Die TTIP-Peepshow
Für einmal wollte ich Erster sein, aber ich war … zu schnell. Das ist nicht schwer bei der italienischen Ministerialbürokratie. Im großen Geheimnistuer-Spiel namens TTIP (Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen zwischen USA und EU) hat sich ein Spalt Transparenz aufgetan. Jedenfalls vorgesehen war das und versprochen. Die EU-Handelskommissarin Cecilie Malmström hatte vor Weihnachten in einer Videokonferenz auf meine Nachfrage im Parlament erklärt, den Parlamentariern werde Einsicht in die Verhandlungsinhalte gewährt.
Als ich gestern Wind bekam, dass in Deutschland so eine Stelle eröffnet worden ist, an der die Bundestagsabgeordneten Einsicht in die Verhandlungspapiere nehmen können – einzeln, unter Aufsicht, ohne Handy und ohne eigenes Schreibpapier, auch ohne Mitarbeiter und unter dem Versprechen, mit niemandem darüber zu reden -, da habe ich mich heute früh sofort ans Außenministerium in Rom gewandt: Wo ist unser Leseraum?, fragte ich. Es folgte das erwartete Herumgedruckse, stundenlange Vertröstung, …
… dann, gegen Abend der Anruf: Wir werden auch dürfen, aber es ist noch nicht so weit. Außen- und Wirtschaftsministerium, so die Auskunft aus der Farnesina, würden „daran arbeiten“, den Parlamentariern jene Möglichkeit der Einsichtnahme zu schaffen, „wie sie andere Länder auch zur Verfügung stellen“. Wann es so weit sein wird, weiß man noch nicht. Nur „la procedura è in corso“. Und: „Was den Deutschen erlaubt ist, wird den italienischen Parlamentariern nicht vorenthalten werden.“
Ich weiß somit, wir brauchen uns keine Illusionen zu machen. Es stimmt, in
Deutschland ist es inzwischen so weit. Seit dieser Woche dürfen Mitglieder des Bundestags in einem am Wirtschaftsministerium eigens eingerichteten Raum, ehrlicher gesagt, in einer Kabine, Einsicht in jenes Vertragswerk nehmen, das künftig die Handelsbeziehungen zwischen USA und Europa auf eine ganz neue Ebene heben soll. Mir graut vor dieser Ebene. Sie wäre der Sieg der Wirtschaft über die Demokratie, der Konzerne über die Parlamente.
Das Abkommen – TTIP – schien nicht mehr abwendbar. Aber zumindest wissen wollten wir, was genau drin ist. Jetzt wissen es einige deutsche Abgeordnete. Sie haben in ihrem „Leseraum“ Einsicht genommen. Und wer bisher nicht TTIP-Gegner war, ist seither zumindest Zweifler. Wo mit der Wahrheit so hinter dem Berg gehalten wird wie bei TTIP, ist Misstrauen Pflicht. Wie sollen Parlamente einem internationalen Vertrag zustimmen, wenn Parlamentarier zuerst einen Schweigeschwur darüber ablegen müssen. Deutschland, das bisher schon Vorreiter der Widerstandsbewegung war, wird jetzt erst recht gegen TTIP mobil machen. Zu den 3 Millionen Unterschriften, zur größten Kundgebung des letzten Jahres (in Berlin), zur Skepsis der Wirtschaftsweisen, zur Empörung der ordentlichen Gerichte kommt jetzt die Verärgerung der Parlamentarier hinzu. TTIP wird versenkt werden, noch bevor es beschlossen wird.
Ich warte jetzt, ob die TTIP-Transparenz all’italiana weniger skandalös gehandhabt werden wird. Ich denke, dass nicht. Ich warte auf den Anruf aus dem Außenministerium. Man hat mir versprochen, ich würde angerufen, ehe der „Leseraum“ öffnet. Ich möchte dann der erste Leser sein.
Florian Kronbichler