jetzt, als Politiker, geh ich natürlich weiter zu Veranstaltungen, häufiger sogar, und schreiben tu ich nicht mehr, um zu „berichten“, sondern eher, um mir zu merken, was war. Das, was ich hier schreibe – ihr merkt das ja – ist eine Art Tagebuch, ein politisches nur und deshalb öffentlich.

War ich also gestern Abend (es war um 16.30, halb fünf, da wird man in Rom ausgelacht, wenn man „Abend“ sagt, es ist Nachmittag;) an der Piazza Santi Apostoli bei der Kundgebung jener politischen Bewegung, der ich mich zugehörig fühle und von der ich mir den Ruck erwarte, dass Italien doch noch einmal eine Mittelinks-Regierung erhalten oder mindestens behalten wird. Sie heißt vorläufig INSIEME mit dem Untertitel „Nessuno escluso“. Der Name ist Programm und gefällt mir. Hoffnungsträger der Bewegung sind Giuliano Pisapia, bis vor einem Jahr Bürgermeister von Mailand, und Pierluigi Bersani, Chef des Partito democratico bis zu den Wahlen 2013. Unfreiwilliger Geburtshelfer von INSIEME ist Matteo Renzi, dessen Linie in drei Jahren als PD- und Regierungschef den linken Flügel teils ganz aus der Partei, teils in die Bedeutungslosigkeit innerhalb dieser getrieben hat. Zunächst in „Articolo Uno – movimento democratico e progressista“ und jetzt in „INSIEME finden sich wir Mehrheit der ehemaligen Sinistra Ecologia Libertà (SEL), die aus dem Partito Democratico ausgetretene Minderheit um Bersani, Speranza, Epifani, Rossi, Gotor und und …

Das war jetzt ein bisschen Familiengeschichte, aber in INSIEME sind bereits weitere Bewegungen eingeflossen. Da ist zur Hauptsache Pisapias eigener „Campo progressista“. Pisapia, den Platzsprecher Gad Lerner recht treffend als Anti-Leader bezeichnete (wegen seiner gar nicht volkstribunhaften Rhetorik), steht mehr für Mitte als für Links. Ihm vertraut das Bürgertum. Die Grünen, so lang wie verschwunden von Italiens politischer Bühne, sind wieder da. Sehr auffällig mit schwingenden Fahnen sogar. Gleich zwei ehemalige Präsidenten des Verfassungsgerichts sind da: Onida und Flick. Ein dritter, der gewiss da gewesen wäre, war wegen Todes verhindert: Stefano Rodotà. Links und ökologisch orientierte Bürgerlisten reihen sich ein. Wenn wahr wäre, wie einer der Lautesten von ihnen vom Leder zog, nämlich Leoluca Orlando, stünde ganz Italien schon bald in revolutionären Flammen.

Wie war’s dann bei INSIEME auf Santi Apostoli? Es waren mehr, viel mehr Leute da, als ich und als die Veranstalter „befürchtet“ hatten. Befürchtet, muss man sagen. Der Termin war ja selbstschädigend fahrlässig gewählt: 1. Juli, 16.30, um diese Zeit ist von Freiluft-Veranstaltungen abzuraten. Außerdem sind die Römer wegen des Peter-und-Paul Festtages (29. Juni) ponte-halber weggefahren. Doch der Platz, an dem vor genau 20 Jahren der „Ulivo“ als politische Bewegung ausgerufen wurde und der deshalb Symbolcharakter für politischen Aufbruch hat, war voll. Gestoßen voll. Wie es Pisapias Linie will, sprechen mehr Betroffene als Politiker, mehr Frauen als Männer. Parteifahnen sind unerwünscht, was freilich die Beherztesten unter den Beherzten von „Articolo Uno“ und vor allem der wieder auferstandenen Grünen nicht abhalten kann, die ihren zu schwingen.

Wer die beste Rede gehalten hat? Ohne Zweifel Pierluigi Bersani. Seine Rede war Trost, Ermutigung und Programm. Ich werde einmal eigens drauf zurückkommen müssen. Und was Pisapia gesagt hat: ist weniger leicht zu sagen. Er hat gedankt, dass wir da waren. Er hat viel INSIEME gesagt, freilich auch, dass das noch nicht der Name sein wird, unter dem unser „Centrosinistra largo“ zu den nächsten Wahlen antreten wird. Wer Pisapia nicht öfter zugehört hat, wird hinterher wahrscheinlich Enttäuschung empfinden. Erfahrene trösten ihn dann: „È così. Pisapia è così“.

Hoffen wir also. Hoffnung gibt auch, dass auffällig viele Parlamentarier sowohl des PD als auch von Sinistra italiana da waren. Insieme eben. Die auffälligsten Nicht-Redner waren Massimo D’Alema und Kammerpräsidentin Laura Boldrini. Diese schwieg, weil es ihr Amt so will, ersterer schwieg: weil selbst er selber es für klüger hielt.


Flor now
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