Florian
Kronbichler


Zum Tod von Prof. Carlo Milesi (1932 – 2015)

 

 

Heute früh ist in Brixen Don Carlo Milesi im Alter von 83 Jahren gestorben. Milesi war mein Italienischlehrer am Vinzentinum. Von ihm habe ich nicht nur Italienisch gelernt, sondern auch, mich politisch einzumischen, und außerdem halbwegs Fußball zu spielen. Milesi brachte uns Moderne und Weltlichkeit ins bischöfliche Gymnasium. Zu seinem 80. Geburtstag habe ich für die Neue Südtiroler Tageszeitung folgendes Gespräch geführt. Ihm zum Gedenken und allen, die „den Milesi“ kannten, lege ich das Gespräch hier noch einmal auf.

Italienisch geboren, französisch aufgewachsen, pustrerisch sozialisiert, im Trientner Knabenseminar italianisiert, im Brixner Priesterseminar verdeutscht, und in Mailand Germanistik studiert. Don Carlo Milesi, eine wandelnde Südtiroler Bildungsidee.

Die Tageszeitung: Herr Milesi, welche Ansprache bevorzugen Sie: Don, Doktor oder Professor?

Carlo Milesi: Die Leute rufen mich „Milesi!“, ohne nichts.

Dabei sind Sie Kanoniker, Lehrer, Musiker, Übersetzer, Autor, Wissenschaftler …

Für das meiste gilt: Ich war es. Ich bin jetzt noch ein bisschen Seelsorger, und den Rest tue ich halt, damit mir das Hirn nicht einrostet. Ich habe immer gesportelt, jetzt fahr ich noch ein bissl mit dem Radl und schreib halt.

Was schreiben Sie so? Predigten?

Das am wenigsten, aber auch. Ich bereite jede Predigt schriftlich vor. 30 Zeilen, macht gut vorgetragen knapp 6 Minuten. Das reicht. Nichts ist leichter als lang zu reden.

Sie sind heute so etwas wie der geistliche Vater der Italiener von Brixen.

Mein Bemühen war immer, die Italiener Südtirols zu italienischen Südtirolern zu machen. Sie sollen sich hier zugehörig fühlen. Als Leiter des italienischen Pfarrchores war ich immer bemüht, auch deutsche Lieder einzulernen. Zweisprachige Gottesdienste sind meine Spezialität.

Sie werden sich gefreut haben, letzten Sonntag, über den Besuch der Alpini in Südtirol.

So wie sich alle gefreut haben, die ein Herz für Geselligkeit haben und ein Miteinander in Vielfalt schätzen.

So wie die Alpini selber sich gefreut haben über die Aufnahme in Südtirol?

Klar haben sich die gefreut. Man muss sich vorstellen, viele von denen haben in den 60er, 70er Jahren hier das Militär gemacht, sie haben diese Zeiten in Erinnerung, und jetzt merken sie die Offenheit unserer Leute. Wie sie italienisch sprechen! Das war für sie eine freudige Überraschung.

Als gebürtiger Bergamaske dürften Sie ein besonders inniges Verhältnis zu den Alpini haben. Ihre Landsleute stellten die größte Abordnung im großen Umzug.

Ich war nicht beim Militär und war am Sonntag auch nicht in Bozen. Was ich im Fernsehen sah und in der Zeitung las, das bestätigt mir aber: Die Alpini sind so, wie sie in dem Büchlein „Alpini“ von Paolo Valente und Nicolò Degiorgis dargestellt sind: bodenständig, gesellig und sich selber nie zu ernst nehmend. Scarpe grosse, cervello fino.

Sie wollen sagen, bergamaskisch wie Sie?

Ach, ich bin doch nur durch Zufall in Bergamo geboren. Meine Eltern lebten in Frankreich, genau genommen in den französischen Wäldern,. Der Vater als wandernder Holzfäller, und nur weil der Faschismus damals werdenden Müttern die Heimreise bezahlte, nutzte das meine Mutter, um ihre Familie in Bergamo zu besuchen. So wurde ich, ihr erster von zwölfen, gebürtiger Bergamaske.

Sonst wären Sie heute Franzose?

War ich auch bis zur 3. Volksschulklasse. Wir sprachen nur französisch. Als Deutschland 1939 Frankreich überfiel, flüchtete meine Mutter mit uns Kindern wieder heim zu ihr nach Bergamo.

Und Sie wurden wieder zum Italiener?

Oh nein. Wir wollten eigentlich nur warten, bis wir wieder nach Frankreich zurück konnten. Zwei Tage bevor wir aufbrechen wollten, erklärte aber Mussolini Frankreich den Krieg, und an Rückkehr war endgültig nicht mehr zu denken. Vater, er war arbeitslos, weil er die Tessera fascista verweigerte, hatte über Umwege bei dem Sägewerk Colleoni in Bruneck eine Anstellung gefunden. So holte er uns später nach. Das war im März 1941. Wir wohnten in der Raingasse 4, zu sechst in einem Zimmer.

Sie wurden zum Pusterer?

Langsam! Ich war noch nicht einmal Italiener. Ich mochte nicht Italienisch lernen. Bei der Erstkommunion, das war noch in Bergamo, weigerte ich mich, auf Italienisch zu beichten. Ich konnte es nicht. Da nahm mich der Pfarrer in die Sakristei, ich beichtete auf Französisch, und meine Mutter dolmetschte es dem Beichtvater.

Und sonst, wie waren die Pusterer so mit euch Dahergelaufenen?

Gastlich, muss ich sagen. Unsere ganze Familie hat immer Dankbarkeit verspürt den Südtirolern gegenüber.

Nichts von: „ihr Walschen!“?

Nein, im Gegenteil. Aber das mag auch an einer kleinen Besonderheit liegen. Wir sprachen daheim weiterhin Französisch, kein Italienisch.

Kannten die Brunecker Kinder von damals diesen Unterschied?

Vielleicht auch nicht. Das Interessante war aber, dass mir ein Südtiroler Schicksal sehr zum Trost gereichte. Es war damals ja die faschistische Schule. Die Kinder waren alle deutsch, und zum ersten Mal fand ich mich in Gesellschaft von Mitschülern, die auch nicht oder noch weniger Italienisch verstanden als ich. Gemeinsame Schwierigkeiten können sehr verbindend wirken.

Hatten die Lehrer Verständnis für den stummen Franzosen?

Da erinnere ich mich an den späteren Weihbischof Heinrich Forer. Der war unser Religionslehrer. Fragte er mich einmal, ob ich ihn denn verstünde. Ich sagte, ich verstehe nur Französisch. Darauf er: „Leider kann ich nicht Französisch.“

Lernten Sie an Ihren Mitschülern Deutsch?

Kaum. „Bittschön a Brot!“ war das Einzige, was wir konnten. Damit gingen wir bei den Bauern zu betteln. Wir waren bitter arm.

Gingen dann aber „studieren“?

Das war die Idee von Bischof Geisler. Der war damals zur Sommerfrische auf Schloss Bruneck. Auf seinen Spaziergängen sprach er uns Kinder an. Ich muss wohl gesagt haben, ich wolle Priester werden, und so riet er mir, ins Vinzentinum zu gehen. Ich fuhr mit unserem Kooperator Ballisch, einem Triestiner, zu einem Vorgespräch nach Brixen, aber Regens Wassermann beschied sofort kühl: Njet, kein Deutsch, kein Vinzentinum! Ich musste nach Trient.

Italienisch konnten Sie inzwischen genug?

Ich lernte leicht Sprachen. Was aber blieb: In Bergamo galt ich als Franzos, in Bruneck als Walscher, in Trient als Crucco. Im sprachlichen Grenzgängertum kenn ich mich aus.

Sie wurden dann in Trient zum Priester ausgebildet?

Nein, in Brixen, und auch damit hat es wieder eine interessante Bewandtnis. Man hatte in den Seminaren ein aus heutiger Sicht perfides System, die jungen Leute an der Stange zu halten. Mal ließ sie nur die Hausmatura machen, die nicht öffentlich anerkannt war und praktisch nur den Weg ins eigene Priesterseminar offen ließ. So wandte ich mich an den damals, 1952, neuen Bischof Gargitter in Brixen um Hilfe.

Im Sinn von: Lieber Bischof von Brixen, erlös mich armen Priesterkandidaten Carlo aus Trient!

So ungefähr, und Gargitter bewies gleich Courage und Weitblick. Er nahm mich als ersten Italiener ins Priesterseminar Brixen auf. Er glaubte meinem Versprechen, dass ich Deutsch schon lernen würde.

So kam die Diözese Brixen zu einem ihrer wenigen Italiener?

Bischof Gargitter verstand, dass es das braucht. Fünf Jahre schickte er mich als Kooperator nach Cortina. Dann zum Studium nach Mailand. Er brauchte doch von Zeit zu Zeit einen jungen Italienisch-Professor. Ich studierte an der Cattolica moderne Sprachen, aber wieder eher unorthodox: nicht Italienisch, sondern Deutsche Literatur im Hauptfach.

Um dann am Vinzentinum 30 Jahre lang Italienisch zu unterrichten.

Das ist kein Widerspruch. Sprache ist ein Mittel. Man lernt es zu handhaben, wenn man es gebraucht. Ich spreche fließend Ampezzanisch, auch Pustrerisch, wenn Sie wollen. Weil ich es gebraucht habe.

Sie wollen sagen, wenn es mit der Zweisprachigkeit in Südtirol hapert, liegt das daran, dass wir entweder die eine oder die andere Sprache nicht brauchen?

So ist es. In Südtirol ist es heute für die Deutschen so, dass sie Italienisch nicht brauchen. Es geht auch ohne, leider. Vielleicht nicht in Bozen, aber auf dem Land, auch in Bruneck ganz gewiss: Militär gibt’s nicht mehr, die Beamten müssen Deutsch können, der Private kommt mit seiner Sprache gut zurecht. Höchstens ein paar Fluchwörter muss er sich zulegen.

Und in Bozen ist es umgekehrt?

Es gibt dort ein Leben auch auf rein Italienisch, immer noch. Ich kenne Bozner Familien, die nie eine deutsche Familie getroffen haben, auch keine kennen.

Haben wir eine fortschreitende Trennung der Sprachgruppen zu beklagen?

Auf eine gewisse Weise ja. Auf Südtirol bezogen lässt sich heute sagen: Die Deutschen können auch ohne uns leben. Wir Italiener ohne Deutsche nicht.

Interview: Florian Kronbichler

Foto: Don Carlo Milesi: „Man muss eine Sprache brauchen, um sie zu lernen“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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